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In OMAS ZEITung (18): Leibesübung

Dorothea Spannagel war Lokalreporterin im Berlin der 50er Jahre. Ihr Enkel Lars entdeckt ihre Texte neu. Diesmal: Frauen-Fitness in den Fünfzigern.

Am 5. November 1950 wird in der „Neuen Zeitung“ ein Artikel meiner Oma Thea mit dem Titel „Hausfrauenmedizin“ veröffentlicht. Die Überschrift ist ein wenig irreführend: Zuerst dachte ich an Wadenwickel gegen Fieber oder Klosterfrau Melissengeist gegen Einschlafprobleme. Dabei geht es um etwas ganz anderes, etwas Revolutionäres. „Mit hausfraulicher Pünktlichkeit beginnt der Kursus Schlag 20 Uhr im Gymnastikraum der Volksschule in der Gritznerstraße“, schreibt meine Oma. „Das Tuscheln der Neuen, die mit den etwas zur Üppigkeit Neigenden noch den Hintergrund bevorzugen, verstummt, als ihnen bei den statischen Grundübungen die Luft knapp wird. Man hört deutlich das Knacken der Knöchel.“

Die Damen treffen sich in der Steglitzer Volksschule, um an ihrer Gesundheit zu arbeiten. Fitnessstudios gibt es Anfang der 1950er noch keine, bis zur Aerobic-Welle werden noch 30 Jahre vergehen. Das Anliegen der turnenden Frauen ist aber dasselbe wie heute, wie meine Oma berichtet. „,Ich bin gekommen, um schlank zu werden‘, antworten viele auf die Frage, was sie zur Gymnastik getrieben habe.“ Bauchmuskelübungen seien am meisten gefragt. Meine Oma schreibt sogar fast philosophisch von dem „Anschluss an die Jugend“, den die Frauen behalten wollen, „Kreisspiele mit dem Medizinball tragen dazu bei“. Die Gymnastikstunde ist beliebt, das Hauptamt für Leibesübungen wolle versuchen, ähnliche Kurse in allen Bezirken einzuführen.

Meine Großmutter selbst war keine Sportlerin, ihre einzige körperliche Betätigung waren kurze Wege auf dem Fahrrad, später hat sie sich nur noch per Auto fortbewegt oder fortbewegen lassen. Vor dem Fernseher hat sie aber beim Tennis durchaus mitgefiebert und sich ein kreatives Halbwissen angeeignet. Ich erinnere mich daran, dass sie mir einmal erklärt hat, wieso irgendein Tennisspieler so erfolgreich war: „Der wippt vor dem Return immer von hinten nach vorne anstatt von links nach rechts. Er kann dann schneller loslaufen, wenn der Ball kommt.“ Soso, Oma. Wenn du es sagst.

Aus der Gritznerstraße berichtet meine Oma nicht nur von den Kursteilnehmerinnen, sondern auch von der Vorturnerin, „deren Figur die beste Reklame für gesundheitsfördernde Leibesübungen“ ist. Die Gymnastiklehrerin ist nicht allein, sie hat sich musikalische Verstärkung mitgebracht: „Die tempoangebenden Rhythmen des in einer Ecke stehenden Akkordeonspielers bringen die Schülerinnen, deren älteste soeben den 50. Geburtstag gefeiert hat, schnell in Schwung.“ Insofern sind die 25 Pfennige für zwei Stunden anscheinend gut angelegt, „zumal die Chance gegeben ist, dass auch die zu eng gewordenen Kleider danach wieder passen“.

Dafür nimmt man knackende Knöchel und fetzige Akkordeon-Rhythmen doch gerne in Kauf.

Diese Kolumne ist gedruckt in der Tagesspiegel-Samstagsbeilage Mehr Berlin erschienen. Alle Folgen finden Sie unter diesem Link.

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