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In OMAS ZEITung (20): Sumpfbiber

Dorothea Spannagel war Lokalreporterin im Berlin der 50er Jahre. Ihr Enkel Lars entdeckt ihre Texte neu. Diesmal: Wie das Züchten von Pelztieren in Mode kam.

Als Tierfreundin ist mir meine Oma Thea nicht in Erinnerung geblieben. Katzen und Hunde gab es bei ihr nie, auch mein Meerschweinchen aus Kindertagen namens Flip hat sie ziemlich kaltgelassen. Als einziges Haustier ist im Familienalbum ein Kaninchen dokumentiert. Die Bildunterschrift zu einem Foto meines Vaters beim Streicheln des Nagers legt allerdings den Schluss nahe, dass es sich wohl eher um ein Nutztier handelte: „Ei, ei lieber Otto, bald geht’s in die Pfanne.“

Ähnlich unsentimental berichtet meine Oma am 9. August 1950 in der „Neuen Zeitung“ über einen neuen Trend. Immer mehr West-Berliner züchten Nutrias – eine auch „Sumpfbiber“ oder „Schweifratte“ genannte, bis zu 65 Zentimeter große Nagetierart. Schon für rund 200 D-Mark könne man sich ein kleines Gehege mit Wasserbassin bauen und „ein Nutriapärchen oder -trio“ erwerben. „Wenn es mit rechten Dingen zugeht, sind nach viereinhalb Monaten die ersten Jungen da und alle viereinhalb Monate später die nächsten Würfe“, heißt es weiter in ihrem Artikel, der dann auch gleich zum Ziel der Zucht kommt: „Nach zehn Monaten können die Tiere ,gepelzt‘ werden. Dreißig Felle benötigt man für einen Mantel. Wenn man Glück hat, kann man ihn in anderthalb Jahren zusammenhaben.“

Nutrias sind für ihre robusten Mägen bekannt und begnügen sich mit Gartenabfällen als Nahrung. Insofern erscheint eine Hobbyzucht durchaus als günstige Alternative zu einem gekauften Mantel, der laut meiner Oma im Laden 1600 bis 2000 D-Mark kostet. „Sogar mitten in der Stadt können Nutrias gedeihen“, schreibt sie und erzählt von ihrem Besuch bei Familie L., die in der Charlottenburger Bismarckstraße Nutrias züchtet. Zehn kleine und drei große Sumpfbiber tummeln sich auf dem Dach des ausgebombten Hauses der Familie. „,Nachts werden sie besonders lebhaft‘, erzählt Frau L., während sie dem zahmen ,Dickerchen‘ das nasse Fell streichelt. ,Zuerst bin ich immer zum Kinderbett gelaufen, weil ich dachte, unser Baby schreit.‘“ Mit dem Pelzen habe man noch nicht angefangen, sagt Frau L. entschuldigend, „aber mein Mantel soll doch werden, da kommen wir nicht drum herum“. Herr L. ergänzt, Nutria-Braten schmecke wie junges Wildschwein. Ob Dickerchen dann denselben irdischen Weg wie Otto gegangen ist, verschweigt der Artikel.

Meine Oma lässt durchscheinen, so ein Nutriamantel sei schon eine feine Sache, auch für sie selbst. Ich habe meinen Vater gefragt: Meine Oma hat nie einen Sumpfbibermantel besessen. Einen anderen Pelzmantel minderer Güte schon, meine Mutter spricht etwas abfällig von „Persianerklaue“. Diesen Mantel hat mein Vater Jahre später mal als Weihnachtsmann-Verkleidung eingesetzt, die Nachbarskinder sollen bei der Bescherung wenig beeindruckt gewesen sein.

Mit einem Sumpfbibermantel aus eigener Zucht wäre das sicher nicht passiert.

Diese Kolumne ist gedruckt in der Tagesspiegel-Samstagsbeilage Mehr Berlin erschienen. Alle Folgen finden Sie unter diesem Link.

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