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In OMAS ZEITung (32): Ami in Kreuzberg

Dorothea Spannagel war Lokalreporterin im Berlin der 50er Jahre. Ihr Enkel Lars entdeckt ihre Texte neu. Diesmal: Der US-Stadtkommandant informiert sich, wie es den Menschen in Kreuzberg geht.

Der Herr Stadtkommandant hat da mal eine Frage. „Wieso sieht man in Berlin keine Arbeitslosen?“, will US-General Lemuel Mathewson im Mai 1951 von den Bezirksverordneten von Kreuzberg wissen. „Alle Leute in den Straßen gehen geschäftig und eilig ihres Weges.“ In Amerika würden Arbeitslose nur auf der Straße herumstehen und nichts tun. Ein Bürgervertreter antwortet: „Wir beschäftigen die Arbeitslosen mit dem Hin- und Hergehen zum und vom Arbeitsamt.“

Als meine Oma Thea über diesen Austausch in der „Neuen Zeitung“ berichtet, lässt sie offen, ob es sich bei der Antwort um Schlagfertigkeit, Zynismus, Offenheit oder Ironie handelt. Mir ist auch nicht bekannt, ob sich anschließend wütende arbeitslose Leser bei ihr darüber beschwert haben, wie sie von ihren Volksvertretern verspottet werden. In Kreuzberg scheint man jedenfalls schon vor 64 Jahren einen besonderen Ton zu haben, auch gegenüber US-amerikanischen Generälen.

Mathewson war nach Kreuzberg gekommen, um sich über die dortigen Zustände zu informieren. Bürgermeister Willy Kressmann berief schnell eine außerordentliche Bezirksamtssitzung ein, um dem General „einen Querschnitt durch die speziellen Sorgen des Bezirks“ zu geben, wie meine Oma schreibt.

In Kreuzberg gibt es die meisten TBC-Kranken

Die Arbeitslosigkeit ist dabei nur ein Thema, die schlechten Wohnverhältnisse sind ein anderes. Kreuzberg hat nach Angaben des Stadtrats für Gesundheitswesen „die meisten TBC-Kranken und -Gefährdeten“ in ganz Deutschland. Auch der Neubau von Wohnungen und Schulen macht den Mitarbeitern des Bezirks Sorgen, sie berichten zudem vom Kampf um die Erhaltung des Hebbel-Theaters und den ungewissen Aufbau der im Krieg zerstörten alten Philharmonie in der Bernburger Straße. Dem US-General wird auch ein neuer Vorschlag unterbreitet, wie meine Großmutter schreibt: „Der unbenutzte Görlitzer Bahnhof soll zu einem Sportplatz, den der Bezirk dringend braucht, umgestaltet werden.“

Mathewson hört zu – und zeigt sich beeindruckt davon, dass die Einwohner Kreuzbergs und Berlins sich nicht entmutigen lassen. Meine Oma berichtet, der General habe aus den Eigenheiten der Kreuzberger sogar grundsätzliche Merkmale der Stadt abgeleitet. „Der General erkannte sehr schnell die Mentalität der Berliner, die einfach nicht untätig sein können“, heißt es in ihrem Artikel. „Sie müssen eben ständig arbeiten, sei es auch ohne Verdienst.“

Wenn Amerikaner heute nach Kreuzberg kommen, haben viele von ihnen den umgekehrten Traum: nicht arbeiten und trotzdem Geld verdienen. Wie sie ist Mathewson begeistert von dem Bezirk und bittet darum, „nicht mehr als Kommandant angesehen zu werden, sondern als ein Freund Berlins und damit als Berliner“. Er konnte 1951 ja auch noch nicht ahnen, wie sich die Sache mit dem Görlitzer Park entwickelt.

Diese Kolumne ist gedruckt in der Tagesspiegel-Samstagsbeilage Mehr Berlin erschienen. Alle Folgen finden Sie unter diesem Link.

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