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In OMAS ZEITung (45): Saaltöchter

Dorothea Spannagel war Lokalreporterin im Berlin der 50er Jahre. Ihr Enkel Lars entdeckt ihre Texte neu. Diesmal: Oma Thea trifft Platzanweiserinnen bei der Berlinale.

Die großen Themen der Stadt, die wichtigsten Veranstaltungen West-Berlins – meine Oma Thea hat über fast alle berichtet. Allerdings sind es meist die Nebenschauplätze und Randfiguren, denen sie sich in ihren Texten widmen darf. 1952 schreibt sie für die „Neue Zeitung“ über die Internationalen Filmfestspiele. Allerdings ist ihr Thema mal wieder weder der Stargast der zweiten Ausgabe der Berlinale (Billy Wilder) noch der schwedische Siegerfilm des Wettbewerbs („Sie tanzte nur einen Sommer“). Sondern der oft übersehene und unterschätzte Anteil der Platzanweiserinnen am Gelingen des Festivals. Aus dem Artikel spricht eine große Sympathie, die meine Oma anscheinend für die jungen Frauen empfunden hat. Womöglich war es ihr sogar sehr recht, von der Redaktion nicht am Roten Teppich eingesetzt worden zu sein.

Noch anstrengender wird der Job, wenn der Film läuft

„Wer ihnen einmal zehn Minuten gelauscht hat, wird sich nicht mehr wundern, dass sie am Abend heiser sind und nur noch mühsam lächeln können“, schreibt meine Oma am 25. Juni über die jungen Damen, die sie liebevoll „Saaltöchter“ nennt. Die Stimmen der Platzanweiserinnen ertönen vor Beginn jeder Vorstellung ununterbrochen, berichtet sie: „Geradeaus, bitte – Das Filmprogramm bitte – Guten Tag, Herr Senator Tiburtius – Links, bitte – Ferngläser haben wir leider nicht – Garderobe im Foyer, bitte.“ Meine Großmutter schreibt voller Bewunderung, wie die Frauen nie ihre Fröhlichkeit und Professionalität verlieren, den Gästen auch auf Englisch oder Französisch behilflich sind und sich „untereinander die Gäste zuspielen wie ein gutes Sportteam den Ball“.

Noch anstrengender wird der Job, wenn der Saal dunkel ist und der Film läuft. Jetzt müssen die Damen flüstern und die Zuspätkommer per Taschenlampe zu ihren Plätzen navigieren, die meisten Besucher scheinen obendrein „entgegen jeder Logik im Dunkeln schwerhörig“ zu sein. 1952 ist Pünktlichkeit anscheinend keine weit verbreitete Tugend der kulturinteressierten Berliner: „Die Platzanweiserinnen im Delphi wissen zu berichten, dass ein Drittel der Besucher zwischen fünf und 45 Minuten nach Beginn des Films eintraf.“ Die Folge sind Blasen an den Händen der Frauen – „machen Sie mal (bei drei Vorstellungen hintereinander) 1158 Mal die Tür ganz leise auf und zu!“

Trinkgeld in Form von Pralinen

1952 findet das Festival noch im Sommer statt (erst 1978 erfolgt die Umstellung auf den Februar), die Gäste vergessen in den Kinosälen trotz des warmen Wetters haufenweise Regenschirme und Handschuhe. Die Platzanweiserinnen heben alles für die vergesslichen Filmfans auf. Als Dank für diesen Einsatz, „für gestiegenen Verschleiß an Nylonstrümpfen, Blasen an den Händen und Heiserkeit“, bekommen sie ab und zu „Trinkgeld in bar oder in Form von Pralinen“. Und eine hymnische Würdigung in der „Neuen Zeitung“.

Diese Kolumne ist gedruckt in der Tagesspiegel-Samstagsbeilage Mehr Berlin erschienen. Alle Folgen finden Sie unter diesem Link.

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