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Berlin: In zehn Tagen um die Welt

Die Grüne Woche ist globalisiert. Nur die Blumenhalle wirkt noch heimelig

Glaubt man dem Plakat der diesjährigen Grünen Woche, dann steht Berlin nicht in märkischem Sand, sondern auf dem Rücken eines gigantischen Goudas. Drinnen in den Hallen scheint es dann aber, als stünde die Stadt auf einer großen Wurst. Überall der Geruch von Geräuchertem und Geselchtem, überall bodenständige Würze statt Gourmet-Getändel. Nur in der Halle der Ukraine übertreiben sie es etwas an diesem Eröffnungsvormittag: Da hängt Qualm im Raum, als sei gerade ein Grillstand niedergebrannt.

Die Grüne Woche ist eröffnet, und sie hat sich wieder ein ganzes Stück in Richtung Osten geschoben. Besonders der Beitrag der Russen ist so raumgreifend, als handele es sich insgesamt um eine internationale Moskauer Agrarschau. Ohne Grundkenntnisse des kyrillischen Alphabets bleibt mancher Eindruck lückenhaft, und auch die Reden verschiedener russischer Agrar-Funktionäre auf der Bühne werfen in der Übersetzung mehr Fragen auf, als sie beantworten.

Estnisch ist dagegen leichter zu verstehen. Bei „Pikniku“ sieht man die Kräuterbockwurst praktisch vor sich, und auch die kleinere Wurstvariante ist als „Jakivorstika“ sinnfällig bezeichnet. „Balti Vürtsikilud“, Strömling in Würztunke, ist eher etwas für Fortgeschrittene. Die an diesem Morgen dicht an dicht herumwuselnden Politiker tragen dieser Osterweiterung Rechnung, allen voran Renate Künast, die mit Klaus Wowereit und dem Oberbauern Gerd Sonnleitner ein eingespieltes Trio bildet. Sie marschiert vornweg, probiert, nippt, plaudert, und den beiden Herren bleiben gewissermaßen die Zweitverwertungsrechte; aufs Bild dürfen sie meist auch. Die Ministerin erfreut sogar die Iraner, die unter dem aktuellen politischen Druck vermutlich um ihre Rolle als bedeutendster Lieferant der Kräutermedizin fürchten: Ach, sagt sie freundlich, der Joschka Fischer habe das schon im Griff.

Ein altes, ungelöstes Grüne–Woche-Rätsel besteht darin, dass die Messe am Freitag erst um 13 Uhr öffnet, aber schon gegen 11 knallvoll ist. Dem Augenschein nach handelt es sich überwiegend um ältere Besucher, die am frühen Morgen mit dem Bus in Finsterwalde oder Ueckermünde aufgebrochen sind, um sich frühzeitig vom Fortbestehen der Landwirte ihrer Heimat zu überzeugen. Blasmusik und Shantys treffen ihren Geschmack, während die Offensive der Messemacher zugunsten jüngerer Gäste zum Erliegen gekommen scheint: Ganz hinten, hinter der Tierhalle, wo McDonald’s, Luftwaffe, Krankenkassen und Online-Dienste nach Nachwuchs fahndeten, wo flotte Axtkünstler im Hip-Hop-Takt Baumstämme zu Sägemehl schnetzelten, hat sich nun die Wellness-Szene ausgebreitet, deren Protagonisten mit Energieringen, Sprungfederschuhen und allerhand Schutzmaßnahmen gegen Elektrosmog und Erdstrahlen wieder eher das Wohl älterer Gäste im Auge haben.

Messe-Traditionalisten finden dagegen nur noch wenig Heimat. Die Dänen, die einst halbe Hallen füllten, gehen unter neben libanesischen Online-Händlern und kanadischen Feuerwasser-Indianern, die USA sind überhaupt nicht mehr zu sehen. Auf die Blumenhalle dagegen ist Verlass: Nicht mehr so schnittig-kühl wie in den letzten Jahren, sondern bunt und gemütlich. Eben ganz wie früher.

Die Grüne Woche ist bis zum 30. Januar täglich von 9 bis 18 Uhr geöffnet. Die Tageskarte für Erwachsene kostet zwölf Euro. Weitere Infos unter Tel. 3069 6969

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