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Berlin: Ina Ibach (Geb. 1944)

Die Haut spannte, das Salz lag darauf, sie waren müde und glücklich.

Von David Ensikat

Man kann ganz gut leben ohne Apfelmus und Camembert. Das waren die Dinge, die sie aus Deutschland kannte und die ihr fehlten in Äthiopien. Manchmal hat sie davon gesprochen. Heimweh hatte sie nicht.

Ina, die noch den Nachnamen Ursin trug, war zehn, als sie von Deutschland nach Äthiopien kam. Ihr Vater, ein vielfach begabter Egomane und Glücksritter, folgte einem Angebot, fürs kaiserlich-äthiopische Informationsministerium Beraterdienste zu leisten, er nahm Frau, Sohn und Tochter mit, sie bezogen ein Haus in Addis Abeba, in dem die Betten einen Meter hoch waren, weil Flöhe nicht so hoch springen, und auf dessen Wellblechdach das Wasser in der Regenzeit einen solchen Lärm machte, dass man sich darunter nicht unterhalten konnte, und für Ina begann ein abenteuerliches Leben.

Es waren die fünfziger Jahre, eine Zeit, in der noch weniger Weiße nach Äthiopien kamen als heute. Statt auf Fahrrädern machten Ina und ihr Bruder Ingo Ausflüge auf Pferden. Der Vater nahm die beiden mit auf große Ausflüge, 200 Kilometer über Schotterpisten bis zum Shalasee mit dem Wasser, das man nicht trinken konnte, und den Ureinwohnern in den Ledersachen, die sich Butter als Hautschutz auf die Stirn rieben und abseits auf die geleerten Büchsen warteten. Der Vater nahm die Kinder mit nach Eritrea im Norden, ans Rote Meer, und wenn sie wieder heimfuhren, stundenlang über staubige Wege, dann lockerten sich die Schrauben des Autos, und die sonnengegerbte Haut spannte, und das Salz lag darauf, und sie waren müde und glücklich.

Die Mutter hatte sich vom Vater getrennt und war heimgekehrt nach Deutschland; Ina wurde eine Art Ersatzfrau, streng behütet, eifersüchtig beobachtet, überallhin mitgenommen. Er war so stolz auf sie, die schöne, kluge Ina, die von der Kaiserin von Äthiopien ein Geschenk bekam, weil sie die Beste in der Schule war. Aus Ina sollte etwas werden.

Kurz vor dem Abitur nahm der Vater sie von der Schule, es ging zurück nach Deutschland. Sie begann eine Ausbildung an der Kunsthochschule – und beendete auch diese nicht. Denn jetzt ging es nach Istanbul: Ina hatte sich in ihren Lehrer von der internationalen Schule in Addis Abeba verliebt, Herrn Ibach aus Deutschland, hatte ihn geheiratet, und nun berief man ihn in die Türkei ans Goethe-Institut. Sieben Jahre dort, dann drei Jahre als Rektor der Deutschen Schule in Kairo. Ina war die Frau an seiner Seite, bekam Kinder, repräsentierte, bewirtete, war schön und klug und wurde bewundert. Es waren gute Jahre. Sie erzählte später vom Gespräch mit Günter Grass in Istanbul und von dem ägyptischen Bediensteten, der missverstanden hatte, wie man ein Spanferkel serviert; statt diesem hatte er sich selbst Petersilie in die Ohren und eine Mohrrübe in den Mund gesteckt.

In Istanbul und Kairo funktionierte Inas Ehe gut, zurück in Deutschland weniger. Die bunten Kleider, die sie dort getragen hatte, fielen hier sehr auf, das weltoffene Leben, das sie dort geführt hatte, sollte sie gegen jenes einer deutschen Hausfrau tauschen. Ina Ibach war aber keine deutsche Hausfrau.

Freunde sagen: Das war eine Frau, die über ihr Leben selbst bestimmte.

Wer kann das denn? Eine Frau, die Mutter ist und ihre Kinder liebt, und alles für die Kinder tun will? Eine Frau, die niemals sagen kann, Geld sei zur Genüge da?

Eine solche Frau war Ina Ibach. Sie bestimmte: Ich will Mutter sein. Und: Ich mag meinen Ehemann, doch zusammenleben will ich nicht mit ihm. Sie lebte mit ihren Kindern, mal hier, mal dort, es war ihr wichtig, dass sie die Welt sehen, denn sie hatte selbst die Welt gesehen. Sie fand Wege, Geld zu verdienen, es war nie genug, sie mietete Wohnungen, stattete sie aus und vermietete sie weiter. Sie hegte Freundschaften – keine Liebschaften (drei wichtige Männer im Leben sind genug, fand sie; das waren: ihr Vater, ihr Bruder und ihr Ehemann).

Und sie machte, das ist das Entscheidende, die Welt um sich herum zu einer schönen Welt. Es heißt: Wo Ina war, da war es gut. Eine Freundin sagt: Ina brachte die Dinge zum Leuchten. Sie erzählt von gedeckten Tischen mit einfachen Speisen – wie Ina die Tische deckte, mit bunten Tüchern und den Blumen, das sei eine Kunst gewesen, so schön, dass es jedes Mal ein Festmahl war. Und die Freundin erzählt von den Ausflügen mit Ina, etwa dem nach Weimar vor zwei Jahren. Ina fand, nur Goethes Sommerhaus zu besuchen und das am Frauenplan, sei langweilig. Das Wetter war schön, also begaben sie sich an jene Stellen, an denen Goethe in der Ilm gebadet hatte, mutmaßlich. Er wird doch wohl gebadet haben? Die Nacht wollte Ina gern im Park verbringen, sie hatte Hängematten mitgenommen. Die Freundin fand ein Hotel angemessener. Als sie ankamen, saß da ein grießgrämiger, grauer Mann an der Rezeption, wortkarg. Die Freundin lief nochmal hinaus, holte etwas aus dem Auto, und als sie wiederkam, befand sich Ina in einem Gespräch mit demselben Mann, der plötzlich ein ganz anderer war: Er erzählte von seiner früheren Arbeit als Karosseriebauer, die er so gern getan und dann verloren hatte, er erzählte von der Liebe seines Lebens. Und das war nicht erstaunlich, weil Ina da war. Ina wusste, dass die Welt an jeder Ecke Geheimnisse bereithält, für jeden zu erkunden, der nur freundlich danach fragt.

Es gibt zwei Söhne und eine Tochter. Das ist die jüngste, 22 Jahre. Gerade alt genug, dass Ina sich im vergangenen Jahr durchringen konnte, sie ziehen zu lassen. Der Tochter stand ein neues Leben bevor, eine neue Freiheit. Ina ebenso.

Sie war keine Frau großer Pläne. Einen gab es aber doch, einen heiß ersehnten: mit Bruder Ingo Äthiopien besuchen, das Land der Abenteuer und der Jugend, nach 46 Jahren zum ersten Mal. Da kam der Krebs, unheilbar und schnell, und Ina, die so zufrieden mit ihrem Leben war, dass es noch viel länger dauern sollte, musste sagen: Jetzt gehe ich also auf eine andere Reise. David Ensikat

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