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Nie ganz auszuschließen. Das Infektionsrisiko, etwa beim Austausch des Hüftgelenks, liegt bei rund zwei Prozent.

© imago/JOKER

Infizierte Prothesen: Keime im Kunstgelenk

Prothesen in Hüfte oder Knie sollen den Patienten eigentlich mehr Mobilität bringen. Doch das Gegenteil kann der Fall sein: Wenn sie nämlich zur Infektionsquelle werden. Ein überregionales Zentrum an der Charité hat sich auf das Problem spezialisiert.

Die Krankengeschichte der älteren Dame aus der Region Magdeburg begann unspektakulär: Im Jahr 2014 bekam sie ein künstliches Hüftgelenk eingesetzt. Voller Hoffnung verließ sie die Klinik, machte ihre Reha. Fünf Wochen nach dem Eingriff entwickelte die Situation sich jedoch dramatisch: An der neuen Hüft-Endoprothese zeigte sich eine Infektion, es kam zu einer Blutvergiftung. Hartnäckig haftende Keime hatten sich von der Oberfläche des künstlichen Gelenks gelöst und im Körper zu einer lebensbedrohlichen Infektion geführt.

Sechs Wochen nach dem Einsetzen musste das Kunstgelenk wieder entfernt werden. Wo vormals ein Hüftgelenk war, klaffte nun eine Lücke. So war die vormals mobile Seniorin nun zunächst auf den Rollstuhl angewiesen. Zu allem Überfluss breitete sich die Entzündung im Jahr darauf auch noch auf das rechte Knie aus, in das sechs Jahre zuvor ebenfalls ein neues Gelenk eingebaut worden war. Und weitere Untersuchungen zeigten, dass auch das Herz von den bewussten Keimen befallen war.

Solche Infektionen entstehen zum Beispiel durch Bakterien, die während der Operation oder während des Heilungsprozesses in die Nähe der Prothese gelangen. In anderen Fällen streuen aber auch Keime von anderen Infektionsherden – im Mund, in den Harnwegen, in der Lunge – über den Blutkreislauf zum Operationsgebiet. Bei chronischem Verlauf kann das zur Lockerung der Prothese führen, akut zu schwerem Krankheitsgefühl.

Auch die Knieprothese musste ausgebaut werden

Man habe ihr in der Charité das Leben gerettet, davon ist die ältere Dame überzeugt, deren Geschichte in einer Wanderausstellung der deutschen Universitätsklinika kürzlich an verschiedenen Orten präsentiert wurde. Man kann sagen, dass ihre Geschichte an der Charité erst Fahrt aufnahm: Auch die Knieprothese musste nämlich ausgebaut werden. Dabei fand man noch Zementreste vom infizierten künstlichen Hüftgelenk, die die Ursache der Streuung waren. Doch es wurde zugleich mit einer Methode nach den Erregern auf den künstlichen Gelenken gefahndet, die der Infektions-Spezialist Andrej Trampuz 2013 von der Schweiz an die Charité mitbrachte, wo er als Sektionsleiter der Infektiologie und septischen Chirurgie tätig ist.

Die Methode heißt „Sonikation“: Fest an den Kunstgelenken haftende Erreger werden hier mittels Ultraschall aufgebrochen. Die abgelösten Biofilme werden anschließend im Labor mikrobiologisch untersucht. Man muss dazu wissen, dass die Bakterien und Pilze sich bevorzugt in ein Gerüst von Zucker-Eiweißen einlagern, das auf den Kunstgelenken einen klebrigen Film bildet. Damit schützen sich die Keime vor der körpereigenen Abwehr und vor den Antibiotika. Mittels Sonifikation und anschließender mikrobiologischer Analyse können die Mediziner aber 95 Prozent der Erreger nachweisen – und ihnen anschließend mit passgenau ausgewählten Antibiotika statt mit Breitbandmitteln zu Leibe rücken. Wenn Ärzte, die auf komplizierte Infektionen spezialisiert sind, Mikrobiologen und Chirurgen eng zusammenarbeiten, kann die Zeit zwischen Entfernen der alten und Einsetzen der neuen Prothese zudem noch merklich verkürzt werden.

Dass das Konzept erfolgreich ist, belegen inzwischen zahlreiche wissenschaftliche Studien. Beim Deutschen Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie in Berlin stand kürzlich aber auch ein Vortrag von Michael Müller, Oberarzt am Centrum für septische Chirurgie in der Orthopädischen Klinik der Charité, auf der Tagesordnung, der den nüchternen Titel trug: „Die spezialisierte Behandlung von infizierten Endoprothesen in einem Zentrum ist ökonomisch nicht tragbar.“ Der Hintergrund: Die Behandlungen sind teuer, und sie werden mit der üblichen Pauschale, die sich an Durchschnittsfällen orientiert, nicht abgedeckt. Bis zu einer gewissen Anzahl kann ein Krankenhaus das kompensieren. Für Zentren, in denen sehr viele Patienten mit Prothesen-Infektionen behandelt werden, ist das aber kaum möglich. „Dafür gibt es aktuell jedoch noch keine Lösung, obwohl eine zentralisierte Behandlung dieser komplexen Fälle sehr sinnvoll ist“, sagt Müller. Allein im Jahr 2015 hat die Klinik auf diese Weise bei der Behandlung von 144 Patienten mit solchen Infektionen ein Defizit von über 630 000 Euro gemacht, 2300 Euro für jeden von ihnen, so rechnet der Oberarzt vor. In das Charité-Zentrum kommen Patienten aus ganz Deutschland, auch wenn die Region Berlin-Brandenburg mit 75 Prozent am stärksten vertreten ist.

Das Risiko beträgt bis zu zwei Prozent, bei Älteren ist es höher

Das Risiko, nach der Implantation eines künstlichen Gelenks eine Infektion zu bekommen, beträgt ungefähr 0,5 bis 2 Prozent. Deutlich höher ist es für hochbetagte Patienten und solche mit mehreren chronischen Krankheiten, für schwer Übergewichtige und für Diabetiker. Für sie liegt es, wie Studien zeigen, bei rund zehn Prozent. Aber die meisten dieser Infektionen können die Ärzte gut in den Griff bekommen. Sie haben sich inzwischen auf Standards für das Vorgehen geeinigt. Sind die Biofilme erst wenige Wochen alt, dann sind sie oft gut zu entfernen, ohne dass die Prothese gleich mit herausgenommen werden müsste. In jedem sechsten Fall ist die Lage allerdings komplizierter. Diese Patienten brauchen meist mehrere Eingriffe, sie verbringen im Schnitt 16 Tage in der Klinik, dabei müssen sie oft getrennt von anderen untergebracht werden, weil ihre Keime isolationspflichtig sind.

Bei der Mehrheit dieser Patienten hätte es nach Michael Müllers Einschätzung vermieden werden können, dass die Behandlung derart kompliziert wird. Eines ist ihm allerdings wichtig: Wenn es zu einer Infektion kommt, ist das nicht automatisch Folge eines „Kunstfehlers“. „Es handelt sich um ein Risiko, das wir nicht auf Null stellen können, und das mit der Anzahl der Begleiterkrankungen und dem Alter steigt.“ Wichtig sei aber, wie die Klinik damit umgeht: Kommen die Operateure auf die Patienten zu und sprechen mit ihnen? Gibt es ein klares Konzept für das weitere Vorgehen?

Einige Fragen sollten sich Menschen, die ein künstliches Knie- oder Hüftgelenk brauchen, aber schon vor dem ersten (und hoffentlich einzigen) Eingriff stellen: So kann man sich darüber informieren, ob es sich um eine Abteilung handelt, die als Endoprothetik-Zentrum zertifiziert ist, die eine größere Anzahl von Eingriffen vorzuweisen hat und die am zentralen Register für endoprothetische Eingriffe teilnimmt, das seit einigen Jahren geführt wird.

Der Fall der Patientin aus der Nähe von Magdeburg ist in diesem Register übrigens inzwischen in anonymisierter Form dokumentiert: Wenige Wochen nach der Herausnahme der alten Kunstgelenke bekam sie an der Charité nämlich zwei neue Implantate. Zwei Monate später konnte sie schon wieder längere Strecken mit dem Rollator bewältigen.

Hygiene ist auch ein wichtiges Thema in unserem aktuellen Klinikführer „Tagesspiegel Kliniken 2018/2019“. Das Heft enthält unter anderem eine große Reportage zur Frage, wie sich Krankenhäuser generell vor Keimen schützen können. In dem Magazin werden 62 Erkrankungen und ihre Therapie ausführlich vorgestellt, darunter auch künstliche Hüft-, Knie- und Schultergelenke sowie Bandscheiben. Das Heft kostet 12,80 Euro und ist erhältlich im Tagesspiegel-Shop, www.tagesspiegel.de/shop, Tel. 29021-520 sowie im Zeitschriftenhandel. Hilfreiche Informationen für Patienten, die kurz vor einer Gelenks-OP stehen, bietet auch das Endoprothesenregister Deutschland auf der Webseite www.eprd.de.

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