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Infrarotfoto-Ausstellung: Falschfarben auf Beton

An einem ehemaligen DDR-Grenzturm am Schlesischen Busch in Treptow sind Infrarot-Fotos ausgestellt. Bereits kurz nach der Wende wurde das Gebäude immer wieder von verschiedenen Künstlern als Ausstellungsort genutzt.

Es ist nicht zu hoch gegriffen, den ehemaligen DDR-Wachturm am Schlesischen Busch zum Sinnbild für die Entwicklung Berlins in den letzten fünfzig Jahren zu erklären. Deutsche Teilung, die zwei Berlins, Wiedervereinigung und der Aufstieg zur Kultur- und Party-Metropole: Alles hat er mitgemacht. Heute jedoch ist der zwölf Meter hohe Klotz ein Gebäude, das aus der Zeit gefallen ist und dem Betrachter sinnlos vorkommt, inmitten einer kargen Grünanlage an der Grenze zwischen Kreuzberg und Treptow. Selbst die Graffitis schaffen es nicht, ihn in die Jetzt-Zeit zu beamen.

Bei seiner Errichtung als „Führungsstelle“ 1963 hatte das Bauwerk eine klare Funktion: die Bewachung der zwei Jahre zuvor um die Mauer verstärkten Systemgrenze. Heute erinnern noch die unter der Decke montierten Teile der Bedienungsanlage für Suchscheinwerfer an diese Zeit. Drei Grenzer und ein Offizier schoben in dem von innen und außen mausgrauen „Beobachtungsturm“ Dienst, eine klaustrophobisch enge Arrestzelle und die schmalen Treppen zeugen von einer funktionalen Bauweise.

Ganz anders interpretierte der Ost-Berliner Künstler und Liedermacher Kalle Winkler den kargen Betonblock. Noch drei Tage vor der offiziellen Beendigung aller Grenzkontrollen am 1.Juli 1990 besetzte er mit Gleichgesinnten den Turm. Hier entstand das „Museum für Verbotene Kunst“. Wilde Parties und spontane Ausstellungen zogen ein, die von Winkler angebotenen Drinks hatten obskure Namen wie „Toter Grenzer“ oder „Transitvisum“. Dazu passend trug die Getränkekarte die Überschrift „Fünfjahresplan“. Die anarchischen Zwischennutzer bildeten die Schutzmacht des Gebäudes. 1992 wurde es unter Denkmalschutz gestellt. Schon zuvor waren alle Demontage-Versuche der Bundeswehr und später der Stadt am Widerstand von Winkler und seinen Freunden gescheitert. Über 300 Wachtürme gab es zu DDR-Zeiten. Warum entging der am Schlesischen Busch zusammen mit nur einer Handvoll anderer den Abrissbirnen?

Die Historikerin Christine Brecht engagiert sich im Verein Flutgraben e.V., der sich unter anderem mit der Geschichte des Turms beschäftigt. „Ich glaube, dass Winkler eine Mauerobsession hatte. Der hat alles für den Erhalt getan“, sagt sie. Nachforschungen des Vereins brachten Überraschendes aus der Vita des Künstlers zutage. Vor allem seine Tätigkeit als Stasi-IM hätte in den Wendejahren bestimmt für Wirbel gesorgt. Anfang der achtziger Jahre war er in die Bundesrepublik ausgewiesen worden. Winkler starb 1995 bei einem Badeunfall, der von ihm gegründete Trägerverein löste sich auf.

Die Macher von Flutgraben übernahmen den anachronistischen Ort, 2004 wurde saniert, die Stadt trug die Kosten – eine Kehrtwende zu einer Zeit, als man vergleichbare Bauwerke in Berlin bereits an einer Hand abzählen konnte. „Die Stadt hat keine Nutzungsvereinbarung festgelegt. Das ermöglichte vielfältige kulturelle Aktivitäten“, sagt Brecht über die zahlreichen Ausstellungen, die im Turm unweit der Puschkin-Allee stattfinden.

Die gerade eröffnete Fotoschau „Berlinfeelings“ von Horst Eberlein verzichtet darauf, sich im Inneren auszubreiten, die Berlin-Aufnahmen hängen an der Außenfassade. Ironischerweise sind es ausgerechnet Infrarot-Fotos, die Eberlein zeigt, schließlich ist diese Technik eng verwandt mit dem Wärmebild, allein die Wellenlänge des Lichtes ist bei diesem höher. Auch wenn diese Methode früher nicht zum Standard der DDR-Wächter gehörte, wird die Wärmebild-Technik heute überall auf der Welt verwendet, um Flüchtlinge zu lokalisieren, die sich im Schutz der Nacht illegal auf die andere Seite einer Grenze schleichen wollen. Doch politisch will Eberlein, für den es die erste Ausstellung dieser Art ist, gar nicht verstanden werden. „Ich habe keinen missionarischen Eifer, es geht darum, die Stadt intensiver wahrzunehmen“, sagt er. 1999 kam der aus Bamberg stammende Eberlein nach Berlin, elf Jahre, in denen er viel Zeit mit der Beobachtung der Stadt verbracht hat, vor allem aber auch „mit der Beobachtung der anderen Beobachter“, wie er selbst formuliert.

Die Bilder sind auf wetterfeste Lkw-Planen gedruckt, sie hängen unter den Fenstern, die auf der dritten und damit höchsten Ebene des Turms früher Grenzern einen Überblick über den Todesstreifen verschaffen sollten. Weil auf Infrarot-Aufnahmen Orange, Weiß und Blau dominieren, während Rot gänzlich fehlt, sieht das Berlin des 21. Jahrhunderts aus wie Havanna 1980, weichgezeichnet und etwas ausgebleicht. Selbst die Riesen Reichstag und Berliner Dom scheinen nicht mehr so gewaltig, das Foto einer Trabi-Safari vor wolkigem Himmel müsste jeden Nostalgiker entzücken. Mit den „Berlinfeelings“ will Eberlein noch nicht Schluss machen, seine extra für die Infrarot-Aufnahmen umgebaute Kamera soll in diesem Jahr auch in Hamburg und Frankfurt zum Einsatz kommen, München hat er in der auch Falschfarben-Fotografie genannten Technik bereits festgehalten.

Was aus dem Turm am Schlesischen Busch wird, wenn die Geschichte wieder einmal weitergezogen ist? Wenn er jeden Entwicklungsschritt der Stadt so treu mitmacht wie bisher, wird vielleicht einmal Nanotechnologie in ihm erforscht. Oder es wird wieder, wie ganz zu Anfang, die Sicherheit im Park von ihm aus überprüft. Nur die Bedienanlage für die Suchscheinwerfer wird hoffentlich nie mehr in Betrieb genommen.

Grenzwachturm Schlesischer Busch, Am Flutgraben 3 (Treptow), bis 14. April, die Bilder sind ganztägig zu sehen.

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