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Berlin: Inge Heinrichs-Breuer (Geb. 1946)

Im Herzen immer die verrückte Zeit, die gar nicht so verrückt war

Sie war einfach da. Die kleine Inge mit der großen Klappe. Warum sie nach Berlin gekommen war? Wahrscheinlich, weil sich ihr in Solingen das Herz zusammenpresste, aber so genau wusste das keiner. Die Hauptsache war ja: Da saß sie nun, im „Estaminet“. Anfang der Siebziger bis Mitte der Achtziger saß sie da, nahezu jeden Abend, solange es die Kneipe gab. Ihr zweites Zuhause: ein langer Tresen, an dem jeder sich einzureihen hatte. Keine weiteren Aufnahmeformalitäten. „Ich bin Hans“ – „Ich bin Hilde“ – und schon waren sie dabei, Hans und Hilde, erst recht, wenn sie eine Runde spendierten, und es wurden viele Tresenrunden spendiert. Manch einer war schon still und selig, bevor er überhaupt dran war mit Bestellen. Aber Suff war nicht das Klassenziel.

„Sometimes you want to go / Where everybody knows your name, / And they’re always glad you came; / You want to be where you can see, / Our troubles are all the same .“ Wer die Serie „Cheers“ kennt, der kennt die Titelmelodie des Kneipenlebens. Aber die Musik im „Estaminet“ war besser. Dafür sorgte schon Klaus Hoffmann. „Estaminet, Estaminet, alte Kneipe tut’s auch weh ... ich werde gehen … werde gehen.“ Aber die meisten kamen dann doch wieder. Schauspieler und Bildhauer, Musiker und Taugenichtse, Beamte und Taxifahrer, die Berliner Mischung eben.

Jeder war für den anderen ein Exot, ein liebenswerter. Manche gingen verloren, manche wurden reich oder langweilig. Nicht so Inge. Inge ging es gut, denn sie ging den Mittelweg, ihren Weg. Wenn in der Wohnung nichts mehr zu machen war, ging sie runter und ums Eck ins „Estaminet“. „Mein verlängertes Wohnzimmer.“

Sie musste hopsen, um auf den Barhocker zu kommen, aber wenn sie mal saß und sich reckte, bekam sie die Aufmerksamkeit, die sie verdiente.

Hübsch war sie und apart, das fiel auch Klaus auf, und Klaus fiel ihr auf, ein hübscher Dunkelhaariger, und der Barmann winkte sie zusammen, und was im Kneipenhimmel vereint wird, wird auf Erden so schnell nicht geschieden. Inge bestimmte, wo es langging, und Klaus ließ es sich gern gefallen. Er war mal Gitarrist, war mit Ricky Shayne getourt, „ich sprenge alle Ketten“, auch so eine Lebensmelodie, die im Herzen bleibt. Nun war er Hausmeister und sie Sekretärin, beide im selben Institut, und getrennt haben sie eigentlich nur noch wenig unternommen, zusammen sehr viel. Ein Liebespaar aus Liebe, nicht aus Not, keine Einbeinigen, die sich aneinanderlehnen mussten.

Sie waren auf Hawaii, aber das war‘s dann auch an Exotik. Hier und da an die Ostsee. Ein neues Auto ja, aber gefahren sind sie nicht damit, zwei neue Fahrräder, die kaum genutzt wurden, das Fitnessprogramm lief über den Fernseher und die Playstation. Sparsam waren sie, aber nicht knausrig. Im Herzen immer die verrückte Zeit, die gar nicht so verrückt war, aber schön war sie. Wie ein Lied, das sie sich immer wieder vorsingen konnten.

Inge blieb hübsch und adrett, und blond dank des Frisörs. Borstig blieb sie auch. Sie hat sich gern gestritten, vor allem mit Ärzten, mit denen war sie unzufrieden, denn sie war Hypochonder und ließ sich ihre Wehwehchen nicht gern kleinreden. Als sie dann wirklich krank wurde, da war sie ganz anders, da hatte sie nichts mehr zu meckern. Tapfer war sie. Am Jammern hatte sie kein Vergnügen mehr.

Bis zum Schluss hat sie immer noch versucht, alles zu regeln. Handwerker, Gardinen, was sie für die neue Wohnung alles noch so brauchten, die sie gar nicht mehr würde nutzen können. „Es wird doch wohl wieder werden.“ Wurde es aber nicht. Mehr gab es dann nicht zu reden.

Auf der Beerdigung waren nicht viele, aber wie viele müssen auf einer Beerdigung sein? Eine Handvoll Freunde genügt, Stammgäste aus dem „Estaminet“ die meisten, und ein Lied, wie das von Klaus Hoffmann, „du bist nicht so wie alle anderen …“ Weil sie eben Inge war. Die einfach dazugehörte. „Weil du das große Abenteuer wie ein Geheimnis mit dir führst, weil du nicht satt bist und das Feuer so vieler Leben in dir spürst.“

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