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Die Breakdance-Gruppe der „Knochenbrecher Crew“ aus Reinickendorf.

© Privat

Innensenator Geisel und der Fall "Turtulli": Arzt: Familienvater zu krank für Abschiebung

Eine Familie aus Albanien soll abgeschoben werden. Der Protest ist enorm. Das Kind ist Klassensprecherin, der Vater schwer krank. Jetzt gibt es Bewegung.

Es war eine Exklusiv-Show für den Innensenator: Die Breakdance-Gruppe der „Knochenbrecher Crew“ aus Reinickendorf tanzte vorige Woche vor der Senatsverwaltung für Inneres und Sport. Sie wollten Andreas Geisel (SPD) eine Unterschriftenliste überreichen. Um Sport ging es jedoch nicht. Sondern um seine Entscheidung, den Härtefallantrag der Familie Turtulli aus Albanien abzulehnen.

Die 13-jährige Tochter Marsilda ist Teil der Knochenbrecher. Doch zusammen mit ihren Eltern soll sie abgeschoben werden. Die Ausländerbehörde hatte zuletzt nur einer Aufenthaltsverlängerung von ein paar Wochen zugesagt. Der Vater ist schwer krank. Durch die operative Entfernung der Hirntumore ist er schwer behindert und auf psychologische und medikamentöse Behandlung sowie Kontrolluntersuchungen an der Charité angewiesen. Trotzdem stufte ihn die Ausländerbehörde als reisefähig ein.

Die Familie kam 2015 nach Deutschland, ihr Asylantrag wurde im März 2017 abgelehnt. Die zwei volljährigen Kinder der Familie, die derzeit Ausbildungen in Berlin machen, dürfen in Deutschland bleiben. Die Breakdancer haben mehr als 28.000 Unterschriften für ein Bleiberecht für Marsilda und ihre Eltern gesammelt, die sie am Ende der Show vor der Senatsverwaltung einer Sekretärin übergeben durften. Geisel selbst möchte sich nicht „zu Einzelfällen“ äußern. Aus Gründen des Daten- und Persönlichkeitsschutzes der albanischen Familie.

Vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer können sich an Mitglieder der Härtefallkommission wenden und sich dort zunächst beraten lassen. Die Kommission prüft, ob im Einzelfall Umstände vorliegen, die einen weiteren Aufenthalt aus „dringenden humanitären oder persönlichen Gründen“ rechtfertigen. Dann richten sie, wie im Fall der Turtullis, ein Ersuchen an den Innensenator. Dieser muss der Meinung der Kommission nicht folgen, sondern entscheidet aufgrund der ihm vorliegenden Dokumente. Sein Beschluss unterliegt auch keiner gerichtlichen Prüfung.

Bemühungen nicht ausreichend

Im vergangenen Jahr wurden 366 Fälle bei der Härtefallkommission angemeldet. 272 Fälle mit insgesamt 738 Personen wurden zugelassen und in 15 Sitzungen beraten. In 262 Fällen hat die Kommission ein Gesuch an den Innensenator gestellt, die Asylgesuche zuzulassen. In 182 Fällen folgte Geisel dem Votum der Kommission gegen eine Abschiebung, was eine Quote von 69,5 Prozent ergibt.

Im Fall der Turtullis hat sich Geisel für eine Abschiebung entschieden. Die Integrationsbemühungen der Familie werden als nicht ausreichend eingestuft. In den Akten der Ausländerbehörden steht, die Asylbewerber hätten weder Arbeit gesucht, noch Deutschkurse besucht, die schulischen Leistungen der 13-Jährigen seien nicht gut gewesen. Albanien wird als sicheres Herkunftsland eingestuft.

Der Breakdance-Trainer von Marsilda und Promotionsstudent aus Potsdam, Saman Sebastian Hamdi, widerspricht: Das Mädchen sei bestens integriert gewesen und spreche deutsch. Sie sei zuletzt zur Klassensprecherin gewählt worden. Die Eltern hätten Deutschkurse belegt, jedoch sei es dem Mann aufgrund seiner Erkrankung eine Zeitlang nicht mehr möglich gewesen, daran teilzunehmen. Seine Frau habe sich daraufhin um viele Dinge im Krankenhaus kümmern müssen. Trotzdem nahmen beide bald wieder an den Kursen teil, trotz der Erkrankung. Und die Frau habe als Putzkraft gearbeitet, bis ihr dieses untersagt wurde, da sie nur einen Duldungsstatus hat. Arbeitsangebote habe sie auch derzeit noch vorliegen, sagt Hamdi. Die Knochenbrecher Crew, die vom Berliner Senat als Integrationsprojekt gefördert wird, wurde zuletzt bereits durch Abschiebungen dezimiert.

Vater nicht transportfähig

Der Direktor der Klinik für Neurochirurgie der Charité hat sich mit einem Brief vom 31. August an die Ausländerbehörde gewandt. Mit der Bitte „um Verständnis der aktuellen Situation für die weitere Verlängerung des Aufenthalts“ der Familie Turtulli in Berlin. Der Tumor sei wieder ausgebrochen und „potentiell lebensgefährlich“. Die Behandlung könne nur in einem erfahrenen Zentrum wie der Charité stattfinden. Der Senatsverwaltung des Inneren war dieser Brief offenbar nicht bekannt. Geisels Entscheidung gegen den Härtefall war vor dem 31. August gefallen.

Die Innensenatsverwaltung wollte sich auf Nachfrage zunächst nicht zu dem Schreiben des Arztes äußern. Die Knochenbrecher haben sich auch an den Petitionsausschuss des Abgeordnetenhauses Berlin und den Regierenden Michael Müller (SPD) gewandt. „Aufgrund der neuen Sachlage sollte Innensenator Geisel seine Entscheidung überdenken“, sagt Trainer Hamdi. Die Petition der Gruppe mit dem Titel "Bleiberecht für Breakdancerin Marsilda und ihre Familie" wurde bereits von fast 35.000 Menschen unterschrieben.

Der Petitionsausschuss des Abgeordnetenhauses hat die Senatsverwaltung für Inneres und Sport nun um eine Stellungnahme zu dem Fall gebeten.

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