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Berlin: Innensenator: Neue Qualität der Gewalt am 1. Mai

Körting und Polizeipräsident Glietsch wollen Konzept ändern, aber trotzdem am zurückhaltenden Polizeieinsatz festhalten

Nach den Ausschreitungen am 1. Mai in Kreuzberg ist eine heftige Debatte um die zurückhaltende Polizeistrategie entbrannt. Bei den Krawallen waren 175 Polizisten durch Stein und Flaschenwürfe verletzt worden. 139 Randalierer wurden festgenommen. Die Gewalttäter fackelten 18 Autos ab und zerstörten zahllose Scheiben von Kreuzberger Geschäften. Der entstandene Sachschaden beträgt mehrere 100 000 Euro.

Innensenator Ehrhart Körting (SPD) verteidigte das Deeskalationskonzept der Polizei: „Zu dem von uns eingeschlagenen Weg gibt es keine Alternative“, sagte er gestern. Es gebe allerdings eine „neue Qualität der Gewalt“. Dieses Mal seien die Krawalle nicht von den abendlichen Demonstrationen ausgegangen. Im Auto von vier Festgenommenen, die ein Auto angezündet hatten, seien Brandflaschen und eine scharfe Pistole gefunden worden. Dies zeige, dass die Ausschreitungen keinesfalls spontan erfolgten, sondern von langer Hand vorbereitet.

Die Oppositionsparteien CDU und FDP warfen Innensenator Körting vor, mit seiner Deeskalationsstrategie versagt zu haben. Das Konzept der polizeilichen Zurückhaltung „ist nicht aufgegangen und damit gescheitert“, sagte CDU-Innenpolitiker Frank Henkel. Erst nachdem die Polizei eingriff und die Deeskalationsstrategie aufgab, konnten die Beamten die Situation teilweise entschärfen. Allerdings war es „durch die Verspätung für die Beamten doppelt schwer geworden, die Lage in den Griff zu bekommen“. Der rot-rote Senat „hat sich aus seiner Verantwortung gestohlen und damit Polizei und Bürger mit der Bewältigung des 1. Mai allein gelassen“, kritisierte auch FDP-Innenpolitiker Alexander Ritzmann. Einzig die Grünen warben dafür, am Konzept der Deeskalation festzuhalten. „Es musste klar sein, dass die Polizeistrategie der ’ausgestreckten Hand’ nicht sofort einen friedlichen 1. Mai herbeiführen könnte“, sagte Grünen-Innenexperte Wolfgang Wieland. „Deeskalation muss wirken, wirkt mittelfristig und braucht Zeit.“ Es sei falsch, nach nur zweimaliger Erprobung des Konzepts „jetzt wieder in das andere Extrem des Verbots und der übertriebenen Härte zu verfallen“. Damit hätten auch CDU-Senatoren der Vergangenheit keine Krawalle verhindert.

Für Polizeipräsident Dieter Glietsch gibt es ebenfalls „keinen Anlass, an der Richtigkeit des Deeskalationskonzeptes zu zweifeln“. Allerdings ist die Polizeiführung nicht hundertprozentig mit der Umsetzung zufrieden: In einigen Bereichen seien „die polizeilichen Reaktionszeiten zu lang“ gewesen. So konnten rund 300 Randalierer fast eine Stunde lang ungestört ein Seat-Autohaus an der Mariannen-/Skalitzer Straße angreifen, bevor die Polizei die Gewalttäter abdrängte. Zuvor hatten sie eine Einheit aus Niedersachsen an dieser Stelle mit einem Hagel aus Steinen und Flaschen in die Flucht geschlagen. Allein hierbei wurden 57 Beamte verletzt.

Auch beim Sturm auf die Sparkasse an der Muskauer- Ecke Eisenbahnstraße wüteten die Gewalttäter fast 20 Minuten lang, ohne dass die Polizei eingriff. Woran das lag, werde untersucht, sagte Polizeieinsatzleiter Alfred Markowski. Durch ihre Deeskalationsstrategie werde die Polizei jetzt im früheren SO 36 akzeptiert. Bei den Besuchern der verschiedenen Feste habe es am 1. Mai im Gegensatz zu früher keine Aggressionen gegen die Beamten gegeben. Die Masse der Besucher habe Gewalttätern keine Deckung mehr geboten. Häufig seien Festbesucher Steinewerfern sogar in den Arm gefallen.lvt/weso

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