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Berlin: Innere Werte

Die Baugruppe Berkaer Straße erhielt von ihrer Architektin ein Haus ganz nach individuellen Wünschen.

Der Tag scheint hier oben schöner auszuklingen als anderswo. Leise schaukeln Gräser und Pflanzen im Wind: Ahorn, Lavendel, Grünlilie. Zwei Buddha-Statuen lächeln dazu, die Abendsonne übergießt alles mit milchig-goldenem Schein. Jetzt noch ein Glas Weißwein, und man ist glücklich. 18 Meter ist dieser riesige Balkon breit und mit Holz auslegt. Annette Martin, Steuerberaterin, und Karin Schröder, Diplom-Psychologin, haben ihn für sich alleine. „Das ist so ganz Unseres“, sagt Annette Martin, und es klingt, als würde es aus tiefster Seele kommen. Beide haben vorher schon in Eigentum gewohnt, aber in zuvor fertig gebautem. Sie konnten beim Grundriss nicht mehr mitreden. Das ist hier völlig anders.

Die beiden bewohnen das oberste Apartment der Berkaer Straße 38, sie sind eine von vier Bauherren-Parteien, die dieses Haus vor zwei Jahren als Baugemeinschaft errichtet haben. Annette Martin kam in den siebziger Jahren aus Baden-Württemberg nach Berlin, ihre Partnerin lebt seit den neunziger Jahren hier. In ihrem Regal stehen die klassischen Insignien des Bildungsbürgertums: Goethe, Brecht, Christa Wolf. Auf der Morgenseite der Vier-Zimmer-Wohnung das Kontrastprogramm zur buddhistischen Heiterkeit auf der Westseite: Das Rathaus Schmargendorf grüßt mit seinem Türmchen-und-Zinnen-Historismus durch die großen Fenster. „Unsere Fototapete“, sagt Annette Martin. Beim Aufstehen hat sie das Gebäude immer vor Augen.

„Viele Jahre lang befand sich an dieser Stelle der Schrebergarten zweier älterer Damen“, erzählt Architektin Anne Lampen. Ein Stück Natur, dass sich unerklärlicherweise direkt gegenüber dem Rathaus halten konnte, bis die Baugemeinschaft das Grundstück für rund 460 000 Euro kaufte. „Die besondere Herausforderung war die geringe Breite des Grundstücks von nur 20 Metern“, sagt Anne Lampen. Ihr Entwurf nutzt den Raum maximal aus und berücksichtigt dennoch alle Wünsche der Bewohner.

Die sechs Wohnungen erstrecken sich teilweise auf mehrere Ebenen, sogenannte Split Levels: eine Bewegtheit, die man der Fassade von außen ansieht. Zwischen der eher spießigen Bebauung der Siebziger und Achtziger zu beiden Seiten sticht sie deutlich heraus. Von der Eingangstür streckt sich ein langer Gang bis in den Garten hinter dem Haus. Der Gang war Anne Lampen sehr wichtig: „Ich wollte, dass Besucher von der Straße aus das Grün sehen, dass sie sofort hineingezogen werden.“ Auf der straßenabgewandten Seite sind alle Balkone versetzt, manche ragen weit nach außen, andere stülpen sich eher nach innen. Ein Spiel, das Privatheit und Öffentlichkeit zugleich erlaubt.

In einer Maisonettewohnung lebt Birgit Knicker mit ihrer Partnerin. Sie ist selbst Architektin und hat die schlanken, blauen Lampen entworfen, die das Treppenhaus ebenso prägen wie die hölzernen Kanten der Stufen. Ihr Wohnraum erstreckt sich sogar über fünf Ebenen auf drei Etagen. Ganz unten befindet sich die Küche, hier sind die Decken am höchsten. Je intimer die Räume werden, desto mehr senkt sich die Decke ab. Besonders liebt Birgit Knicker den „Green Box“ genannten Vorgarten. Eine hohe Hecke schirmt ihn von der Berkaer Straße ab. Sie musste die Hecke zweimal kaufen, die letzte hat den strengen Winter nicht überlebt, diese schlägt jetzt gut an.

Laut Anne Lampen erreicht der KfW-Energiestandard den Wert von 55, nur Passivhäuser haben einen noch niedrigeren Wert. Heißt: Das Haus strahlt wenig Energie ab. Die Fenster sind dreifach verglast, was bei so großen Flächen ein ungewöhnlich hoher Aufwand ist. Wirklich entscheidend ist aber das Prinzip Erdwärme statt Fernwärme. Im Garten wurden drei 100 Meter tiefe Löcher gebohrt, die die Wärme direkt aus tieferen Erdschichten holen. Kurze Wege sparen Geld und holen die anfänglich höheren Baukosten für dieses System wieder rein. Nur rund fünf Prozent aller Berliner Häuser werden auf diese Weise versorgt.

Verlässt man das Haus, scheinen alle bautechnischen Fragen und energiesparenden Konzepte ganz schnell wieder schnuppe. Im Café nebenan klappern Tassen, murmelnde Stimmen verwehen im Wind. Ein Junge trägt sein Cello ins Rathaus. Schmargendorf ist eine Zwischenwelt, immer noch urbanes West-Berlin, jedoch schon an der Grenze zum Dörflichen. Das Beste beider Welten sozusagen.

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