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© Kitty Kleist-Heinrich

Innovation im Bildungssektor: Verstärkung für Problemschulen

Einser-Abschluss, Praktika, soziales Engagement – beste Voraussetzungen für die schnelle Karriere. Genau solche Uni-Abgänger will die Initiative "Teach First" für zwei Jahre an Problemschulen schicken. Sind die Lehrer auf Zeit ein Ausweg aus der Bildungsmisere?

Die jüngsten Brandbriefe aus Berlin-Mitte haben die unhaltbare Situation an vielen Schulen wieder in den öffentlichen Fokus gerückt. Baufällige Gebäude, Gewalt, schlechte Pisa-Ergebnisse, perspektivlose Schüler, nicht genügend Lehrer – die Probleme sind bekannt. Doch Reformen dauern oft lange und werden ob der vielen Nachbesserungen und Kompromisse zu einer weiteren bürokratischen Last für Lehrer und Schüler.

Dass es auch einfallsreiche unbürokratische Auswege geben kann, zeigen zum Beispiel die USA. Dort ist die Initiative "Teach for America" erfolgreich, die vor knapp 20 Jahren von der Princeton-Absolventin Wendy Knopp gegründet wurde. Sie rekrutiert die besten Absolventen der renommierten Hochschulen des Landes und schickt sie für zwei Jahre an Schulen in sozial schwachen Vierteln. Dahinter steht die Idee, dass Kinder, die durch äußere Umstände wie Armut benachteiligt sind, im Gegenzug die besten Lehrer verdient haben. In Großbritannien läuft das Programm seit 2002 unter dem Namen "Teach First".

Von Amerika nach Deutschland

Auch in Berlin soll es schon im Herbst Junglehrer nach amerikanischem und britischem Vorbild geben. Dafür will Kaija Landsberg sorgen. Die 29-Jährige studierte selbst an der privaten Hertie School of Governance in Berlin. Nachdem sie in ihrer Masterarbeit feststellte, dass es mit der Chancengleichheit im deutschen Bildungssystem nicht zum Besten steht, suchte sie nach Lösungen. Sie fand "Teach for America".

Landsberg flog nach New York und London, sprach mit den Organisatoren, besuchte Klassen. "Dabei ist der Funke übergesprungen", sagt sie. Seitdem arbeitet sie daran, das ambitionierte Programm auch in Deutschland umzusetzen.

Dazu waren einige Änderungen nötig. "Eine der größten Anpassungen ist, dass die Teilnehmer in den USA wirklich als Lehrer arbeiten, sie füllen reguläre Positionen.", sagt Landsberg. "Das werden sie hier nicht. In Deutschland werden sie als zusätzliche Kräfte an den Schulen arbeiten."

Ohne Lehramtsstudium an Problemschulen

Dennoch richtet sich Teach First auch in Deutschland an Akademiker, die kein Lehramtsstudium absolviert haben. Der fehlenden pädagogischen Vorbildung der Junglehrer soll durch intensive Vorbereitung begegnet werden. Pädagogische Grundlagen, Didaktik und Unterrichtsplanung werden in einer dreimonatigen Vorbereitungszeit vermittelt, während des Einsatzes an der Schule bekommen die Teilnehmer regelmäßig Besuch von Mentoren und erhalten Feedback.

An den Schulen selbst sollen die "Fellows" genannten Programmteilnehmer etwa 15 Stunden pro Woche unterrichten. Daneben sollen sie vor allem außerhalb des Unterrichts aktiv sein: Nachhilfe oder AGs anbieten, mit Eltern sprechen, Projekte organisieren, das Umfeld der Schule einbeziehen.

Rigorose Auswahl

Eine anspruchsvolle Aufgabe für die Uniabgänger. Daher ist Kaija Landsberg eine genaue Auswahl der Teilnehmer besonders wichtig. "Wir suchen nach fachlich exzellenten Leuten, die einen sehr guten Abschluss hingelegt haben. Auf der anderen Seite suchen wir auch persönlich herausragende Menschen, die sich schon stark engagiert haben – egal, ob sozial, politisch, kulturell oder im Sport.", erklärt sie. Die Bewerber werden in mehreren Stufen ausgesiebt.

Kaija Landsberg
Die Gründerin Kaija Landsberg schickt mit "Teach First" Lehrer auf Zeit nach Berlin. -

© ddp

Eine, die es durchs Auswahlverfahren geschafft hat, ist Martina Böttcher. Die 25-Jährige studiert Kulturwissenschaft in Lüneburg und schreibt derzeit ihre Magisterarbeit. "Natürlich fragt man sich bei Pisa, ob das sein kann", sagt sie. "Das will man eigentlich gar nicht wahrhaben." Als sie über die Uni von Teach First erfuhr, merkte sie schnell, dass ihr die Idee gefiel. Sie bewarb sich und wird im Herbst als eine der ersten an eine Schule geschickt werden. Am liebsten möchte sie nach Berlin.

Martina Böttcher weiß, worauf sie sich einlässt. "Teach First ist eine krasse Herausforderung", gibt sie zu. Anders als im Studium sei sie nun "tatsächlich für etwas verantwortlich", anstatt nur sich selbst Rechenschaft schuldig zu sein. Etwas aufgeregt ist sie schon.

Karrierechancen verbessern sich

Dabei hätte Böttcher durchaus Chancen in der Wirtschaft. Sie hat einen Einser-Schnitt, absolvierte einen Auslandsaufenthalt in Frankreich und ein soziales Jahr in Irland, war stellvertretende Vorsitzende der Studentenorganisation Aisec in Lüneburg. Warum also zwei Jahre Auszeit? "Da ist diese Notwendigkeit, dieser Trotz", sagt sie, "da läuft was falsch und hier wird mir eine Möglichkeit geboten, zu versuchen, das zu verbessern." Sie sieht Bildung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe: "Die Schüler werden ja später in unserer Gesellschaft leben."

Ein solches Bewusstsein will auch Kaija Landsberg wecken. Der Einsatz für Bildung soll in der Gesellschaft verankert werden, vor allem durch die ehemaligen "Fellows" selber. Sie sollen sich in ihren späteren Positionen weiter für eine gerechtere Bildungspolitik einsetzen. Auch deswegen werden die Menschen mit den besten Karrierechancen ausgewählt – es soll ein Bildungsnetzwerk späterer Entscheider entstehen.

Somit sind die zwei Jahre an der Schule auch unter dem Gesichtspunkt der eigenen Karriere lohnenswert. "Der Einsatz wird bei Firmen und Unternehmen hoch angesehen und bringt einem Fertigkeiten, die für das weitere berufliche Leben sinnvoll sind", sagt Kajia Landsberg. Die Weiterbildung der Hilfslehrer im zweiten Schuljahr ist denn auch auf berufliche Qualifikationen ausgerichtet.

Die Gewerkschaft ist skeptisch

Nicht nur aus diesem Grund steht die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) dem Programm kritisch gegenüber. "Wer profitiert hier eigentlich von wem?" fragte Matthias Jähne, Hochschulreferent der GEW Berlin, kürzlich in einem Artikel in der Mitgliederzeitung der Gewerkschaft. Diese Kritik steht vor dem Hintergrund, dass die Stadt Berlin das Programm mit 970.000 Euro finanziert.

Jähne sieht als Nutznießer vor allem die Fellows selber, die "hier das soziale Rüstzeug für ihre spätere Karriere vermittelt" bekämen. Und die "Unternehmen, die ehemalige Fellows einstellen, profitieren gleich doppelt.", schreibt er weiter. "Sie erhalten Nachwuchskräfte, die bereits eine strenge Auswahl bei Teach First durchlaufen haben und sparen sich obendrein die Kosten für teure Trainee-Programme." Das Fazit des Hochschulreferenten: Für die knapp eine Million Euro, die das Programm kostet, "könnten 20 neue Lehrkräfte eingestellt werden", mit abgeschlossenem Lehramtsstudium und zu verbesserten Tarifbedingungen.

Diesem Eindruck will Kaija Landsberg vorbeugen: "Wir verdrängen keine regulären Lehrer", sagt sie. Kenneth Frisse, Sprecher der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung, sieht das genauso. Das Teach First-Programm werde aus Projektmitteln bezahlt, die Gelder seien somit aus einem anderen Topf als die Lehrergehälter. Alle geplanten Lehrerstellen seien im Haushalt komplett finanziert.

Das Programm nimmt dennoch den vorsichtigen Weg in die Klassenräume. Die Schulen müssen sich um ihre Teilnahme bewerben, dadurch soll die gegenseitige Unterstützung garantiert werden. Auch der Senat hält sich zurück, sagt Sprecher Frisse. Man habe Vertrauen darin, "dass diejenigen vor Ort am besten im Blick haben, wie man die Fellows gewinnbringend einsetzen kann."

Junglehrer sollen Vorbilder sein

Vor allem sollen die Lehrer auf Zeit Vorbilder für Schüler und Schülerinnen sein. "Natürlich können die Fellows nicht ein komplettes Schulsystem retten", sagt Landsberg, "aber sie können an einzelnen Stellen ihren Beitrag leisten, um engagierte Kolleginnen und Kollegen weiter zu unterstützen."

Wohin dieser Beitrag führen kann, zeigt sich in den USA, in denen das "Teach for America"-Programm seit fast 20 Jahren läuft. Eine ehemalige Teilnehmerin ist Michelle Rhee. Inzwischen ist sie als Superintendentin verantwortlich für eines der schwierigsten Schulsysteme der Staaten, das der Hauptstadt Washington, D.C. Sie setzt sich dafür ein, dass die öffentlichen Schulen besonders hoch qualifizierte Lehrkräfte einstellen – wie es "Teach for America" vorgemacht hat.

Mehr Informationen im Internet unter www.teachfirst.de

Jessica Binsch

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