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Berlin: „Insolvenzrecht für Länder und Kommunen“

Finanzwissenschaftler Kai Konrad über die Entscheidung, die er sich vom Bundesverfassungsgericht wünscht

Herr Konrad, was für ein Urteil wünschen Sie sich vom Bundesverfassungsgericht?

Ich hoffe, dass es dem Gericht gelingt, das Problem der Berliner Haushaltsnotlage vom Föderalismusproblem in Deutschland zu trennen. Die Richter könnten ja zu dem Schluss kommen, aus diesen und jenen Gründen muss Berlin geholfen werden, ähnliche Fälle darf es in der Zukunft aber nicht mehr geben. Entsprechend müssen die Institutionen und das deutsche Finanzsystem geändert werden. Das wäre mein Wunschurteil.

Schon 1992, als Bremen und das Saarland klagten, gab Karlsruhe dem Bund und den Ländern Hausaufgaben zur Reform des Finanzsystems auf, allerdings ohne durchschlagenden Erfolg.

Das stimmt. Gerade deshalb können die Verfassungsrichter jetzt auf das Urteil von 1992 verweisen und sagen: Wir haben damals Aufträge erteilt, vielleicht nicht konkret und verbindlich genug, aber der Bund und die Länder haben versäumt, entsprechend zu handeln. Nun müssen sie auch die Konsequenzen tragen – und dafür sorgen, dass Haushaltsnotlagen nicht wieder vorkommen.

Kann Berlin auf schnelle Hilfe hoffen?

Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass das Gericht beschließt, der Bund muss morgen einen bestimmten Betrag, sagen wir 20 Milliarden Euro, an Berlin überweisen. In jedem Fall wird das Gericht mögliche Zahlungen an Bedingungen knüpfen und wahrscheinlich wird es gestaffelte Finanzhilfen geben.

Rechnen Sie mit strengen Auflagen, die Berlin erteilt werden – und hilft das?

Ich bin eher skeptisch. Auflagen, die nicht richtig kontrolliert werden, sind selten wirkungsvoll. So wurden die Finanzhilfen für Bremen an öffentliche Investitionen gekoppelt, um die Wirtschaftskraft zu verbessern. Das hat nichts gebracht. Auch ein Sparkommissar, der nach Berlin geschickt würde, wäre wohl kaum in der Lage, wirksam umzusteuern. Man muss die Institutionen so reformieren, dass sie von sich aus richtig handeln.

Bisher ist das nicht gelungen, die Länder verschulden sich unkontrolliert weiter.

Es gibt zu diesem Problem zwei Positionen: Entweder ein strenges Controlling oder Verfahrensregelungen, die den Gebietskörperschaften Anreize geben, nicht in eine extreme Haushaltsnotlage zu geraten. Ich neige der zweiten Position zu. Restriktive Maßnahmen, etwa das Verbot der Kreditaufnahme über eine bestimmte Grenze hinaus, laden doch nur zur kreativen Buchführung ein. Gebietskörperschaften sind komplizierte Gefüge, sie haben viele Möglichkeiten, versteckt Kredite aufzunehmen.

Sie wollen lieber Anreize schaffen, …

… damit sich die Länder und Kommunen nicht mehr so hoch verschulden.

Wie könnte das funktionieren?

Nehmen wir an, ein Finanzunternehmen hat Berlin einen hohen Kredit gegeben. Dann gerät die Stadt in eine Haushaltsnotlage und kann Zins und Tilgung nicht mehr zahlen. Derzeit sind alle Gebietskörperschaften verpflichtet, ihre Kredite zu bedienen, auch wenn sie dafür eigentlich kein Geld haben. Jedes Unternehmen, jeder Privatmann kann Insolvenz anmelden, um sich vor der Ausplünderung durch Gläubiger zu wehren. Für Gebietskörperschaften, die sich in einer Haushaltsnotlage befinden, sollte das auch möglich sein. Dann könnten sie ihre Steuermittel weiter für die Zwecke einsetzen, die gesetzlich und verfassungsrechtlich vorgeschrieben sind.

Sie wollen ein Insolvenzrecht für Länder und Kommunen?

Ja. Dann bekämen sie im Ernstfall auch nichts mehr geliehen, weil die Banken sich weigern, und könnten sich nicht noch höher verschulden. Das wäre eine Verschuldungsbremse über den Markt.

Bremen und Saarland haben die Sanierungshilfen ausschließlich vom Bund bekommen. Die Länder blieben verschont. Wird für Berlin auch nur der Bund zahlen?

Ich kann nicht in die Köpfe der Richter schauen. Meiner Auffassung nach tragen nicht nur der Bund, sondern auch die Länder Schuld an der Finanzkrise in Deutschland. So gesehen wäre es richtig, wenn sich auch die Länder an der Schadensbeseitigung beteiligen. Noch besser wäre es aber, wenn es keine Haftungsverpflichtung der föderalen Gemeinschaft füreinander gäbe. Diskutiert wird die Idee eines freiwilligen Haftungsfonds. Eine Art Club, dessen „Versicherungsleistungen“ man nur in Anspruch nehmen kann, wenn man strenge Kriterien erfüllt.

Finanzsenator Thilo Sarrazin hofft, dass spätestens 2008 feststeht, wie viel Geld Berlin erhält. Ist das realistisch?

Es wäre gut, wenn das Karlsruher Urteil Druck aufbaut, damit die angekündigte Reform des föderalen Finanzsystems schnell vorankommt. Solche Reformen verlaufen erfahrungsgemäß sehr schleppend. Die letzte Reform des Länderfinanzausgleichs, nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1999, war leider auch nicht von der ökonomischen Vernunft getrieben, sondern alle Länder saßen mit dem Taschenrechner am Verhandlungstisch und haben geguckt, was kommt für mich dabei raus.

Unabhängig vom Karlsruher Urteil – wie sehen Sie die Zukunft Berlins?

Berlin hat enorme Probleme, die in der Vergangenheit begründet sind, aber auch enorme Chancen. Die Politik der letzten drei, vier Jahre war besser als in den zehn Jahren davor, aber sie ist noch nicht gut. Der Stadt und ihrer Wirtschaft muss man die Möglichkeit der Entfaltung geben. Es gibt in Berlin einen großen Verwaltungsapparat, der alles planen will, alles ist stark reglementiert. Der Stadt sollte mehr Freiraum gegeben werden, dann kann ich mir vorstellen, dass tolle Dinge passieren.

Das Gespräch führte Ulrich Zawatka-Gerlach.

Kai Konrad (45) ist Direktor beim Wissenschaftszentrum Berlin, FU-Professor für öffentliche Finanzen und Mitglied des Wissenschafts-Beirats des Bundesfinanzministeriums.

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