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In der Marzahner Kita Kunterbunt werden einige der Kinder mit gezielten Angeboten in Kleingruppen zusätzlich sprachlich gefördert. Zum Beispiel beim Brettspiel.

© Privat

Integration: Mit Maus und Mut

Bildungsexperten kritisieren die Qualität der Spracherziehung in Kitas. Aber wie sieht die im Alltag eigentlich aus? Besuche in vier Berliner Kitas

Die Maus will ihren Mut beweisen. Also taucht sie durch einen Teich. Acht Vier- und Fünfjährige hören gespannt der Geschichte zu, die die Erzieherin vorliest. Immer wieder unterbricht sie, um eine Frage zu stellen: „Wie heißt das, wenn man unter Wasser schwimmt?“ Die Kinder kommen nicht gleich drauf. „Tauchen“, wiederholt die Erzieherin.

Meric fällt eine Geschichte ein: „Ich bin mal mit offenen Augen durchs Columbiabad getaucht.“ Und dann diskutieren sie mit der Erzieherin darüber, was Mut ist. Auch wenn manchmal noch das richtige Wort oder der richtige Artikel fehlt – die meisten können sich gut ausdrücken. Dabei ist Deutsch für kaum eines der Kinder in der Awo-Kita „Du und ich“ in Neukölln die Muttersprache. 90 Prozent der Kinder hier wachsen zwei- oder dreisprachig auf. Deutsch lernen sie fast immer erst außerhalb des Elternhauses.

Die Frage, ob ihr Deutsch und das der anderen Berliner Kitakinder gut genug ist, bewegt gerade die Öffentlichkeit. Auf eine kleine Anfrage der Grünen im Abgeordnetenhaus hin, veröffentlichte die Bildungsverwaltung die Ergebnisse der „Sprachstandsfeststellung in Kitas“ 2011. Damals, knapp eineinhalb Jahre vor ihrer Einschulung sind rund 27 000 im Jahr 2006 geborene Berliner Kinder von ihren Erzieherinnen getestet worden. 17 Prozent wurde dabei ein Sprachförderbedarf attestiert. Das bedeutet, dass sie nicht genug Deutsch können, um in der Schule zu bestehen. Und dass, obwohl die Mehrzahl von ihnen mehr als zwei Jahre eine Kita besucht haben. In Bezirk Neukölln waren die Ergebnisse am schlechtesten. Bildungsexperten stellen das Kita-Konzept der Rot-Roten Regierung infrage, die das letzte Kitajahr gebührenfrei machte. Die Qualität sei nicht gut genug, bemängelt Grünen-Bildungsexperte Öczan Mutlu.

Die Erzieherinnen der Kita „Du und ich“ sind ärgerlich, dass ihre Arbeit so infrage gestellt wird. Sie haben das Gefühl, erfolgreich zu sein. Und lesen die Zahlen ganz anders. Immerhin sei der Prozentsatz an Kindern mit Förderbedarf in den letzten sieben Jahren zurückgegangen. 2005 waren es noch knapp 25 Prozent in Berlin. Sie finden es auch nicht richtig, dass man ihre eigenen Zwischenergebnisse, eineinhalb Jahre vor der Einschulung sozusagen „gegen sie“ verwende. Eigentlich sei diese Erhebung dazu da, zu planen, was bis zum Schulanfang bei einem Kind noch gemacht werden müsse, sagt Kitaleiterin Saupe. „Wir gehen auf die Schwächen jedes einzelnen Kindes ein. Sprachförderung steht bei uns ständig im Mittelpunkt“, sagt Saupe. Sie hätten das ganze Kitakonzept darauf ausgerichtet. „Zum Beispiel achten die Erzieherinnen darauf, offene Fragen zu stellen und den Kindern Wahlmöglichkeiten zu geben, damit sie ihre Bedürfnisse selbständig formulieren.“ Es gibt keine festen Gruppen. Kinder laufen frei auf der Etage herum. Wenn sie fragen, dürfen sie auch allein in ein anderes Stockwerk. „Je selbständiger Kinder sein dürfen, desto mehr sprechen sie", sagt Saupe.

Auch im Morgenkreis wird Sprache trainiert, ohne dass die Kinder es merken. „Wie machen die Wischer vom Bus?", singt die Erzieherin. Die Kinder wedeln mit den Armen hin und her und singen: „Die Wischer vom Bus die machen wischwischwisch." Alle bis auf die zweieinhalbjährige Olga (Name geändert) mit den drei winzigen Zöpfen. Sie ist gerade erst in die Kita gekommen und kann noch kaum Deutsch. Zuhause spricht sie Russisch. Sie hält sich hinter den anderen Kindern. „Als erstes wird sie die Gesten mitmachen. Über die Bewegung verstehen die Kinder, was sie singen ", sagt Saupe. In der Anfangszeit gehe es vor allen darum, dass Olga eine stabile Beziehung zu ihrer Bezugserzieherin aufbaue. „Wenn die Beziehung stabil ist, wird sie es locker schaffen, bis zur ersten Klasse deutsch zu sprechen.“ Über die Einzelzuwendung läuft nämlich auch die Sprachförderung: Immer, wenn es gerade passt, wird die Erzieherin mit Olga Fingerspiele machen, oder Rollenspiele in der Puppenecke.

Bei sieben von 27 getesteten Kindern der Kita „Du und ich haben“ haben die Erzieherinnen einen Sprachförderbedarf festgestellt. Fünf davon seien erst ein Jahr in der Kita gewesen vor den Tests, sagt Saupe. Zwei waren ein bis drei Jahre hier. Die Gründe dafür seien bei jedem Kind sehr unterschiedlich. Daran, dass die Kinder untereinander zu wenig Deutsch sprechen, liegt es ihrer Meinung nach auf keinen Fall. Das hatten manche Experten als Erklärung für die Defizite ausgemacht. „Es ist gut, wenn sie auch manchmal ihre Muttersprache untereinander sprechen, am Anfang, wenn ihnen manchmal noch deutsche Wörter fehlen." Man dürfe den Kinder nie suggerieren, dass ihre Muttersprache etwas Schlechtes sei. „Wir motivieren die Eltern, ihre Heimatsprache mit den Kindern zu sprechen.“

In anderen Neuköllner Kitas ist die Haltung zur Muttersprache anders, etwa in der Fipp Kita an der Warthestraße und der Kita Knallerbsen. Dort wird ausschließlich Deutsch gesprochen. Wenn Kinder untereinander ihre Muttersprache benutzen, schaltet sich die Erzieherin ein. Da darf auch kein Elternteil eine Ausnahme machen, wenn die Kinder aus der Kita abgeholt werden. Die Erzieher versuchen, die Eltern für Sprache zu sensibilisieren. Das ist eins der Themen in den so genannten Elternkursen, die die Kitas organisieren. „Wenn Eltern mit ihren Kindern falsches Deutsch sprechen oder verschiedene Sprachen mischen, sind die Fehler in der Kita nur schwer rauszukriegen“, sagt Simone Grocholewski von der Kita Knallerbsen. Und dann sei da noch das Problem der sozialen Struktur in Neukölln, wo man im Alltag recht weit ohne Deutsch komme. „Das kann dazu führen, dass Eltern nicht die Notwendigkeit sehen, dass ihr Kind gut Deutsch sprechen lernt", sagt Ines Fichtner, Leiterin der Fipp Kita. Allerdings verändert sich seit ein paar Jahren die Bevölkerung Neuköllns. Einkommensschwache werden in die Randbezirke verdrängt.

Wie etwa nach Marzahn-Hellersdorf. Auch dieser Bezirk hat bei der „Sprachstandsfeststellung in Kitas“ 2011 besonders schlecht abgeschnitten – obwohl hier nicht überdurchschnittlich viele Kinder leben, deren Muttersprache nicht deutsch ist. In der Kita Kunterbunt in Marzahn sind es weniger als 40 Prozent. Hier sollte es eigentlich keine Sprachprobleme geben. Bei 11 von 50 getesteten Kindern wurde hier dennoch ein Sprachförderbedarf festgestellt. Nur drei von ihnen haben einen Migrationshintergrund. Aber neun der elf seien wegen Sprachstörungen in logopädischer Behandlung, sagt Kitaleiterin Ellen Hoffmann. Und insgesamt drei hätten eine Lernbehinderung. Nicht nur sie kritisiert an den veröffentlichten Zahlen, dass Kinder mit Behinderung nicht von vornherein herausgerechnet worden waren.

In der Vorschulgruppe wird gerade ein pädagogisch wertvolles Lied gesungen: „Alle Kinder lernen lesen, auch Indianer und Chinesen. Eu, sagt die Eule, sind die Mäuse heute scheu.“ Anna, deren Mutter aus Vietnam stammt, kann den Text besonders gut. Der fünfjährige Jackson (Name geändert), ohne jeden Migrationshintergrund, braucht dagegen spezielle Sprachförderung. Er sei kontaktscheu und konnte lange gar nicht sprechen, sagt die Erzieherin. Oft liege es daran, dass Eltern zu wenig mit den Kindern redeten , sagt Hoffmann. Aber es gebe auch Eltern, die zu viel von ihren Kindern fordern und sie dadurch blockierten. Zwar gingen eine Reihe von Kindern aus sozial schwachen Familien in die Kita Kunterbunt, sagt Hoffmann. Aber sie seien nicht in der Überzahl. „Wir haben die ganze Bandbreite der Gesellschaft.“

Eigentlich bräuchten normal entwickelte Kinder keine speziellen Förderstunden, sagt Hoffmann. „Weil sie hier permanent gefördert und animiert werden. Aber wir machen für diejenigen mit Förderbedarf zusätzliche Angebote, damit sie aufholen können.“ Deshalb macht eine Integrationserzieherin mit spezieller Zusatzausbildung mit Kindern mit besonderem Förderbedarf, etwa mit einer Lernbehinderung, in Kleingruppen zusätzliche Angebote, etwa Sprachspiele: Fünf Vier- und Fünfjährige sitzen um ein Brettspiel herum. Ein Mädchen im rosa Kleid, dessen Eltern aus Vietnam stammen, muss gerade eine rot umrandete Karte ziehen. Das bedeutet: Reimen. Drei Bildchen sind auf der Karte zu sehen. Aber welche beiden gehören zueinander? „Na, was reimt sich auf Turm – Wurm oder Schaf?", fragt die Erzieherin. Die Kleine überlegt eine Weile. Schließlich lächelt sie schüchtern – und zeigt auf den Wurm.

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