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In Willkommensklassen werden Flüchtlingskinder unterrichtet, bis sie ausreichend gut Deutsch können.

© Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa

Integrationspolitik: Brauchen geflüchtete Kinder in Berlin Werteunterricht?

Die CDU will Wertekunde für Flüchtlingskinder in Schulen einführen. In Berlin ist man skeptisch – auch an den Schulen, die geflüchtete Kinder unterrichten.

Werteunterricht für geflüchtete Kinder und Jugendliche – das fordern die Chefs der Unionsfraktionen von Bund und Ländern. Sie wollen, dass bundesweit für Kinder von Flüchtlingen nach hessischem Vorbild „Rechtsstaatklassen“ beziehungsweise „Wertekundeunterricht“ eingerichtet werden. Diese Klassen sollen die Schüler absolvieren, bevor sie in den Regelunterricht aufgenommen werden.

„Ziel dieses Unterrichts soll sein, dass Flüchtlinge sich in unserem Werte-/Rechtsstaatssystem besser zurechtfinden können und ihnen gleichzeitig die Grenzen und Verpflichtungen unseres Rechtsstaates vermittelt werden“, hieß es kürzlich in einem Beschlusspapier der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzendenkonferenz.

Nun ist Bildung bekanntlich Ländersache, und bei vielen Kultus- und Bildungsministern stößt der Vorstoß auf Skepsis. Auch in Berlin. Für „nicht zielführend und nicht praktikabel“ hält Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) den Vorschlag, sofern es nur um Flüchtlingskinder gehe, teilt die Bildungsverwaltung mit. Werteerziehung für alle Schüler sei selbstverständlich wichtig und auch im Lehrplan vorgesehen.

Selbst die bildungspolitische Sprecherin der Berliner CDU-Fraktion, Hildegard Bentele, sagt: „Im Vordergrund muss der Spracherwerb stehen, denn ohne Sprachkenntnisse auch keine Verständigung und Verständnis. Am besten sollte im Sprachunterricht anlassbezogen über Werte wie Gleichberechtigung oder die gewaltfreie Lösung von Konflikten gesprochen werden.“

Wertevermittlung schon Unterrichtsalltag

Wichtig dafür seien gut ausgebildete Lehrer, und dass die Kinder auch nach dem Wechsel in die Regelklassen weiter Unterstützung bei der sprachlichen und kulturellen Eingewöhnung bekommen. Das Modell der „Rechtsstaatklassen“, das in Bayern und Hessen bereits praktiziert werde, findet Bentele gut – auch für Regelschüler und für Integrationskurse für Erwachsene: Bei dem Programm besuchen Staatsanwälte, Richter und Rechtspfleger als Dozenten den Unterricht und sprechen über Grundwerte.

Geflüchtete Kinder werden in Berlin meist zuerst in Willkommensklassen unterrichtet, bis sie ausreichend gut Deutsch können, um in die regulären Klassen zu wechseln. Und dort, in den Willkommensklassen finde im Unterrichtsalltag schon jetzt Wertevermittlung statt, sagt Norbert Gundacker. Er ist Lehrer, war lange Personalrat und unterrichtet jetzt eine Willkommensklasse an der Johanna-Eck-Schule in Tempelhof.

„Das geschieht in der Auseinandersetzung mit Texten, beim Miteinandersprechen, beim gemeinsamen Kochen oder bei Ausflügen.“ Wichtig sei, dass man mit den Schülern in Beziehung trete und im Gespräch bleibe. „Mal ein bisschen plakativ gesprochen: Das Grundgesetz auswendig zu lernen, das würde meinen Schülern nicht schwer fallen“, sagt Gundacker. „Aber es geht doch darum, dass diese Werte verinnerlicht werden.“

Und das gehe am besten, wenn die Schüler das selbst erleben, wenn es in ihrem Alltag konkret eine Bedeutung hat. Eine seiner Schülerinnen, ein muslimisches Mädchen, sei zum evangelischen Glauben übergetreten. „Sie konnte davon erzählen, und das wurde von den Mitschülern akzeptiert.“

Wichtig sei auch, Konflikte oder Toleranzprobleme gleich anzusprechen und selbst als Lehrer eine klare Haltung zu vermitteln. „Als Schüler sehr negative Ansichten über die USA geäußert haben, habe ich dagegen gehalten und argumentiert. Ich habe das Gefühl, dass das bei den Schülern zu einer Einsicht führte.“

Auch Gundacker gibt zu Bedenken, dass für die Arbeit der Werteerziehung gut ausgebildete Lehrkräfte notwendig seien. Gerade in den Willkommensklassen unterrichten etliche Quereinsteiger, die manchmal nur über eine geringe pädagogische Ausbildung verfügen. „Manchen fehlt das pädagogische Handwerkszeug, sie wissen nicht, wie man mit Konflikten umgeht und haben schon mit der Unterrichtsvorbereitung genug zu tun.“

Außerdem müsse darauf geachtet werden, dass die Willkommensklassen nicht zu groß werden. Er unterrichtet momentan eine Gruppe von elf Schülern, zwölf sei der Durchschnitt – und bei dieser Größe sei es möglich, mit den einzelnen Schülern in Beziehung zu treten. „Angesichts des Lehrermangels gibt es aber immer wieder Befürchtungen, dass Gruppen zusammengelegt werden. Das darf nicht passieren.“

Im Grunde, findet Gundacker, müsse Werteerziehung in allen Fächern stattfinden – und zwar für alle Schüler. Das ist im Lehrplan auch vorgesehen: Nicht nur in Ethik, Politik, Deutsch, Sachkunde oder Geschichte – Demokratiebildung, soziales Lernen, Erziehung zu Akzeptanz von Vielfalt und interkulturelle Bildung sind als verbindliche, fächerübergreifende Themen festgeschrieben.

Nicht immer werde das umgesetzt, weil nicht genügend Zeit sei, sagt Gundacker. „Es heißt, dass Deutsch und Rechtschreibung in allen Fächern unterrichtet wird, dass also in allen Fächern darauf geachtet wird. So sollte es auch mit der Wertevermittlung sein“, sagt Gundacker.

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