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Oliver Reese will im Berliner Ensemble wieder Geschichten erzählen.

© Sven Darmer

Intendanten in der Urania: Was kommt jetzt auf die Berliner Bühnen?

Wohin geht das Theater, was kommt auf das Publikum zu? Die Intendanten Oliver Reese und Chris Dercon diskutieren in der Urania mit Peter Raue.

Das kann Oliver Reese nicht auf sich sitzen lassen. Natürlich habe es auch gegen ihn als neuen Hausherrn am Berliner Ensemble Einspruch gegeben. Man will ja nicht der Brave sein, während sich Chris Dercon vor Anfeindungen nicht retten kann, seit er zum Nachfolger von Frank Castorf an der Volksbühne ernannt wurde. Darum soll es an diesem Montagabend in der Urania aber nicht gehen.

Probleme der Dramaturgie, Schauspielerverträge, Probendauer, Spielplangestaltung werden besprochen. Wen interessiert das denn? Ist das nicht sterbenslangweilig? Nicht in Berlin. In dieser Stadt entzünden sich an solchen Fragen heiße Debatten bis hin zum Beinahe-Bürgerkrieg. Hier ist Theater politisch, bevor überhaupt ein Tänzer das Bein gehoben oder ein Akteur auch nur ein Wort auf der Bühne gesagt hat.

Raue macht den Moderator

Also nichts über Shitstorms, Fake News und andere Attacken. Die Intendanten Reese und Dercon sollen nach vorn blicken, ihre Theaterideen erläutern – streng einvernommen von Rechtsanwalt Peter Raue. Ihn einen fleißigen Theatergänger zu nennen, wäre eine sträfliche Untertreibung. Raue ist überall, sieht und kennt alles, seit Jahrzehnten.

Damit er nicht gleich mit einem Befangenheitsantrag konfrontiert wird, klärt er zu Beginn die Verhältnisse. Dercon hat er bei den Verhandlungen mit dem Berliner Senat beraten, und die Berliner Ensemble GmbH vertritt er seit der Wende – nicht jedoch Oliver Reese. Der ist nicht sein Klient. Noch nicht.

Das sind die Neuen

„Mehr Pfeffer als beim Kanzler-Duell im Fernsehen“ verspricht der Moderator für den Gedankenaustausch der Theaterchefs. Es wird auch unterhaltsamer, trotz des schiefen Vergleichs: Denn beide, Reese und Dercon, sind hier in gewisser Weise Herausforderer, haben es mehr oder weniger mit einer mächtigen Tradition an ihren Häusern zu tun.

Dercon hat Theaterwissenschaft studiert, Reese nicht. Reese hat ein Schauspielensemble, Dercon will ein Ensemble mit „Mehrspartenkünstlern“ erst aufbauen. Dercon sieht das Theater als Ort, „wo Gesellschaft miteinander kommuniziert“, Reese will ran an die „drängenden Fragen der Zeit.“ Dercon will „Theatergeschichte lebendig machen“, zum Beispiel die Inszenierungen von Samuel Beckett, Reese sucht das gut gemachte neue Stück, die Story, die Charaktere von heute.

Und so hat jeder seine Bausteine. Sehr weit auseinander liegen die Matadore nicht, auch wenn Peter Raue scharf und fröhlich nachfragt. Das liegt daran, dass sie über ungelegte Eier reden. Dercon hat am Sonntag mit dem Riesentanzprogramm in Tempelhof ein sympathisches Präludium geliefert, die neue Volksbühne aber war das noch nicht. Und bei Reese am BE geht es erst nächste Woche los.

Intendant Chris Dercon beim "Fous de danse" im ehemaligen Flughafen Tempelhof.
Intendant Chris Dercon beim "Fous de danse" im ehemaligen Flughafen Tempelhof.

© DAVIDS/Dominique Ecken

Es bleibt bei Vorfreude

Alt und neu, konservativ und avantgardistisch – die Begriffe purzeln hier hübsch durcheinander und verfangen im Grunde nicht. Vielleicht ist ja das Ältere jetzt das Neue, wenn Reese versucht, das Theater wieder zum Geschichtenerzählen zu bringen, zu einer zeitgenössischen Psychologie, zur Heilung des „postdramatischen Fiebers“. Das ist schon toll in Berlin, wenn mehrere hundert Besucher bei einer solchen Unterhaltung konzentriert mitgehen. Dercon wiederum, und da zeichnet sich doch eine andere Richtung ab, glaubt an neue Formen. Er greift mit seinen Künstlern nach dem Grundlegenden – dem Körper, der Sprache, der Identität. Er sucht nach neuen, weniger „maschinellen“ Produktionsformen und sieht sich auf dem richtigen Weg, weil Berliner Ensemble, Schaubühne, Deutsches Theater und auch das Gorki eher auf der Schauspielseite stehen.

Es gibt in der Urania für Dercon Applaus – der für Reese vielleicht ein paar Grad stärker ausfällt. Peter Raue „freut sich auf beide Häuser“. Klassisches Ende: Alle Fragen offen, auch ohne Vorhang.

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