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Die "Tempohomes" werden bald abgebaut. Der Flüchtling Mansour A. wohnt dort. Er nennt sie eine „abgegrenzte Gesellschaft“.

© Field Trip/Eva Stotz

Gesichter des Tempelhofer Feldes: „Ich will nicht hier sitzen und Sozialhilfe bekommen“

Filmemacher von Field Trip portraitieren Menschen, die mit dem Tempelhofer Feld verbunden sind. Einer ist Mansour A., der in einem Tempohome wohnte.

Seit mehreren Jahren ist das Filmteam „Field Trip“ auf dem Tempelhofer Feld unterwegs – um die Geschichten von Menschen zu sammeln, die diesen Ort ausmachen. Entstanden ist ein interaktiver, wachsender Dokumentarfilm, den der Tagesspiegel redaktionell begleitet. Zum Luftbrücken-Jubiläum am 12. Mai, 70 Jahre nach dem Ende der Berlin-Blockade, haben wir die ersten sechs Protagonisten des Films vorgestellt und auf einer Internetseite veröffentlicht: www.tagesspiegel.de/fieldtrip.

Auch durch die danach geflossenen Spenden konnten die Filmemacher nun weitere Teile der Dokumentation veröffentlichen. Unter anderem über den geflüchteten Syrer Manor A. Field-Trip-Producer Frédéric Dubois sagt, dass sie jetzt, da die „Tempohomes“ wieder abgebaut werden, nochmals eine Parallele ziehen wollten – zwischen den Geflüchteten von heute und denen, die damals über Tempelhof aus der DDR in den Westen flohen.

Mit weiterem historischen Material porträtiert das Team die „Zaungucker“: Berliner, die bis zur Schließung viel Zeit am Flughafenzaun verbrachten. Der Rückblick zeigt, wie sehr sich der Kiez um den Flughafen verändert hat. „2004 lebten noch viele Arbeiter dort“, sagt Dubois. Vom Fliegen konnten sie nur träumen.

Der Geflüchtete

Mansour A. wohnte seit 2018 in den „Tempohomes“. Eine „abgegrenzte Gesellschaft“, nennt er sie. Mansour A. wartete dort auf seine Frau und seine Tochter. In Syrien hatte er ein gutes Leben, sagt er, arbeitete als Koch in Hotels und Restaurants. Das war vor dem Krieg. In Berlin leide inzwischen jeder unter der Wohnungskrise, sagt er, selbst die Einheimischen.

Das Dokumentarfilm-Projekt Field Trip, sammelt Geschichten über Menschen, die mit dem Tempelhofer Feld auf besondere Weise verbunden sind. Alle Dokus über diese Menschen finden Sie auf unserer interaktiven Webseite fieldtrip.tagesspiegel.de

Ihm sei es wichtig, sich in die Gesellschaft einzubringen und eine Arbeit zu haben: „Ich will nicht hier sitzen und Sozialhilfe bekommen.“ Seiner Meinung nach sind die Deutschen gute Menschen, aber sehr vorsichtig. „Ich wünsche mir, dass sie uns irgendwann entdecken können und wir Kontakt miteinander haben, auch wenn er nur sehr oberflächlich ist.“

Der Investor

Angesichts der Wohnungsnot in Berlin gibt es immer wieder Pläne, die 380 Hektar des Tempelhofer Feldes zu bebauen, 25.000 Wohnungen könnten so entstehen. Das würde auch Immobilieninvestor Patrick Steinberg gerne sehen. Die Mieten in Berlin steigen, weil es nicht genügend Wohnungen gibt, sagt er.

„Ist auch geil, das Tempelhofer Feld, aber ist auch geil, ein Dach über dem Kopf zu haben.“ Für viele Berliner steht der ehemalige Flughafen für Weite. In den Augen des Investors ist Weite Luxus und Verschwendung. Und er findet, man könnte doch auch Dinge wie das Oktoberfest in München auf dem Feld veranstalten.

Die Journalistin

Die feministische Autorin Kübra Gümüsay organisiert offene Gesprächsrunden, in denen Themen Raum gegeben wird, über die ihrer Meinung nach zu selten gesprochen wird. Die Gesprächsrunden ihrer Initiative Offene Gesellschaft finden auch auf dem Tempelhofer Feld statt. Gümüsay schätzt es dafür, dass es so offen ist. Das erzeuge einen Raum für freies gemeinsames Nachdenken. Sie sieht die Unfertigkeit dieser Freifläche als Symbol für die Gesellschaft, die auch nicht fertig ist.

Die Planespotter

Bis zur Schließung des Flughafens standen täglich Menschen am Zaun an der Oderstraße. Manche warteten oft stundenlang auf die immer seltener startenden und landenden Flugzeuge. 2004 sprach die Regisseurin Eva Stotz mit einigen von ihnen. „Was geht in diesen Menschen vor?“, wollte sie wissen. Die Technik sei doch „einfach nur gigantisch“, sagt einer der Planespotter.

Für ihn war der Flughafenzaun ein Rückzugsort zum Alleinsein: „Hier denkst du über nichts nach, außer über die Freiheit.“ Hier sei die Welt noch in Ordnung. „Der Mensch kann nicht fliegen“, sagt ein anderer. Ein Flughafen bringe einen schon zum Träumen, aber die Flugzeuge „stürzen meistens auch ab“. Auch ein Vater kommt fast jeden Tag mit seiner Tochter im Kinderwagen zum Flughafen.

Sie könne dort gut einschlafen, sagt er, der selbst die Flieger liebt. Wenn sie losfliegen, träumt er davon, irgendwo anders hinzugehen, zum Beispiel nach Italien, seine Heimat. Da könne er leider nur einmal im Jahr hin. Und auch nur mit dem Auto. Fliegen mit der ganzen Familie sei zu teuer.

Carmel Schnautz

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