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Kippa und Kirche. Jüdische Einwohner und Besucher sollen sich in Berlin ebenso sicher fühlen wie Christen, Muslime und alle anderen Menschen. Dafür plädieren nicht nur Politiker sondern auch die Teilnehmer der interreligiösen Initiative „Jung, aktiv, gläubig“. Foto: dpa

© dpa

Interreligiöser Dialog statt Konfrontation: Keiner soll sich wegen seines Glaubens bedroht fühlen

Nach den jüngsten antisemitischen Vorfällen werben junge Gläubige gemeinsam für Toleranz. Der Polizei ist von einem antisemitischen Motiv beim Vorfall mit Zentralratsfunktionär Stephan Kramer nichts bekannt.

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Nur zum Fototermin mit Innensenator und Bischof nimmt Daniel Alter das Basecap ab, so dass alle seine Kippa sehen können. Vor einem Monat war der Rabbiner in Friedenau antisemitisch beleidigt und im Beisein seiner siebenjährigen Tochter zusammengeschlagen worden. „Ein Basecap habe ich schon vorher getragen“, sagt er: „Aber an diesem Tag hatte ich es entweder vergessen oder es war verrutscht, so dass die Angreifer die Kippa sehen konnten.“

Etwas „Gutes“ habe der Überfall auf ihn aber gehabt, sagt Daniel Alter: „Ich hatte mich, was Antisemitismus und Rassismus anbelangt, resigniert-frustriert zurückgezogen. Hatte mir eingeredet, dass es einerseits nicht so schlimm sei und man andererseits nichts dagegen tun könne. Das war bequem, aber falsch.“

Seit dem Überfall auf ihn und seine Tochter, die dabei ein Trauma erlitt, ist Daniel Alter aktiver als je zuvor. Auch an diesem Freitag gibt er Interviews, wirbt für ein friedliches Miteinander, lobt die „großartige und so wichtige“ Initiative Juga, die am Brandenburger Tor für Toleranz zwischen den Religionen wirbt.

„Juga“ steht für „Jung, aktiv, gläubig“, sagt Betül Ulusoy. Die 23-jährige Jurastudentin ist Mitglied des Projekts Juma („jung, muslimisch, aktiv“), das die Initiative Juga ins Leben gerufen hat. Sie trägt Kopftuch, kann deshalb in Deutschland keine Richterin werden, und wurde wie Rabbiner Alter wegen ihrer Kopfbedeckung schon öfter angepöbelt, erzählt sie. Am meisten wehgetan habe ihr, dass eine Lehrerin in Neukölln sie einmal für ihre Leistungen sehr lobte, aber dann sagte: „Nur über dein Scheißkopftuch müssen wir noch reden“.

Viele Mitglieder von Juga haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Sie sind Muslime, Juden, Christen und Bahai, haben einen gemeinsamen Wertekodex erarbeitet und stellen diesen seit Wochen überall in Berlin vor. „Wir wollen mit den normalen Menschen in Kontakt kommen, sagt Betül Ulusoy: „Ein Beispiel geben, dass und wie es gemeinsam geht. Zum Glück hat uns die Senatsverwaltung für Inneres von Anfang an unterstützt.“ So hat es sich Innensenator Frank Henkel (CDU) nicht nehmen lassen, die Juga-Aktion durch einen Fototermin vor der lebensgroßen Leinwand mit Fotos von 40 verschiedenen jungen Berliner Gläubigen zu unterstützen. Auch der evangelische Bischof Markus Dröge, der Vorsitzende der Sehitlik-Moschee Ender Cetin und der Vertreter der Bahai in Deutschland Peter Amsler sind gekommen.

Der Termin stand seit Wochen fest, hat aber durch zwei neuerliche Vorfälle am Mittwoch an Bedeutung gewonnen. So war – wie berichtet – der Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan Kramer, seinen Angaben zufolge auf dem Heimweg von der Synagoge mit seinen Kindern von einem Mann angepöbelt worden. Weil er sich bedroht fühlte, habe er darauf hingewiesen, dass er eine Waffe trage, was er laut Polizei wegen seiner Einstufung als besonders „gefährdete Person“ darf. Er habe gehofft, die Situation damit deeskalieren zu können.

Zeitgleich hatte Kramer wohl ein Foto des Angreifers gemacht, das am Freitag in einer Boulevardzeitung veröffentlicht wurde. Die Polizei wies indes Vorwürfe zurück, wonach sie den Vorfall nicht sofort öffentlich gemacht habe. Ein Polizeisprecher sagte, es habe sich um eine gegenseitige Bedrohung gehandelt. Beide Männer hätten Anzeige erstattet. Von einem antisemitischen Hintergrund sei in Kramers Anzeige nie die Rede gewesen. Kramer bestreitet dies. Dem Tagesspiegel sagte er am Freitag: „Ich habe der Polizei genau wie hinterher der Agentur gesagt, dass ich ein erkennbar jüdisches Gebetsbuch trug, und dieses möglicherweise Anlass für die Bedrohung gewesen sei.“ Bei der Polizei sei eine solche Aussage nicht bekannt, sagte der Sprecher. Er könne aber natürlich nicht ausschließen, dass Herr Kramer dies bei Erstattung der Anzeige gesagt habe. Ebenfalls am Mittwoch hatte die jüdische Berlinerin Esther Dobrin einen Taxifahrer angezeigt, der sie aufgefordert haben soll, sein Fahrzeug vorzeitig zu verlassen, als sie mit ihrer Tochter und Nichte sowie deren Freund zur Synagoge in die Pestalozzistraße in Charlottenburg fahren wollte. Der Fahrer bestreitet dies, nun prüft das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (Labo), ob er seine Beförderungspflicht verletzt hat. Eine Sprecherin der für das Labo zuständigen Innenverwaltung sagte, wenn sich die Vorwürfe bestätigen sollten, drohte dem Mann ein Bußgeld.

Angesichts der Vorfälle sagte Bischof Markus Dröge, es sei „erschreckend, dass der Antisemitismus in Berlin nicht nur Geschichte, sondern auch Gegenwart ist.“ Es dürfe einfach nicht hingenommen werden, dass Menschen sich wegen ihres Glaubens in Berlin bedroht fühlten.

Ähnlich äußerte sich Frank Henkel. „Auch – aber nicht nur – wegen der aktuellen Ereignisse ist es wichtig, Zeichen gegen Antisemitismus, Rassismus und Intoleranz zu setzen“, sagte er. Und freute sich über die engagierte Aktion von Juga, denn schließlich sei die Jugend die Zukunft. Er wisse selbst, dass es etwas anderes sei, auf einer Kundgebung zu sprechen als nachts durch eine dunkle Straße zu gehen, sagte der Senator auf Nachfrage des Tagesspiegels. Deshalb sei mehr Polizeipräsenz geboten.

Im Roten Rathaus verurteilte zur gleichen Zeit Klaus Wowereit (SPD) die Übergriffe auf Daniel Alter und Stephan Kramer. Der Regierende Bürgermeister hielt eine kurze Ansprache für das Festessen zum 90. Geburtstag der deutsch-israelischen Autorin Inge Deutschkron und sagte: „Auch in Berlin haben leider nicht alle das gelernt, was zu lernen war.“

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