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Matthes

© Kai-Uwe Heinrich

Interview: Alles nur Theater, aber sehr gutes

Wie der Schauspieler Ulrich Matthes die Rede von Barack Obama an der Siegessäule erlebte - und was er von der Inszenierung hält.

Herr Matthes, was hat Sie am Dienstag in den Tiergarten getrieben?

Das war dieselbe Sehnsucht, die wahrscheinlich ein Großteil der Zuhörer gespürt hat: die Sehnsucht nach einer Politik, die über Klein-Klein und Realpolitik hinausgeht. Von Letzterem haben wir in Deutschland derzeit reichlich. Wenn dann einer wie Barack Obama ankommt, der Charisma und offensichtlich Visionen hat, macht einen das neugierig.

Hat der Senator Sie bewegt?

Nicht nur mich. Manche Leute um mich herum hatten Tränen in den Augen. So schlimm war es bei mir dann doch nicht, aber ja: Ich bin dem Auftritt dieses Popstars erlegen. Weil er so direkt und echt wirkte. Weil man als Zuhörer dachte: Mit dem möchte ich anschließend noch ein Bier trinken gehen. Und das, obwohl ich natürlich weiß, dass es sich bei Obamas Auftritt von vorne bis hinten um eine Inszenierung gehandelt hat.

Wenn alles nur Theater war: Was war dann das Besondere an Obamas Rolle?

Seine große Leistung ist, dass dieser Mann es versteht, extrem viel Pathos mit Bubencharme zu verbinden und beides rüberbringt. Das wirkt.

Was hätten Sie als Fachmann bei der Inszenierung anders gemacht?

Gar nichts. Jedes Detail hat gestimmt, vom Wetter bis zu Obamas strahlend weißen Zähnen. Auch ganz wichtig: Dass er ohne Bodyguards ans Mikrofon getreten ist. Und dann dieser Moment gleich zu Beginn, als er sich als „Weltbürger“ vorstellte. Das fand ich wohl das Beste an seinem Auftritt.

In der Fernsehübertragung konnte man die Teleprompter nicht sehen. Da konnte man als Zuschauer glauben, Obama halte seine Rede völlig frei.

Bei politischen Auftritten ist es dasselbe wie bei Theateraufführungen: Wenn sie wirklich gut sind, wirken sie spontan und direkt. Man darf ihnen nicht anmerken, wie viel Arbeit eigentlich dahinter gesteckt hat. Das war mediale Perfektion.

Haben Sie noch Zweifel, dass Sie im Tiergarten den nächsten Präsidenten der USA gesehen haben?

Auf jeden Fall. Ich weiß ja, dass die Wahlentscheidung nicht von den Besuchern auf der Straße des 17. Juni getroffen wird. Ich bin überzeugt, dass es noch sehr, sehr knapp wird. Und ich bin höchstens verhalten optimistisch.

Die Fragen stellte Sebastian Leber.

Der Schauspieler Ulrich Matthes (49) ist Ensemblemitglied am Deutschen Theater. Dieses Jahr spielte er die Rolle des „Onkel Wanja“ in Tschechows gleichnamigen Drama.

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