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Spitzenkandidat. Erst am 13. Mai werden die Sozialdemokraten offiziell festlegen, dass Klaus Wowereit erneut für das Amt des Regierenden Bürgermeisters ins Rennen geht.

© dapd

Interview I: Wowereit: Die Grünen agieren reaktionär

Der Regierende Bürgermeister will die SPD als linke Volkspartei profilieren und verhindern, Juniorpartner der Grünen zu werden. Im Tagesspiegel-Interview verteidigt Wowereit außerdem den Zuzug von Besserverdienenden in sozial schwache Kieze.

Herr Wowereit, Ihre persönlichen Umfragewerte sind in Berlin hervorragend. Warum profitiert die SPD nicht davon, sondern bleibt unter 30 Prozent hängen?

Die Berliner SPD schwankt bei Umfragen zwischen 26 und 32 Prozent. Wir haben nun mal eine starke Linkspartei im Osten und traditionell starke Grüne im Westen. Wer mich wieder als Regierenden Bürgermeister will, muss SPD wählen.

In Berlin sind die Mieten seit 2009 um 14 Prozent gestiegen. Ein gutes Zeichen für ein prosperierendes Berlin?

Wenn die Wirtschaftskraft steigt, dann steigen auch die Lebenshaltungskosten. Das wird keiner verhindern können. Wir müssen trotzdem gegensteuern, damit Menschen, bei denen das Einkommen nicht steigt, bezahlbaren Wohnraum finden. Und zwar in allen Lagen der Stadt, nicht nur in Randquartieren. Ein Korrektiv sind unsere Wohnungsbaugesellschaften. Sie dürfen sich nicht preistreibend verhalten und müssen dort, wo es notwendig ist, den Wohnungsbestand erhöhen oder selbst bauen.

Bisher haben die städtischen Unternehmen den Mietenanstieg nicht gebremst.

Die SPD will den Bestand an öffentlichen Wohnungen von 270.000 auf 300.000 erhöhen. Dazu kommen die genossenschaftlichen Wohnungen – insgesamt ein nicht gewinnorientierter Bereich von 25 Prozent des Marktes. Damit kann man wirksam gegensteuern. Auch die städtischen Gesellschaften müssen sich am Markt orientieren. Aber sie können den Mietanstieg bremsen und kreative Angebote machen, wo der private Wohnungsmarkt versagt.

Der Chef eines Wohnungsunternehmens hat den Senat aber gewarnt, auf die Mietentwicklung Einfluss zu nehmen.

Das Land Berlin ist Eigentümer dieser Unternehmen. Die Leitlinien geben die Eigentümer vor, nicht die Geschäftsführer.

Derzeit liegen die Mieten im sozialen Wohnungsbau einen Euro pro Quadratmeter höher als im privaten Bereich.

Es stimmt, dass nicht jede Sozialwohnung, die mit öffentlichen Mitteln gebaut wurde, preiswerter ist als im privaten Bereich. Das hat aber ursächlich nichts mit der gestiegenen Nachfrage nach Wohnraum zu tun. Der Senat versucht ja auch, hier gegenzusteuern und Entlastung für die Mieterinnen und Mieter zu schaffen. Ich hoffe sehr, dass unser Entwurf für ein neues Wohnraumgesetz zügig vom Abgeordnetenhaus beschlossen wird.

Braucht Berlin neue Wohnungen?

Ja, Berlin wird mehr Wohnungsbau brauchen. Private investieren derzeit eher im Luxusbereich, wo es auch Nachfrage gibt. Ich würde mich freuen, wenn Private genauso in preiswerteren Kategorien bauen. Auch der freie Wohnungsbau müsste sich bei den gegenwärtig niedrigen Zinsen finanzieren lassen. Jeder Neubau entlastet den Altbestand und Berlin hat glücklicherweise Flächen in der ganzen Stadt, wo noch gebaut werden kann.

Welche Rolle spielen beim Neubau die städtischen Wohnungsunternehmen?

Beim Neubau macht es Sinn, den städtischen Unternehmen Grundstücke zur Verfügung zu stellen. Dann können sie die Investitionen auch aus günstigen Mieten refinanzieren.

Werden sozial schwache Mieter aus der Innenstadt vertrieben?

Es gibt in Berlin keine systematische Verdrängung in der Art, wie wir das aus London, Paris oder New York kennen. Aber es gibt an einigen Stellen das Gefühl, bedroht zu sein – letztlich auch durch den wirtschaftlichen Aufschwung der Stadt. Eine neue Durchmischung in Innenstadtregionen, die sich durch Zuzüge ergibt, sehe ich aber nicht prinzipiell als Nachteil. Wenn besser Verdienende wieder in ehemals sozial belastete Quartiere zurückkommen, dann ist das noch kein Verdrängungsprozess. Um die Menschen vor unzumutbaren Mietsteigerungen zu schützen, versucht der Senat auf Bundesebene, striktere Grenzen einzuführen. Leider lässt die Zustimmung aus den anderen Ländern noch zu wünschen übrig.

Die SPD hat sich trotz Verlusten bei den Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz als Sieger dargestellt. Dabei müsste sich die SPD eher Sorgen machen.

Wir haben doch Erfolge. Wir haben eine Ministerpräsidentin Hannelore Kraft in Nordrhein-Westfalen, der Erste Bürgermeister in Hamburg Olaf Scholz ist mit absoluter Mehrheit gewählt worden. Die SPD ist in der Regierung in Baden-Württemberg dabei, Kurt Beck ist in Rheinland-Pfalz wieder Ministerpräsident geworden. Wir stehen im Vergleich zur Bundestagswahl deutlich besser da. Dass die Grünen wegen der Katastrophe in Japan so gute Umfragewerte und Wahlergebnisse erzielen, ist nicht ihren eigenen Verdiensten geschuldet. Sie haben aus Sicht der Bevölkerung offenbar die größte Glaubwürdigkeit, was den Ausstieg aus der Atomenergie betrifft. Man wird sehen, wie dauerhaft die Zustimmung für die Grünen sein wird. Mit Monothematik kann man Wähler nicht dauerhaft binden. Obwohl ich das so sehe, bin ich mit den bisherigen Ergebnissen und Erfolgen für die SPD noch nicht zufrieden.

Warum profitiert die SPD nicht von den Fehlern, die die Bundesregierung macht?

Im Wählerspektrum links von der Mitte konkurrieren drei Parteien um die Stimmen: Die Linkspartei, die Grünen und die SPD. Die Verteilungsmasse wird deswegen nicht größer, das merkt auch die SPD. Im vergangenen Jahr hatten wir schon mal einen Grünen-Hype. Dann ging es bei ihnen wieder runter, unter 20 Prozent. Jetzt ist es das Atomthema.

Sie sagten, die Grünen seien „im Prinzip eine konservative Partei“.

Sie zitieren aus einer nichtöffentlichen Sitzung. Dieses Zitat ist aus dem Zusammenhang gerissen und pauschalisiert worden. Bei bestimmten Themen wie den Vorbehalten gegen Touristen in Kreuzberg agieren die Grünen konservativ bis teilweise reaktionär.

Warum wollen Sie in Berlin dann nicht gleich mit der CDU regieren?

Die SPD wird mit dem Partner eine Koalition eingehen, mit dem wir die größten Übereinstimmungen haben. Das können in Berlin die Grünen und die Linken sein. Mit der CDU wäre es am schwierigsten. Aber Renate Künast liebäugelt ja ganz offen mit der CDU. Deshalb sage ich: Wer Grün wählt, wählt Grün-Schwarz.

Wer SPD wählt, wählt nicht Rot-Schwarz?

Ich habe Ihnen gesagt, wo die inhaltlichen Präferenzen sind. Aber die SPD kann keine Koalition theoretisch ausschließen. Die CDU ist allerdings noch nicht wieder regierungsfähig. Ihr Landeschef Frank Henkel macht letztlich keine andere Politik als seine Vorgänger.

Muss sich die SPD daran gewöhnen, bundesweit Grünen-Juniorpartner zu werden?

Woran machen Sie das fest? Ich sehe es nicht. Ohne Fukushima hätte die SPD auch in Baden-Württemberg vor den Grünen gelegen. In Bremen werden die Grünen bei den Wahlen im Mai nicht reüssieren – und bundesweit werden sie ohnehin nicht dauerhaft die SPD überholen.

Wie soll die neue SPD aussehen, um wieder stärker zu werden?

Wir haben schon die richtige Programmatik: Die Themen soziale Gerechtigkeit und Gesundheitspolitik werden wieder stärker in den Vordergrund rücken. In den nächsten Jahren wird ja nicht nur über Atomkraft diskutiert werden. Die SPD will nicht grün werden, sondern ist und bleibt rot. Die SPD ist eine linke Volkspartei, die soziale Gerechtigkeit für alle fordert. Dass unterscheidet uns deutlich von den Grünen.

Das bedeutet auch: Atomausstieg ja, aber keine hohen Strompreise?

Wir stehen für die Rückkehr zum Ende der Laufzeiten bis 2020. Es ist auch klar, dass wir einen Ersatz schaffen müssen, also die Chancen der erneuerbaren Energien nutzen und dies zum Leitthema machen. Es darf aber nicht passieren, dass beim Atomausstieg die geringer Verdienenden die Solaranlagen auf den Dächern der Eigenheimbesitzer bezahlen.

Wie schafft man es eigentlich, Steuerentlastungen für den Mittelstand zu postulieren und gleichzeitig zusätzliches Geld für Bildungsinvestitionen zu fordern?

Die SPD will die Vermögenssteuer einführen. Wir fordern keine Steuersenkung, sondern Umschichtung im bestehenden System, um die Einnahmen zu erhöhen.

Muss sich die SPD im Bund stärker für die FDP öffnen, um neue Optionen zu haben?

Eine Partei, die sich bei drei Prozent befindet, ist für die SPD keine Option auf die Zukunft. Es ist auch überflüssig darüber zu spekulieren, ob sich die FDP ändert oder nicht. Die FDP soll so bleiben wie sie ist. Die Liberalen sind eine konservative Partei, die einseitige Klientelpolitik betreibt. Das wird sich auch unter Philipp Rösler nicht ändern.

Haben Sie noch Ambitionen auf eine Kanzlerkandidatur 2013?

Ich habe die Ambition, wieder Regierender Bürgermeister in Berlin zu werden, für eine weitere Legislaturperiode.

Sie hatten niemals Ambitionen, SPD-Kanzlerkandidat zu werden?

Das haben Sie von mir nie gehört.

Das Gespräch führten Sabine Beikler, Gerd Nowakowski und Ulrich Zawatka-Gerlach.

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