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Na dann: Guten Rutsch. Wilfried Gräfling, 59, hofft auf eine Silvesternacht ohne Verletzte. Seit 2006 ist er Berlins Landesbranddirektor.

© picture alliance / dpa

Interview mit Feuerwehrchef Gräfling: „Natürlich ruft Oma die 112“

Im Interview spricht der Berliner Feuerwehrchef Wilfried Gräfling über fehlende Ärzte, marode Wachen, Brandschutz in der Mall of Berlin und seinem Büro – und ein verregnetes Silvester.

Herr Gräfling, haben Sie eigentlich schon mal die Notrufnummer 112 gewählt?
Ja, im letzten Jahr. Da ging es meiner Frau nicht so gut.

Und wie oft wird die Feuerwehr im Jahr gerufen? Gibt es auch in diesem Jahr wieder einen neuen Rekord bei den Einsätzen?
Ja. 2013 hatten wir 304 000 Einsätze. 2014 kommen wieder 8000 bis 10000 oben drauf. Wir haben seit Jahren stark steigende Zahlen. Am Wochenende des dritten Advents hatten wir täglich 1350 Einsätze – das haben wir früher nie erreicht, das explodiert geradezu. Das macht uns zu schaffen. Wir arbeiten an der Kante.

Aber wieso steigen die Zahlen so stark?
Es gibt mehrere Gründe. Ein Grund ist die älter werdende Gesellschaft. Wir werden älter, aber nicht gesünder. Wir haben immer mehr kranke Menschen. Das alleine würde uns aber nicht so sehr treffen, wenn die ambulante ärztliche Versorgung noch wie früher wäre. Mit einem Hausarzt als Vertrauten des Patienten, der noch Hausbesuche macht. Die Menschen leben oft nicht mehr in Familien, sondern in Heimen. Und ein weiterer Punkt ist, dass es in den Heimen keine Ärzte gibt. Das müsste man verbessern. Dort gibt es Personalmangel. Wenn was passiert, rufen die Pfleger die Feuerwehr. Überall dort, wo es eine Lücke oder einen Mangel gibt im Gesundheitswesen, müssen wir das ausputzen. Was soll die Oma aber auch anderes machen? Sie ruft die Nummer 112.

Kommt der Rettungswagen deswegen immer unpünktlicher?
Ja, weil wir immer mehr zu tun haben, das ist doch klar. In der Innenstadt war zuletzt nur noch jeder zweite und am Stadtrand nur noch jeder vierte Rettungswagen in der vorgeschriebenen Zeit da.

Und wie geht es weiter?
Wir planen für das nächste Jahr ein neues Einsatzkonzept, das heißt EK15. Es ersetzt das EK06. Wir haben in diesem Jahr 55 Stellen bekommen und 25 2015. Aber wir laufen der Entwicklung immer hinterher. Wir melden gerade für 2016 und 2017 unseren Bedarf an.

Was bedeutet denn eigentlich EK15?
Wir unterhalten uns über neue Schutzziele. Mit den alten, die mit dem Senat vereinbart sind, sehen wir immer schlecht aus. Wir wollen uns vergleichbar machen mit anderen Großstädten. Wenn wir die Berechnungssystematik der anderen nehmen, würden wir viel besser aussehen.

Das nennt man Taschenspielertrick.
Es ist kein Taschenspielertrick, ich will nur vergleichbar sein. Und die anderen Städte wollen unsere Berechnung nicht übernehmen, weil sie dann ganz schlechte Zahlen hätten. Wir brauchen aber auch mit einer neuen Berechnung mehr Personal und neue Feuerwachen.

Wo sollen die entstehen?
Eine neue ist Ende Oktober in Pankow in der Pasewalker Straße eröffnet worden. Jetzt suchen wir noch einen Standort am östlichen Stadtrand nördlich oder südlich der B1/B5. Da wächst die Stadt.

Was fehlt mehr – Technik oder Personal?
Das Alter unserer Fahrzeuge liegt über dem, was wir uns wünschen und was wirtschaftlich ist. Das größere Problem ist aber das Personal. Es gibt weniger Menschen, die Interesse an der Feuerwehr haben, das liegt auch an der Demografie. Es wird zunehmend schwieriger, gute Leute zu bekommen. Wir konkurrieren auch mit anderen Arbeitgebern.

Kann man nicht die Anforderungen an die Bewerber senken?
Nein. Wir senken die Standards ganz sicher nicht. Wir wollen die Laufbahn deshalb attraktiver und kürzer machen und den Anwärtern mehr zahlen, damit es nicht am Geld scheitert. In Nordrhein-Westfalen oder Bayern haben die Mitarbeiter zehn Prozent mehr im Portmonee.

Wer zahlt das alles? Haben Sie schon mit dem neuen Finanzsenator gesprochen?
Mit dem neuen noch nicht. Wir sprechen derzeit mit der Innenverwaltung und ich habe den Eindruck, dass das dort verstanden wird.

"Gebäude sind zum Teil in erbärmlichem Zustand"

In diesem Jahr wunderten sich viele über die Ausstattung der Feuerwehr. Einmal brannten die Kulissen im Plänterwald am Spreeufer – das Feuerwehr-Löschboot ist aber weit entfernt, in Spandau, stationiert. Und als im Herbst ein Auto in die Dahme stürzte und zwei Menschen starben, waren die Feuerwehrtaucher in Charlottenburg.
Über die Löschboote diskutieren wir schon lange. Wir hatten mal fünf. Diese Boote hatten wenige Einsätze und sie sind sehr teuer. Eines kostet zwei bis drei Millionen Euro. Vor Jahren haben wir deshalb beschlossen, uns davon zu trennen. Stattdessen haben wir eine Kooperation mit der Polizei. 2015 bekommen wir aber drei neue Mehrzweckboote, die sind viel günstiger und wendiger. Eines kommt dann nach Köpenick. Bei dem Verkehrsunfall an der Dahme brauchten wir Taucher – die sind aber nicht auf einem Löschboot. Unser letztes Löschboot liegt in Spandau an der Schifffahrtsstraße. Wir überlegen aber, ob wir das Boot noch einmal ersetzen oder ob wir eine andere Lösung finden.

Die Freiwilligen Feuerwehren klagen auch über die Ausstattung.
Die Gebäude sind zum Teil in erbärmlichem Zustand. Die jungen Leute fühlen sich dort nicht wohl, die gehen lieber in einen modernen Sportverein. Es geht nicht, wenn es nur eine Toilette und eine Dusche in einem uralten Gebäude gibt. Für die Freiwilligen Feuerwehren hoffen wir auf ein Sondersanierungsprogramm. Wir brauchen mehrere Millionen Euro über mehrere Jahre. Wenn wir die Jugendfeuerwehren nicht attraktiver machen, bekommen wir keinen Nachwuchs. Und wenn wir keine Freiwilligen haben, brauchen wir mehr Berufsfeuerwehr. Und die ist teurer.

Arbeiten Sie am Stadtrand mit Brandenburg zusammen?
Ja, aber nur im Rettungsdienst. Das regelt seit Jahren ein Staatsvertrag. In der Brandbekämpfung können uns die Brandenburger nicht helfen. Es gibt kaum Berufsfeuerwehren und die Freiwilligen haben selbst große Probleme.

Zuletzt wurde über den Brandschutz nicht nur am Flughafen BER, sondern auch in der Mall of Berlin diskutiert. Ist am Leipziger Platz alles in Ordnung?
Die Mall ist zwar schön groß, aber noch lange kein Flughafen. Man kann sie in Betrieb nehmen, auch wenn die automatischen Brandmelder Mängel haben. Das wird durch Brandwachen kompensiert. Das gibt es auch in anderen Gebäuden. Wenn es zu viele Fehlalarme gibt, stellen wir die Brandmelder ab. Dann müssen diese Aufgabe Menschen übernehmen. Etwas anderes ist, wenn am BER die Entrauchung nicht funktioniert. Dann kann auch der Mensch nicht helfen.

Gibt es hier in Ihrem Büro Rauchmelder?
Nö…

… und bei Ihnen zu Hause?
Ja, ganz viele.

Und wann kommt nun die gesetzliche Rauchmelderpflicht?
Es gibt eine Entwurfsfassung….

… aber die gibt es doch seit einem Jahr?
Ja. Woran es seitdem klemmt, kann ich nicht sagen.

Was wünschen Sie sich zu Silvester?
Ruhige Tage ohne große Brände und schwere Verletzungen.

Am besten also Regen?
Ja, Nieselregen bei zwei Grad plus. Dann können die Böller nichts entzünden und die Menschen sind nicht lange draußen.

Das Gespräch führte Jörn Hasselmann

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