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Mann an der Spitze. Im Dezember wurde Michael Müller Stadtentwicklungssenator. Seit 2004 ist er SPD-Landesvorsitzender. Um dieses Amt muss er jetzt kämpfen.

© dpa

Interview mit Michael Müller: „Wir brauchen schnell eine Entscheidung zur S-Bahn“

Stadtentwicklungssenator Michael Müller spricht im Tagesspiegel-Interview über Großprojekte und neue Planungen in der Stadtmitte, die Probleme des öffentlichen Nahverkehrs und den Streit in der SPD.

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Warum scheitert Berlin als Bauherr immer wieder an Großprojekten, wie jetzt am Flughafen oder an der Staatsoper? Preiswert und pünktlich geht offenbar nicht.

Dazu habe ich ein Gegenbeispiel: Die Avus wird überpünktlich fertig. Der pauschale Vorwurf stimmt so nicht. Eine Verzögerung wie beim Flughafen und der Oper ist schlimm, aber gerade bei Großprojekten nicht immer vermeidbar. Zumal die Holzfunde 17 Meter unter der Oper nicht vorhersehbar waren.

Die Flughafen-Panne wird hunderte Millionen Euro kosten. Werden dafür die Landesbibliothek oder die ICC-Sanierung gestrichen?

So weit sind wir nicht. Erst muss die Flughafengesellschaft die Mehrkosten feststellen, bisher gibt es keine abschließenden Zahlen. Die Frage, in welchem Zeitraum die Kosten anfallen, ist ebenfalls offen. Auch Großprojekte werden in kleinen Tranchen über viele Jahre finanziert.

Sehen Sie im Video: Was die Berliner vom BER-Debakel halten

Dann wenden wir uns erst mal der historischen Mitte Berlins zu. Die CDU will eine zügige Auslobung des Wettbewerbs. Warum bremsen Sie das aus?

Ein Wettbewerb braucht klare Zielvorgaben. Meine Arbeitsgrundlage ist der Koalitionsvertrag. Darin steht, dass der Freiflächencharakter am Marx-Engels- beziehungsweise Rathaus-Forum erhalten bleibt. Durch den Bau des Humboldtforums entstehen neue Blickachsen und wir sollten die Wirkung dieses sehr massiven Neubaus abwarten. Vielleicht sind wir dann froh, wenn es noch Freiflächen in dem Gebiet gibt. Ich sage: Lasst uns die Freiräume gestalten. Es ist ja nicht so, dass in der historischen Mitte nichts passiert. Für den Molkenmarkt gibt es Pläne für ein neues Wohnquartier auf historischem Grundriss. Wir loben den Freiraumwettbewerb zum Humboldtforum aus und diskutieren den Würfel von Thyssen-Krupp am Schlossplatz. Ohne eine breite Debatte mit der Stadtgesellschaft geht das alles sowieso nicht. Und die werden wir führen.

Der Bund schottet seine Bauten ab, das Regierungsviertel verödet nachts…

Bei meinem Antrittsbesuch bei Bauminister Peter Ramsauer haben wir eine Arbeitsgruppe vereinbart, die ein erstes Mal getagt hat. Ramsauer unterstützt unser Anliegen, das Regierungsviertel zu beleben. Die Durchwegung von Bundesbauten, die Einrichtung von Cafés und Kiosken stößt aber leider an Grenzen wegen der Sicherheitsfragen. Bei Bundesministerien kämpfen wir mit denselben Vorbehalten wie bei der Britischen Botschaft in der Wilhelmstraße. Fest vereinbart ist jetzt, dass wir in Zukunft frühzeitig und gemeinsam bei neuen Bundesbauten den öffentlichen Zugang mitplanen.

In Pankow blockieren Sie das Großprojekt des Unternehmens Krieger, das der Bezirk unbedingt haben will. Warum?

Das Projekt finde ich gut. Aber es gibt angrenzende Einkaufszentren und Geschäftsstraßen, die dadurch nicht kaputtgehen dürfen. Wir blockieren das Projekt nicht, sondern stimmen die Größenordnung mit dem Investor ab, denn das Zentrenkonzept des Senats lässt nicht jede Größenordnung „zentrenrelevanter“ Sortimente zu. Wir müssen einen Kompromiss finden. Schön wäre es, wenn mehr Wohnungen entstünden, für die sich dieses Areal außerordentlich gut eignet.

Am Alexanderplatz entsteht ein Kaufhaus, das den historischen Stadtgrundriss zustellt. Der Regierende Bürgermeister kritisierte schon vor Jahren die erbärmliche Qualität der Architektur. Finden Sie schick, was da entsteht?

Der Regierende war vor allem vom Alexa überrascht – massiv, ohne Fenster und dann die farbliche Gestaltung. Aber richtig ist auch: Die Menschen kaufen gern dort ein. Für den Alex gibt es eine planerische Grundlage, mit der wir umgehen, und jetzt kommen auch Investoren, die entsprechend bauen wollen. Das ist eine gute Nachricht. Der Neubau ‚alea 101’ ergänzt das Ensemble. Und auf der nordöstlichen Seite des Bahnhofes wird es konkret mit der Errichtung eines von sieben geplanten Hochhäusern. Hier werden gerade die letzten Details über die Nutzungen verhandelt, eine Mischung aus Büros, Geschäften und Wohnungen.

"Bei diesen Summen läuft es einem kalt den Rücken runter"

Wann fällt die Entscheidung zum ICC?

Im Rahmen des Haushalts, der Mitte Juni beschlossen wird. Die Koalitionsfraktionen SPD und CDU stimmen das gerade ab, gemeinsam mit der Wirtschafts- und Stadtentwicklungsverwaltung.

Es gibt die Idee: 250 Millionen Euro zahlt Berlin, den Rest übernehmen die Messe oder Private. Ist das realistisch?

Wenn man private Partner ins Boot holt, muss genau festgelegt werden, welchen Teil des ICC sie auf welche Weise mitnutzen können. Diese Fragen muss die Wirtschaftsverwaltung klären. Meine Behörde hat alle Umbauvarianten offengelegt. Ein Baukastenmodell, das eine schrittweise Sanierung des ICC erlaubt. Man muss nicht alles sofort machen. Parkhaus, Restaurants, große Foyerflächen und viele Büros sind für den Kongressbetrieb nicht unbedingt erforderlich.

Viele SPD-Abgeordnete wollen das ICC gar nicht sanieren, wie finden Sie das?

Ich kann das verstehen, denn bei diesen Summen läuft es einem kalt den Rücken runter. Die Frage ist nur, was mache ich mit dem ICC, wenn ich es nicht als Kongresszentrum erhalte? Es löst sich ja nicht auf. Ein Abriss würde um die 200 Millionen Euro kosten. Obendrauf kämen die Ersatzkapazitäten, die die Messe in diesem Fall bräuchte. Auch dann lande ich bei 250 Millionen Euro. Es wird sich auch kein Betreiber finden, der ein unsaniertes ICC übernehmen würde.

Berlins Problemzonen: Wo es in der Hauptstadt sonst noch hakt:

Apropos übernehmen: Warum tun Sie sich so schwer zu entscheiden, wer die S-Bahn künftig betreiben soll?

Eine so schwierige Entscheidung braucht Zeit. Aber ich werbe dafür, dass wir noch im Sommer zu einem Beschluss kommen, insbesondere wegen der Beschaffung neuer Fahrzeuge.

Reicht denn die Zeit noch, um bis zum Ende des Verkehrsvertrags im Dezember 2017 neue Züge zu kaufen?

2017 beginnt die Auslieferung. Der komplett neue Fuhrpark kann nicht von heute auf morgen zur Verfügung stehen. Es ist aber ein Unterschied, ob ich 2017 mit der Auslieferung starte oder erst 2020. Ein stabiler, verlässlicher Betrieb ist nur mit einem neuen Fuhrpark möglich, egal, wer die S-Bahn betreibt. Darauf haben die Fahrgäste einen Anspruch.

Wen bevorzugen Sie?

Den Besten. Das ist nicht automatisch der Billigste. Natürlich geht es um das Mobilitätsangebot, aber auch Personalausstattung oder soziale Standards werden eine entscheidende Rolle spielen.

Wie finden Sie den besten Anbieter?

Möglich ist eine Teilausschreibung oder eine Direktvergabe an ein kommunales Unternehmen, das auch die BVG sein kann. Meine Meinung ist bekannt...

... also die Teilausschreibung.

Wichtig ist mir vor allem, dass schnell eine Entscheidung fällt.

In der SPD-Fraktion favorisiert man immer noch eine Gesamtausschreibung des Netzes, was rechtlich umstritten ist.

Es gibt unterschiedliche juristische Einschätzungen. Aber ich will mich nicht auf Gutachten verlassen. Deshalb haben wir uns in der Verwaltung die bisherige Rechtsprechung angeguckt, und die finde ich eindeutig. Gerichte sagen: Wettbewerb muss möglich sein. Aber es gibt unterschiedliche Einschätzungen in den Fraktionen und das muss ernsthaft diskutiert werden, auch wenn die Zeit drängt.

Was passiert, wenn es Ende 2017 weniger S-Bahnwagen als nötig gibt?

Für Übergangszeiten gibt’s immer Lösungen. Es ist auch nicht so, dass alle Fahrzeuge auf einen Tag nicht mehr zur Verfügung stehen. Alte gehen nach und nach aus dem Betrieb und werden sukzessive durch neue ersetzt. Damit können wir, wie gesagt, 2017 beginnen.

Würde die Zeit auch reichen, bis dahin ein kommunales Unternehmen oder einen neuen Bereich bei der BVG zu gründen, der die S-Bahn betreibt?

Ja. Aber es wäre eine Riesenbelastung für die BVG – zeitlich und finanziell. Die BVG würde dann viele Mitarbeiter der S-Bahn an Bord nehmen, denn dort sind die Fachleute. Es gibt aktuell bei der BVG zu wenig Kompetenzen für einen eigenen Bahnbetrieb.

Wäre die S-Bahn als Landesunternehmen nicht in wenigen Jahren ähnlich verschuldet wie die BVG?

Die Schulden der BVG sind ja nicht auf ein Missmanagement zurückzuführen. Wir führen Nachverhandlungen zum Verkehrsvertrag mit der BVG. Ein gutes Verkehrsangebot kostet nun mal Geld. Das große Ziel muss sein, die BVG aus der Verschuldung zu führen, ohne das Mobilitätsangebot einzuschränken.

"Da muss sich ein Parteichef gelegentlich auch mal Dresche abholen"

Sie haben als Senator viel zu tun. Warum wollen Sie auch SPD-Chef bleiben?

Ich glaube, als Landesvorsitzender der SPD seit 2004 gute Arbeit geleistet zu haben, im Interesse der Stadt und der Partei, das möchte ich gern weiterführen. Mir liegt viel daran, das Profil der SPD als Regierungspartei weiter zu schärfen. Dabei sollten Partei, Fraktion und sozialdemokratische Senatsmitglieder wie bisher als eine Einheit agieren.

Sie rechnen bei der Wahl des SPD-Chefs auf dem Parteitag am 9. Juni wieder mit einer Mehrheit?

Ja.

Es bleibt beim Wahl-Parteitag, er wird nicht verschoben?

Davon gehe ich aus. Ich stelle mich dem Votum des Parteitags ebenso wie ich mich dem Votum der Basis stellen würde.

Der Parteitag könnte im Chaos enden. Was passiert, wenn dort beantragt wird, die Vorstandswahlen zugunsten einer Mitgliederbefragung zu verschieben?

Mein Interesse als Landesvorsitzender ist es, dass sich die SPD mit einem geordneten Verfahren der Öffentlichkeit präsentiert. Aber ich habe es nicht in der Hand, ob auf dem Parteitag solche Anträge eingebracht werden. Es gibt ein Mitgliederbegehren, und fünf Kreisverbände befürworten ein Votum der Basis für den Berliner SPD-Vorsitzenden.

Sollten sich die Kontrahenten Michael Müller und Jan Stöß nicht vor dem Wahl-Parteitag auf einen Konsens einigen, um den Streit beizulegen?

Wir beide vertreten unterschiedliche Politikmodelle und –stile, die zur Abstimmung stehen. Es ist doch ok, wenn die SPD über ihre künftige Richtung streitet.

Warum unterstützen Sie dann so vehement ein Votum der Basis, das Ihre Chancen verbessert, Parteichef zu bleiben?

Viele Mitglieder unterstützen das Begehren. Es gibt nun mal neue gesellschaftliche Entwicklungen. Die Menschen wollen früher und stärker in wichtige Entscheidungen einbezogen werden. Es gibt ein großes Interesse an direkter Beteiligung, das macht vor den Türen der SPD nicht halt. Nicht ohne Grund habe ich als SPD-Vorsitzender durch Mitgliederforen und in der Wahlprogrammdebatte die Basis direkt eingebunden.

Aber hat sich nicht in der Berliner SPD eine Art Graswurzelbewegung entwickelt, die sich gegen den Regierungspragmatismus von Wowereit und Müller wehrt?

Führungspersönlichkeiten einer Partei werden gewählt, damit sie führen. Da muss sich ein Parteichef gelegentlich auch mal Dresche abholen. Ich erinnere an die harten Auseinandersetzungen um die A 100 oder den Ethikunterricht. Wie oft haben wir über wichtige Themen gestritten und das ist parteiintern auch richtig. Aber unsere Aufgabe ist: Klare SPD-Positionen formulieren und in Regierungsverantwortung gestalten.

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