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Überangebot. Hat ein Kind zu viel Spielzeug, kann das die Kreativität bremsen. Manche sitzen dann nur noch vor dem Fernseher.

© Jens Kalaene/dpa

Plastik aus China oder ökologisches Holz: „Die meisten Kinder haben zu viel Spielzeug“

Sollte man nur nachhaltiges Holzspielzeug schenken oder geht auch billiger Plastikkram? Für den Experten Siegfried Zoels ist das eine sekundäre Frage. Wichtig ist ihm vor allem: Gutes Spielzeug soll anregen.

Brauchen Kinder Spielzeug, Herr Zoels? Oder geht es auch ohne?
Es kommt darauf an, was man unter Spielzeug versteht. Jeder Mensch lernt durch die Gegenstände seiner Umgebung. Alles ist Spielzeug, was ein Kind in die Hand bekommt, alles dient der Entwicklung. Jeder Mensch auf der ganzen Welt ist eigentlich ein Experte zum Thema Spielzeug. Denn jeder hat gespielt.

Ist es auch in Ordnung, wenn Kinder mit Plastikkram aus China spielen? Oder muss es immer pädagogisch und ökologisch nachhaltiges Holzspielzeug sein? Wie sollten Eltern auswählen?
Natürlich steckt etwas hinter der Frage: Muss ich mein Kind dirigieren? Es gibt da unterschiedliche Philosophien: Etwa, dass man sein Kind nur mit Naturmaterialien spielen lassen sollte. Dass man seinem Kind ein besonderes Spielzeug gibt und davon erwartet, dass das Kind sich in eine bestimmte Richtung entwickelt. Der entscheidende Punkt ist für mich: Man soll gutes Spielzeug auswählen, aber keine Ideologie daraus machen. Spielzeug, das anregt, Spielzeug, das dem Kind hilft, die nächste Stufe der kindlichen Entwicklung zu erobern.

Aber reichen dann nicht Küchenutensilien, Toilettenpapierrollen und anderes im Haushalt, das nicht so leicht kaputtgehen kann, statt gekauftes Spielzeug?
Wichtig ist, dass Kinder selbst etwas machen. Dass sie angeregt werden mithilfe von Spielzeug, ihre eigene Kreativität zu entwickeln. Dass sie ausprobieren. Wenn Kinder bei uns in den Kursen der Ludothek Spielzeug aus anderen Kulturen nachbauen, aus Indien oder Afrika, merken sie, dass Kinder, die auf der Straße spielen, aus ganz wenigen Dingen tolle Lösungen finden, aus Abfall und Naturmaterialien.

Haben die meisten Kinder hier zu viel Spielzeug? Oder das falsche?
Es gibt kein falsches Spielzeug, vielleicht gibt es dummes, ungeeignetes. Dinge, die wenig anregen oder nur zu Stereotypen führen. Zu viel Spielzeug haben die meisten Kinder auf jeden Fall. Dann erlischt leicht das Interesse. Das Spielzeug steht herum, sie setzen sich nicht damit auseinander. Das kann die Kreativität bremsen. Das kann auslösen, dass dann nur noch der Fernseher das Dominierende ist. Viel wichtiger als das Spielen an sich ist das Zusammensein mit Eltern oder anderen Kindern dabei. Wichtig ist, dass Eltern sich darauf einlassen, mit den Kindern zu spielen, und nicht sagen: Mach mal deins in deinem Zimmer. Es muss aber auch die Möglichkeit für das Kind geben, sich allein auf etwas zu konzentrieren.

Woran erkennt man denn nun gutes Spielzeug?
Ein Freund von mir aus Indien sagt, dass man das sehen könne, wenn ein Spielzeug kaputtgeht. Wenn das Kind motiviert wird, herauszufinden: Warum funktioniert das nicht mehr? Wie kann ich es reparieren? Wie kriege ich eine Lösung hin? Aus dieser Perspektive muss das Spielzeug interessant sein. Was ein gutes, passendes Spielzeug ist, ist aber auch abhängig vom Lebensalter: Es kann ein Blatt sein, ein Kreisel, eine Murmel. Und es hängt vom Kind ab. Das ist ganz individuell und unterschiedlich. Meine Enkel sind Zwillinge, die sind viereinhalb. Der Junge kann sich alleine eine halbe Stunde mit einem Buch beschäftigen, das Mädchen ist lebhafter und kann sich noch nicht so lange konzentrieren. Wir, die Erwachsenen müssen Angebote machen, an denen das Kind Spaß hat – in dem jeweiligen Alter.

Es geht also um den Balanceakt zwischen Dirigieren und Anregen. Haben Sie Tipps, wie man den hinbekommt?
Indem man sich mit dem Kind beschäftigt und zuguckt, was es interessiert. Die Eltern sollten mit dem Kind kommunizieren. Es muss gar nicht dieses ganze teure und vielfältige Spielzeug sein. Ich mache seit über 30 Jahren Unesco-Kreativitätsworkshops für Designer, Therapeuten und Spielzeugmacher. 20 Leute leben dabei zwei Wochen in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderungen, sehen, was die Bewohner können, woran sie Interesse haben, und dann entwickeln sie in diesen zwei Wochen neue Spielzeuge – ausgehend von dem individuellen Nutzer. Etwa 300 solcher Neuentwicklungen sind bei uns in der Ludothek zu finden. Das Besondere: Diese Gegenstände, die für Menschen mit Einschränkungen entwickelt worden sind, sind auf einmal für alle interessant: Alle Sinne werden angesprochen, die Spielzeuge fordern zum Spielen heraus und sie funktionieren.

Was kann das konkret sein?
Auch ganz einfache Sachen. Krabbeltiere zum Beispiel. Das sind Handpuppen: Maus, Katze, Vogel, speziell entwickelt für spastische Kinder, die selbst nichts festhalten können, mit einem Gummizug werden sie auf die Hand gesteckt und fliegen nicht durch die Gegend. Die Figuren regen zum Rollenspiel an, zur Kommunikation miteinander, aber sie motivieren auch, die eigenen Finger in die Pfoten zu stecken und damit die Fingerbewegungen selbst zu trainieren – ohne dass das Kind merkt, dass es irgendetwas trainiert. Wenn ein Spielzeug für Kinder und Erwachsene mit Behinderungen funktioniert, funktioniert es überall. Weil Nutzer mit Einschränkungen die höchsten Anforderungen an einen Gegenstand stellen.

Also sollte man das Spielzeug vor allem selbst machen? Oder ist kaufen auch in Ordnung?
Ich bin nicht für das eine oder andere. Man sollte vor allem die Kinder machen lassen. Und ihnen nicht sagen: So musst du das machen. Nicht immer reinreden. Stattdessen sollte man gemeinsam mit ihnen etwas machen.

Es gibt ja den Verein „Spiel gut“, der Spielzeug bewertet. Was halten Sie von den Empfehlungen?
Jemand aus dem Verein ist auch bei uns im Vorstand. Ich halte die Empfehlungen für sinnvoll: Sie bieten Anregung und Hilfe für Eltern. Und eine gewisse Sicherheit, dass das Spielzeug den Entwicklungsprozess fördert und dass es funktioniert und nicht gleich kaputtgeht.

Worauf sollten Eltern noch achten?
Es ist wichtig, dass jedes Kind eine Möglichkeit zum Austoben hat. Erwachsene müssen gerade in einer Stadt wie Berlin die Bedingungen schaffen, dass Kinder spielen können. Wer kann denn heute noch in der Stadt auf der Straße spielen? Es ist doch absurd, dass vor einiger Zeit ein Anwohner in Prenzlauer Berg geklagt hat, damit eine Straße nicht als Spielstraße genutzt werden darf, sondern dass unbedingt Autos durchfahren müssen.

Wird in Berlin genug dafür getan?
Noch nicht. Wir haben 1992 in Prenzlauer Berg alle noch unbebauten Flächen, die im Krieg ausgebombt worden waren, zu Spielplätzen erklärt. Viele davon sind heute Spielplätze um die Ecke. Aber das reicht noch nicht.

Immerhin gibt es die Ludothek, wo Kinder auch spielen können.
Die haben wir nach Vorbildern aus Italien und Frankreich gegründet. In Deutschland war die Kindergartenbewegung ganz stark. In Frankreich gab es in vielen Orten in den Rathäusern Anlaufstellen, wo die Familien ihr Spielzeug abgeben konnten, wenn sie es nicht mehr brauchen. Dadurch hat sich dort eine ganze Ludotheken-Bewegung entwickelt. Wir haben in unserer Ludothek etwa 850 Spielzeuge. Als wir 2001 anfingen, dachten wir ja, die Leute kommen, leihen sich etwas aus und dann gehen sie wieder. Aber die gehen einfach nicht wieder. Die Kinder wollen mit den anderen Kindern spielen, die Eltern wollen sich mit anderen Eltern austauschen. Die Ludothek hat sich so zu einem Familienzentrum entwickelt. Wir haben etwa 6000 Besucher im Jahr, hier im zweiten Hinterhof.

Welches war ihr eigenes Lieblingsspielzeug als Kind?
Ach, ich bin schon so alt und wir hatten in der Nachkriegszeit so wenig als Kind. Kleine Aufziehautos und mein Metallbaukasten. Mit meinen Kindern fand ich die Lego-Eisenbahn besonders toll.

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