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Berlin: Ist Berlin ein Magnet? Oder ein Elendsquartier?

Es kommt immer auf die Rangliste an. Eine Bilanz aus 2005

Nur eines, so scheint es, liegt noch im Dunkeln. Man müsste die Berliner mal fragen, was sie von Städterankings halten, vermutlich aber: gar nichts. Ihre Stadt ist 2005 fast täglich – national, international und global – verglichen worden, aber wirklich schlauer ist niemand dadurch geworden. Berlin sauste durch die Ranglisten wie auf einer Achterbahn: Mal war Berlin arm, schmutzig, kriminell – und im Vergleich mit anderen Metropolen das Allerletzte. Dann wieder hip, voll im Trend und ganz weit oben. Eine Bilanz.

Berlin ist eine Perle – wenn man den Tourismus-Werbern glauben will. Als Städtereiseziel kann Berlin europaweit das größte Wachstum vorweisen. Gerade erst hat der Chef von Berlin Tourismus Marketing einen neuen Rekord angekündigt: Mit 6,5 Millionen Ankünften und 14,7 Millionen Übernachtungen von Gästen aus dem In- und Ausland stelle man selbst das bisherige Boom-Jahr 2004 in den Schatten. Berlin belege bereits jetzt bei den Besucherzahlen hinter London und Paris den dritten Platz. Es geht weiter bergauf: Zur Fußball-Weltmeisterschaft werden nicht nur internationale Gäste erwartet, auch die deutschen Fans zieht es vor allem nach Berlin: 32 Prozent wollen die Hauptstadt besuchen. Übrigens: „Mauer“ und „Brandenburger Tor“ – das sind die Begriffe, die Reisejournalisten als Erstes beim Thema Berlin einfallen, wie eine Umfrage unter 110 Reportern aus 21 Ländern ergibt. Ansonsten gilt Berlin als Feierstadt, dank Christopher Street Day, Karneval der Kulturen, Love Parade.

Berlin ist ein hässliches Entlein – wenn es ums Geldverdienen, um Wachstum und wirtschaftliche Dynamik geht. Wiederholt landet die Stadt auf dem vorletzten Platz – schlechter sind, je nach Umfrage, nur Mecklenburg-Vorpommern, Rostock oder Halle. Die Musterkinder der Nation heißen München, Hamburg und Sachsen. Dann aber auf einmal belegt Berlin im Herbst beim Ranking der 30 beliebtesten Wirtschaftsstandorte Europas Platz 8, vor München. Sieger ist London, gefolgt von Paris – aber Berlin wird als neuer Magnet gefeiert. In einer anderen Umfrage heißt es: Das deutsche Silicon Valley liegt an der Spree. Die Informationstechnologie wächst hier schneller als anderswo. Für 75 Prozent der Unternehmen ist Berlin der „optimale Standort“.

Berlin ist ein Chamäleon – wenn es ums Wohlfühlen geht. Allein an der Frage, ob Berlin nun lebenswert ist oder nicht, haben sich viele Meinungsinstitute abgearbeitet. Anfang des Jahres landet Berlin in einem weltweiten Vergleich zusammen mit Stuttgart auf Platz 14 einer insgesamt 215 Metropolen umfassenden internationalen Rangliste. New York belegt nur Rang 39. Dann aber heißt es: Die traditionell hohe Zufriedenheit mit dem Leben in Deutschland geht zurück. 2003 waren 65 Prozent der Bürger mit ihrem Wohnumfeld zufrieden, jetzt sind es noch 60 Prozent. Berlin gilt als schmutzig, landet auf dem vorletzten Platz. Außerdem ist Berlin die Hauptstadt der Illegalen; 200 000 illegale Einwanderer leben hier.

Man hätte sich mit dem Elend abgefunden, wäre nicht wenig später vermeldet worden: Das Wohnen in der Stadt wird immer attraktiver. Bundesweit schießt die gefühlte Wohligkeit plötzlich auf über 80 Prozent und Berlin landet auf Platz sechs. Um wenig später als zweiter Sieger gefeiert zu werden: Die meisten deutschen Großstädter, nämlich 30 Prozent, würden am liebsten in Hamburg leben. An zweiter Stelle steht Berlin (28 Prozent), an dritter München (27 Prozent). „In Berlin wird schlecht gekocht“, verkündet dann ein bundesweiter Vergleich. Mit 25 Spitzenrestaurants pro eine Million Einwohner rangiert die Stadt mal wieder hinten. 44 Gourmet-Tempel sind Bundesdurchschnitt. Es folgen die Hitlisten im Wochenpack: das weltweite Ranking der lebenswerten Metropolen (10. Platz für Berlin), der lebenswerten Hauptstädte der EU (Platz vier), der Lebensqualität in europäischen Metropolen (Platz 5)…

Aber nicht alles ist Unsinn, was gelistet wird. Experten für Georisiken haben ausgerechnet: Berlin ist supersicher – wenn es um Erdbeben, Sturmfluten und Vulkanausbrüche geht. Auf dem Katastrophenindex erhält Berlin 1,8 Risiko-Punkte, Tokio führt die Liste mit 710,1 Punkten an.

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