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Berlin: Ist Berlin schon zusammengewachsen?

Im Osten gibt es Billigmärkte und Arbeitslosigkeit. Im Westen gibt es das berühmte Villenviertel.

Im Osten gibt es Billigmärkte und Arbeitslosigkeit. Im Westen gibt es das berühmte Villenviertel. Die Ostler waren noch nie im Westen, die Westler noch nie im Osten. So ist das in Hamburg, wo die Alster Bezirke wie Barmbek und Blankenese wie eine Mauer trennt. Natürlich war die Berliner Mauer eine richtige Grenze, anders als der Fluss in der Hansestadt. Hier war Kalter Krieg, hier wurde die Freiheit verteidigt, hier gab es Todesschüsse. Andererseits müssen die mehr als drei Millionen Berliner der Nachwendezeit doch nicht inniger mit sich umgehen als die Menschen anderswo. Nur in Berlin ist es gleich ein deutsch-deutsches Problem, wenn die Marzahner in Marzahn bleiben und die Zehlendorfer in Zehlendorf. Das ist falsch. Auch ohne Mauer müssen sich die Berliner nicht wie auf einer großen Party in den Armen liegen. Sie leben hier, das reicht als Bekenntnis.

Die Stadt hat sich bereits enorm verändert. Man sieht das an Häusern und Straßen. Und an den Menschen. Sie tragen ähnliche Kleidung, haben die gleichen Frisuren, die gleichen Probleme. Schulleiter im Osten wie im Westen klagen über flegelhafte Schüler, Schüler finden keine Lehrstellen, BVG-Fahrgäste schimpfen hüben wie drüben über steigende Preise und verspätete Busse, jeder meckert, und wenn Einheitsfeier ist, wird getanzt und gelacht. Dit is Balin. Was will man denn noch?

Berlin wächst zusammen, daran zweifelt niemand, aber die Einheit der Stadt ist ein organischer Prozess, der sich nicht gewaltsam beschleunigen lässt. Noch diskutieren wir oft über Ost und West – und nicht über Nord und Süd. Noch wählen wir in beiden Teilen der Stadt unterschiedlich und lesen verschiedene Zeitungen. Noch wütet die Arbeitslosigkeit in den Ostbezirken schlimmer als im Westteil. Noch werden öffentlich Bedienstete teilweise unterschiedlich bezahlt. Noch drängeln sich Touristen in Läden, die DDR-Ampelmännchen verkaufen. Noch werden die Schüler im Osten Berlins hauptsächlich von Ossis und die Schüler im Westen meistens von Wessis unterrichtet. Und wer in eine Kneipe geht, muss nur zehn Minuten zuhören und die Menschen beobachten und errät: Ich bin in Marzahn – oder in Neukölln. Selbst unsere Kinder, die die Mauer nicht mehr kennen, wachsen mit Eltern auf, die DDR-Bürger oder Bundesdeutsche (wahlweise: West-Berliner) waren. Auch das prägt, wenn auch von Jahr zu Jahr weniger. Erst diese Kinder werden, wenn sie erwachsen sind, keine große Lust mehr haben, über Ost und West zu philosophieren. Entlang der ehemaligen Grenze, in Mitte, Friedrichshain, Kreuzberg usw., haben sich die alten Unterschiede ja schon verwischt. Aber es wird noch ein oder zwei Jahrzehnte dauern, bis die Einheit vollendet ist. Ulrich Zawatka-Gerlach

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