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Berlin: Ist das nicht meine Tante, da auf der Tafel?

Sie ist es – und die Israelin Ayelet Bargur beschließt, das Leben von Beate Berger zu verfilmen, die Kinder aus dem jüdischen Heim in der Auguststraße vor den Nazis rettete

Es war ihr erster Besuch in Berlin. Als der Stadtführer, der mit seiner kleinen Gruppe das jüdische Viertel durchstreifte, vor dem Haus Auguststraße 14/15 Halt machte, hüpfte das Herz der Israelin Ayelet Bargur. Dort, auf der Tafel neben der großen Hoftür, erkannte sie das Porträtfoto ihrer Urgroßtante. In diesem Haus, das im 19. Jahrhundert das jüdische Krankenhaus war, wurde im Ersten Weltkrieg ein jüdisches Kinderheim errichtet. Zwölf Jahre lang leitete Ayelet Bargurs Urgroßtante, Beate Berger, das Heim - bis sie 1934 mit einer ersten Gruppe von Kindern nach Palästina ging, um sie vor dem Zugriff der Nazis zu retten.

Als die junge Filmemacherin aus Israel das Haus im Jahr 2001 entdeckte war von der alten Pracht der Fassade nicht mehr viel übrig, der Putz bröckelte und die Fensterscheiben waren blind. Doch vor den Augen der Regisseurin entstand ein Stück ihrer Familiengeschichte. Der Plan zu einem Film über die Urgroßtante war gefasst. Und filmreif ist deren Geschichte allemal:

Die gelernte Krankenschwester arbeitete in einem Frankfurter Hospital, als sie 1922 zur Leiterin des jüdischen Kinderheims „Beith Ahawah“ nach Berlin berufen wurde. Zehn Jahre später marschierten die Nationalsozialisten durch die nahe Oranienburger Straße und die Kinder konnten nicht länger vor antijüdischen Parolen geschützt werden. Da beschloss Beate Berger, das ganze Kinderheim nach Palästina zu verlegen. Für den Bau eines neuen „Beith Ahawah“ nahe der Hafenstadt Haifa fand sie Sponsoren, darunter die Maler Max Liebermann und Hermann Struck, die Auktionen für das Heim veranstalteten. Die britischen Behörden brachte sie dazu, die Einreise der Kinder nach Palästina zu genehmigen, allerdings durften sie nur in kleinen Gruppen ins Land. Und so machte sie sich 1934 mit 35 Kindern auf den mühsamen Weg von Berlin nach Triest, von dort mit dem Schiff nach Haifa und zurück, und danach mit anderen Kindern wieder nach Haifa und zurück und immer so fort, bis sie 1939, kurz vor dem Zweiten Weltkrieg, zum letzten Mal nach Deutschland reisen konnte. Da hatte sie mehr als hundert Kinder aus Berlin herausgeholt. Die Spur der Übrigen verliert sich in Konzentrationslagern. Beate Berger starb 1940 in Haifa, das Kinderheim gibt es heute noch. Und auch Zeitzeugen. Ayelet Bargur schaltete in israelischen Zeitungen Such-Anzeigen – und tatsächlich meldeten sich etliche alte Leute, die sich an Beate Berger und sogar an den „klingelnden Schlüsselbund an ihrer Schürze“ erinnerten. Die ehemaligen Heimkinder kramten in ihren Kisten und Schränken, fanden Fotos und alte Papiere – kostbares Material für den Film. Aber noch lange nicht genug. Derzeit ist Ayelet Bargur als Stipendiatin des Berliner Künstlerprogramms des DAAD in Berlin, um auch hier nach Spuren ihrer Urgroßtante zu suchen und einen Produzenten für den Film zu finden.

Ayelet Bargur, deren Urgroßvater bereits in den 20er Jahren aus Deutschland nach Palästina kam, wurde 1969 in San Franciso geboren, hat ihr Leben aber in Israel verbracht. Dort ist sie als Filmemacherin bekannt, vor allem auch durch viel beachtete Fernsehproduktionen. Ihre Filme wurden weltweit auf internationalen Festivals, so auch in Cannes, gezeigt und mehrfach ausgezeichnet. In ihren bisherigen Filmen beschäftigt sich Ayelet Bargur, die in Tel Aviv lebt, mit dem Alltag in Israel – und auch hier spielt ihre eigene Familie eine wichtige Rolle. Ihr Spielfilm „As if nothing happened“ (1999) handelt von einem Tag in einer israelischen Familie, die um ihren Sohn bangt, weil sie ihn unter den Opfern eines Selbstmordattentats vermutet. Es ist eine Geschichte, die den Bargurs selbst passierte. Ayelets Bruder überlebte das Attentat, kam aber ein halbes Jahr später bei einem Einsatz in der Armee ums Leben. Damit setzt sich die Israelin in ihrem Dokumentarfilm „At the end of the day“ (2000) auseinander. Ihre Kamera begleitet vier israelische Familien, die einen Sohn in dem Bürgerkrieg verloren haben.

„Der Tod ist in Israel immer an deiner Seite“, sagt Ayelet Bargur, und: „Mich interessiert, wie die Lebenden damit umgehen.“ Das Berliner Projekt hat für sie dagegen einen neuen Reiz: „Ich weiß ja: Die Geschichte geht gut aus.“

Buchtipp zur Auguststraße 14-16: Regina Scheer: Ahawah. Das vergessene Haus. Aufbau Verlag 1997

Leonie Loreck

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