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Nach der Party kommt das Aufräumen. Die Berliner Stadtreinigung hat mit 550 Mitarbeitern in den frühen Morgenstunden damit angefangen.

© Christophe Gateau/dpa

Jahreswechsel in Berlin: Der "normale Wahnsinn" - eine Bilanz der Silvesternacht

Übergriffe auf Einsatzkräfte, Schwerverletzte durch Pyrotechnik – dennoch blieb es größtenteils friedlich. Die Polizei wertet die ersten Böller-Verbotszonen als Erfolg.

Es krachte, donnerte und blitzte wieder gewaltig auf Berlins Straßen – weitgehend still blieb es dafür an den Böller-Verbotszonen, die die Berliner Polizei an diesem Silvester erstmals eingerichtet hatte. Als „erfolgreich“ bilanzierte sie am Neujahrstag die Durchsetzung der Verbote im Steinmetzkiez rund um die Pallasstraße in Schöneberg und am Alexanderplatz. 2000 zusätzliche Polizisten und 1340 Feuerwehrleute waren in der Silvesternacht stadtweit im Dienst.

Da es an diesen beiden Orten in den vergangenen Jahren immer wieder zu Übergriffen auf Einsatzkräfte gekommen war, wurden dort Raketen, Chinaböller und andere Feuerwerkskörper ab 18 Uhr am Silvesterabend verboten. Der Aufwand der Polizei hierfür war groß: Sie zäunte den Bereich ab, an der Pallasstraße fuhr ein Wasserwerfer vor.

Insgesamt 140 zusätzliche Polizisten kontrollierten Taschen und beschlagnahmten Feuerwerkskörper in den Bereichen. Am Silvestermorgen waren die Straßen so sauber als wäre nichts gewesen. Allerdings: Ringsherum um die Verbotszone sah das ganz anders aus.

FDP-Innenpolitiker Luthe lehnt Verbotszonen ab

Der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Marcel Luthe, spricht von einem Verdrängungseffekt und sieht sich in der Ablehnung der Verbotszonen bestätigt. Dadurch, dass die Böllernden auf die umliegenden Straßen ausgewichen sind, sei es nicht zu weniger Taten als sonst gekommen, sagte Luthe.

„Wenn der Innensenator nur Einsatz zeigt, wenn die Kameras der Welt auf diese Stadt gerichtet sind, aber das restliche Jahr Straftaten offen geschehen lässt, bringt das eben nichts.“ Innensenator Andreas Geisel (SPD) war bis zum späten Mittwochnachmittag nicht zu erreichen.

Die Polizei äußerte sich zu einem möglichen Verdrängungseffekt nicht. Sie musste jedoch in der Nacht spontan reagieren, zog wenige Minuten vor Mitternacht Kräfte zum Schöneberger Ufer auf Höhe der Genthiner Straße zusammen, da dort eine große Zahl von Menschen Böller auf Autos warf.

Zur gleichen Zeit etwa war in der Verbotszone um die Pallasstraße, wo im vergangenen Jahr gut 150 Menschen Böller auf Einsatzkräfte geworfen hatten, nicht viel los. „Hier ist es dieses Jahr deutlich ruhiger“, sagte ein Anwohner, der um 23.30 Uhr seine Wohnung verließ. „Aber in den letzten Tagen wurde hier so viel geböllert wie im vergangenen Jahr.“

Auswertung der Verbotszonen im nächsten Innenausschuss

Auch in den direkt umliegenden Straßen war es vergleichsweise ruhig. Weiter nördlich, rund um den U-Bahnhof Kurfürstenstraße, aber knallte es im Sekundentakt, immer wieder wurde Pyrotechnik auf eine befahrene Kreuzung geworfen. Für die Innenpolitiker im Abgeordnetenhaus ist klar, dass eine Bilanz und Auswertung der Verbotszonen im nächsten Innenausschuss Mitte Januar auf der Tagesordnung steht.

„Es war ein hoher personeller Aufwand, die Verbotszonen durchzusetzen, aber wir müssen prüfen, ob man die Zonen weiter ausdehnen kann auf all die Orte, wo Einsatzkräfte massiv angegriffen wurden“, sagt der Innenexperte der Grünen, Benedikt Lux.

Auch der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Burkard Dregger, sagte man müsse die diesjährigen Schwerpunkte, an denen es zu Übergriffen auf Einsatzkräfte gekommen sei, ausmachen und zu neuen Verbotszonen bestimmen, wenn ausreichend polizeiliche Kapazitäten vorhanden seien.

Der SPD-Innenexperte Frank Zimmermann sagte: „Wir werden mit der Polizei gemeinsam prüfen und entscheiden, ob weitere Zonen sinnvoll und überhaupt möglich sind. Entscheidend wird sein, ob die Gewalt in den betroffenen Zonen und drumherum zurückgegangen ist.“

Polizeigewerkschaft: Menschenleben wurden gefährdet

Benjamin Jendro, Sprecher der Polizeigewerkschaft GdP sagte dem Tagesspiegel: „„Im Steinmetzkiez und am Alexanderplatz ist es in dieser Silvesternacht zu weniger Angriffen auf Menschen gekommen, so dass der gewünschte Effekt an diesen Orten erzielt wurde. Die Verantwortlichen müssen jetzt entscheiden, ob das sicher personalintensive Konzept generell Sinn ergibt und auf andere Orte ausgeweitet werden sollte. Leider wurde auch dieser Jahreswechsel wieder stadtweit von zahlreichen Personen zum Ausleben ihrer Gewaltphantasien missbraucht, wodurch Menschenleben gefährdet wurden.“

Jendro fordert "eine offene gesellschaftsübergreifende Diskussion über Gewalt, um nachhaltige Lösungen gegen diese Verrohung zu finden".

24 Übergriffe auf Feuerwehrleute gab stadtweit, wie die Leitstelle mitteilte. Beim vergangenen Jahreswechsel waren es 49. Am schlimmsten sei der Angriff auf ein Löschfahrzeug in Neukölln gewesen. In der Sanderstraße versuchten mehrere Menschen, die Tür zur Mannschaftskabine zu öffnen, sie attackierten das Fahrzeug mit Pyrotechnik und Steinen und drohten mit Schreckschusspistolen.

Ein Polizeiauto ist zu Silvester in Berlin im Einsatz.
Ein Polizeiauto ist zu Silvester in Berlin im Einsatz.

© imago images/Future Image

Auch die Polizei wurde immer wieder gezielt angegriffen. Mehrere Beamte wurden in der Silvesternacht verletzt. Laut Polizei gab es mehrere Einsätze, weil Leute mit Schreckschusswaffen hantierten und auch auf Polizisten schossen. In der Panoramastraße am Alexanderplatz schoss ein Mann mit einer solchen Waffe mehrfach in die Luft und dann auf Polizisten, die ihn ansprachen. Er wurde festgenommen.

In der Huttenstraße in Moabit musste die Polizei einen Warnschuss abgeben, damit ein Mann mit einer Schreckschusswaffe festgenommen werden konnte.

Keine schwerverletzten Polizisten oder Feuerwehrleute

Es gab keine schwerverletzten Polizisten oder Feuerwehrleute, hieß es beim Polizei-Lagedienst, dies sei „eine gute Nachricht“. Ansonsten sei es der „normale Wahnsinn“ gewesen. Die Zahl der Notrufe zwischen 18 und 6 Uhr lag mit 3065 leicht über dem Vorjahr (2979), daraus resultierten 2039 Einsätze, 300 mehr als im vergangenen Jahr. „Die häufigsten Einsatzanlässe waren der verbotene Umgang mit Pyrotechnik und Sachbeschädigungen“, hieß es im Präsidium.

Auf der zentralen Silvesterparty „Berlin Welcome 2020“ auf der Straße des 17. Juni feierten laut Polizei mehrere zehntausend Besucher. Dort wurden drei Strafermittlungsverfahren wegen sexueller Belästigung und eines wegen „Beleidigung auf sexueller Grundlage“ eingeleitet. Drei Tatverdächtige wurden festgenommen.

Die Feuerwehr leistete von 19 bis 6 Uhr 1523 Einsätze, darunter waren vergleichsweise viele Brände, nämlich 617. Dies dürfte an der Trockenheit an diesem Jahreswechsel gelegen haben. Im Vorjahr waren es 446.

In Schöneberg brannte eine Wohnung aus

In der Belziger Straße in Schöneberg brannte eine Wohnung aus, weitere große Einsätze gab es in Charlottenburg und im Märkischen Viertel. 806 mal waren Rettungswagen im Einsatz. Das sind deutlich weniger als im Vorjahr (940).

Das Berliner Unfallkrankenhaus hat in der Silvesternacht 15 Menschen mit schweren Verletzungen durch Böller oder Raketen behandelt. Dazu zählten schwerste Verbrennungen, wie eine Kliniksprecherin am Neujahrsmorgen sagte. Mehrfach waren durch Explosionen Finger abgetrennt worden, in einem Fall die ganze Hand. Unter den Schwerverletzten waren vier Kinder unter zehn Jahren.

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