zum Hauptinhalt
Pah, Saisonberliner!

© Getty Images/iStockphoto

„Je enger ihr baut, desto besser!“: Ein Spatz packt aus über sein Berlin

Er ist ein Ureinwohner seit Jahrhunderten und kennt jede Nische der Stadt. Lärm, Gentrifizierung und Saisonberliner – das macht ihm nichts aus.

Um eins gleich mal klarzustellen: Spandau gehört nicht zu Berlin. Viel zu viele Bäume und Grünflächen, ich mein, da kann doch niemand in Ruhe nisten. Bis auf die olle Waldschnepfe vielleicht oder der Habicht. Aber dem will ich lieber nicht vor die Hackfresse kommen. Der hat es ja auf mich abgesehen, der soll es sich mal schön bequem machen da hinten im Spandauer Forst.

Wie die meisten hippen Berliner wohn’ ich am liebsten im Altbau, überall, wo es noch ’ne unsanierte Fassade gibt. Also bleibt mir bloß weg mit der Gentrifizierung! Für meinen Geschmack putzt sich Berlin inzwischen zu sehr heraus, alles wird viel zu schick, und immer mehr Leute machen hier auf dicke Hose. Ich bin bescheiden geblieben. Platz ist für mich in der kleinsten Nische, je enger, desto besser.

Ihr meckert ja schon wegen voller S-Bahnen – ich sag’ euch mal, wo es eng ist: im Rollladenkasten! In Schöneberg habe ich für die letzte Brut einen besetzt. Da hab ich vier Kinder drin großgezogen. Also habt euch bloß nicht so. Rückt zusammen, das erzeugt Nestwärme, und ich finde, davon kann in dieser brutalen Stadt jeder ein bisschen mehr gebrauchen.

Überhaupt, diese Wohnungsnot. Was ist denn da los bei euch? Ich sage: Je enger und dichter ihr baut, desto besser. Das Tempelhofer Feld zum Beispiel, Leute, was könnten da für tolle Häuser stehen! Dann hätte ich endlich Ruhe vor diesen Turmfalken, die hängen da nämlich massenweise rum. Mietendeckel schön und gut, aber damit schafft ihr kein Nest mehr. Die müsst ihr schon selber bauen. Ich weiß, wovon ich rede.

Seit Jahrhunderten pickt er am Spreeufer

Denn als echter Urberliner bin ich hier länger als die meisten von euch Bioladen-Körnerfressern. Egal wie lang euer Stammbaum ist, meiner ist länger. Ich hab schon berlinert, wie mir der Schnabel gewachsen ist, ehe eure Großeltern piep sagen konnten. Seit Jahrhunderten picke ich schon am Spreeufer, nicht mal die Vogelforscher vom Nabu oder vom Umweltamt des Senats wissen genau, wie lange, dagegen ist eure Geschichte – ich sag mal – ein Vogelschiss. Kein blöder Habicht oder Turmfalke kriegt mich hier weg!

[Tierisches und allzu Menschliches ist auch immer Thema in unseren Leute-Newslettern aus den zwölf Berliner Bezirken. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Find ich ja gut, dass endlich mal einer von euch den Nerv hatte, mich zu fragen, wie ich die Sache sehe. Dann will ich euch mal ganz ungeniert die Meinung schnabeln. Es gibt hier ja viele schräge Vögel, aber es kann nur einen geben, der den Ton angibt. Die Piepsgröße, das bin ich. Wir sind in der Überzahl.

Nicht mal von den dicken Tauben gibt es mehr als mich. Wir sind die Harten im Garten, nicht wie die Zugezogenen, Zilpzalp, Mönchsgrasmücke und wie die anderen Weicheier alle heißen, die den Abflug machen und den Winter in Italien verbringen, in der Toskana in den Büschen hocken. Pah, Saisonberliner!

Ich bleib hier, und wenn der Bürzel noch so zittert. Deshalb zeigt ruhig mal ein bisschen Mitgefühl, wenn wir über eure Teller flattern, und lasst uns ein paar Krümel liegen, statt dauernd mit den Händen rumzufuchteln. Wir müssen schließlich auch sehen, wo wir bleiben. Solidarität! Das ist Berlin.

Wenn euch das nervt, zieht doch ins Umland

Und habt euch mal nicht so, wenn andere Spaß haben. Von wegen: Die Clubs sind zu laut. Wenn andere lauter Musik machen, tschilpe ich einfach auch, so laut ich kann, und wir verstehen uns. Wenn euch das nervt, dann zieht doch ins Umland und hängt euch da tot übern Zaun: Berlin ist eben lebendig! Ich frühstücke auch lieber spät und schlafe dafür länger als die Amsel, die schon rumträllert, bevor die Sonne aufgeht. Ruf ich deswegen gleich die Polente?

Aber ich will ja gar nicht schimpfen wie ein Rohrspatz. Ich sag ja nur meine Meinung. Ick hab ja eigentlich nüscht zu meckern. Mir geht’s richtig gut hier, im Gegensatz zu meinen Artgenossen in fast allen anderen Städten Europas. Nur in Paris, da hab ich ein paar Kollegen, die können auch nicht klagen.

Ansonsten wird überall fast alles zugepflastert mit Neubauten und Glasfassaden, da bleibt für uns zum Nisten kaum noch eine Ritze. Schlimmer als in Spandau. Also, saniert nicht alles kaputt und lasst uns ein paar Nischen übrig.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false