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Berlin: Je voller, je doller

Wenn sich am Wochenende die Menschen in den Straßen drängeln, machen Taschendiebe fette Beute

Berlin ist eine Stadt der Opfer – jedenfalls für Peter G. und Maxim T. Wenn die Zivilbeamten durch ihren Abschnitt streifen, kommt es ihnen so vor, als legten die Leute ihr Geld fast freiwillig auf den Präsentierteller für die Taschendiebe und Trickbetrüger dieser Stadt. Wohin sie schauen: offene Umhängetaschen, ausgebeulte Geldbörsen in der Hosentasche, Reißverschlüsse an Rucksäcken...

Ihr Revier ist der Abschnitt 32, der Bereich rund um den Alexanderplatz, Unter den Linden und der Friedrichstraße. Polizeioberkommissar Peter G. und sein 25-jähriger Kollege Maxim T. sind in dem belebten Viertel als Zivilfahnder für Straßenkriminalität zuständig. Wenn an den Wochenenden viele Berliner und Touristen arglos durch die Stadt schlendern oder einkaufen, geht für die beiden Zivilfahnder die Arbeit erst richtig los.

In der Polizeistatistik von 2003 werden 17 933 Taschendiebstähle in ganz Berlin gezählt. Allein am diesjährigen Himmelfahrtswochenende sind im Abschnitt 32 in der Jägerstraße insgesamt 31 Taschendiebstähle angezeigt worden. An diesem Pfingstwochenende wird es nicht anders aussehen, schätzen die Beamten. Erwischt wurde kürzlich erstmals sogar ein fünfjähriges Mädchen, das – wie berichtet – mit seiner 14-jährigen Schwester und einer 62-jährigen Verwandten auf das Geld der Passanten aus war. Der Trick des Trios aus Ex-Jugoslawien war nicht neu: Die 14-Jährige hielt den Passanten Unter den Linden einen Bettel-Zettel unter die Nase. Während die Leute das Geschriebene lasen, zog die Kleine ihnen die Geldbörse aus der Tasche. Die Erwachsene hat die Beute dann blitzschnell übernommen.

Taschendiebe sind nur selten Einzeltäter. „Das Ganze ist bandenmäßig organisiert“, erklärt Peter G (36). Das „Geschäft“ mit dem Taschendiebstahl und Trickbetrug teilen sich in Berlin demnach vor allem die Rumänen, Ex-Jugoslawen, Chilenen, Algerier und Polen untereinander auf. Jeder Bande ihre Methode (Tricks siehe auch Kasten): Rumänen schicken oft Kinder zum Betteln vor und nutzen das Gedrängel, um an die Geldbörsen zu kommen. Die Chilenen hätten sich darauf spezialisiert, Leute vermeintlich aus Versehen zu beschmutzen. Die Algerier bevorzugen Lokale: Sie setzen sich Rücken an Rücken zu ihrem Opfer. Während es sich aufs Essen konzentriert, langen die Täter in die über die Stuhllehne gehängte Jacke und leeren die Taschen. Der neueste Trick, den alle Banden gern nutzen: Im Gedrängel auf den Rolltreppen drückt einer die „Stopp“-Taste. Während des Rucks beim Anhalten greifen die Diebe von hinten in die Taschen.

Tatort U-Bahnhof Friedrichstraße. Die beiden Frauen – Jeansrock, Zopf und viel Schmuck – die verdächtig lange Passanten mit Taschen mustern, fallen den Zivilbeamten sofort auf. Zusammen mit ihren vier Kollegen von der Fachdienststelle für Taschendiebstahl nehmen sie ihre Spur auf. Die beiden Frauen schauen sich im Kulturkaufhaus Dussmann um, scheinen kein geeignetes Opfer zu finden, ziehen weiter, steigen dann nochmal am Wittenbergplatz aus. Als es anfängt zu regnen, fahren sie weiter Richtung Technische Universität. In der alten TU-Mensa wählen sich die Frauen schließlich ein Opfer – Typ Öko-Student – aus und versuchen es mit dem „Kredit-Trick“. „Wir sind zwei Monatsmieten im Rückstand und brauchen dringend 1600 Euro Kredit“, flehen die Frauen den Studenten an. „Wir zahlen das Geld ganz bald zurück!“

Es scheint, einmal wieder, zu funktionieren: Der Student zeigt Mitleid, ruft aber sicherheitshalber zur „Rücksprache“ seine Mutter übers Handy an. Die merkt im Gegensatz zu ihrem Sohn allerdings sofort, dass etwas an der Geschichte faul ist und liest dem jungen Mann offenbar die Leviten. Mit hängendem Kopf kehrt der Student zurück und sagt den Frauen, dass aus dem Darlehen nun doch nichts wird. Die Mädels danken ihm auf ihre Art: „Du Schwein!“

Jetzt schalten sich die Zivilbeamten ein, überprüfen die Personalien der Frauen. Sie stammen beide aus Ex-Jugoslawien und besitzen österreichische Pässe. „Spazierengehen hier verboten?“, fragen die Frauen scheinheilig. Angeblich seien sie von Österreich aus auf der Reise, ihr Ziel sei Köln. Dass sich die Beamten über den Umweg Berlin wundern, tun die Frauen mit einem gelangweilten Schulterzucken ab. Vermutlich ahnen sie es schon: Nach der Überprüfung dürfen die Frauen weiterziehen, weil die Polizei nichts Handfestes gegen sie vorbringen kann. Ähnlich geht es den Beamten mit den vielen rumänischen Kindern, die von ihren Verwandten zum Klauen geschickt werden. „Die meisten werden mit acht, neun Jahren angelernt“, sagt Maxim T. „Die wissen ganz genau, dass Kinder unter 14 Jahren straffrei bleiben.“

Wie beispielsweise im Fall von Lydia G. (Name geändert). Das rumänische Mädchen war von der Polizei oft bei ihren Diebstählen ertappt worden. Sie hatte es vor allem auf ältere Menschen am BVG-Fahrkartenautomaten abgesehen. Wenn die Kunden ihr Ticket mit der EC-Karte zahlen wollten, schlug sie zu. Mit einem Pappschild gab sie vor um Geld zu betteln, lenkte dabei die Leute aber nur ab und griff sich im richtigen Moment das Geld aus dem Ausgabeschlitz. Mittlerweile hat aber ein medizinisches Gutachten ergeben, dass Lydia G. über 14 Jahre alt ist: Sie sitzt derzeit in Jugendhaft. Doch ihre Familie schmiedet offenbar schon die nächsten Pläne: Bei einer Überprüfung vor einigen Tagen haben die Beamten Flugtickets nach Athen gefunden. Die Olympischen Spiele nahen: Für Taschendiebe ein Muss.

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