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Berlin: Jede Woche eine neue Rolle

Seit 35 Jahren ist Frank Walter Filmvorführer – so lange wie kaum ein anderer in der Stadt

Es gibt viele gute Filme und einen Haufen schlechte, sagt Frank Walter. Er muss es wissen. Er hat sie alle gesehen. „Team America“ von Southpark-Erfinder Trey Parker findet er ziemlich blöd, den Film „Das Netz“ über den so genannten Unabomber in den USA ziemlich genial. Für Cineasten, die ein halbes Vermögen ins Kino tragen, um keinen guten Film zu verpassen, hat Walter aber nur ein mitleidiges Lächeln. Er geht nur ins Kino, wenn er dafür bezahlt wird. Solange ihm keiner das Gegenteil beweist, ist Frank Walter Berlins dienstältester Filmvorführer. Den Job macht er seit mehr als 35 Jahren – derzeit im Kino der Brotfabrik in Weißensee.

Morgen wird wieder der rote Teppich vor dem Berlinale-Palast ausgerollt, wesentliches Requisit beim Blitzlichtgewitter mit Stars und Sternchen. Diesen Rummel hat Walter nie mitgemacht. Sein Verhältnis zum Kino ist ruhiger. Klar, auch Blockbuster hat er in seinen Projektor eingelegt, aber Glamour? Braucht er nicht. Walter guckt gerne Film, alles davor und drumherum interessiert ihn nicht. „So Leuten wie Pfitzmann oder Manne Krug habe ich mal Guten Tag gesagt und dann war gut.“ Berlinale? Klar, hat er auch gemacht. Damals, als es noch ein reines West-Festival war. Da kam ihm entgegen, dass er für die Retrospektive zuständig war, die damals noch im Cinema Paris Station machte. Oder fürs Panorama im Filmkunst 66. Irgendwelche Anekdoten? Nur eine hat er zu bieten, die nicht mal ihm wiederfuhr: Im Cinema Paris und Zoo-Palast wurde ein Film parallel gezeigt. Eine Filmrolle kam im Zoo-Palast verspätet an, da gab es eben eine Pause.

Mit den Jeans, kariertem Flanellhemd, Schnauzer und Seitenscheitel hätte der 57-jährige Walter beim Casting für einen Malocherfilm aus dem Kohlenpott gute Chancen. Elektriker hat er gelernt, Ende der 60er Jahre. Seine Mutter arbeitete im Steglitzer Roxy-Kino an der Kasse und besorgte immer Freikarten. Irgendwann fragte ihn der Kinobesitzer, ob er nicht nebenbei Geld verdienen wolle. So wurde Walter Platzanweiser im Roxy. Er bekam den Spezialauftrag, die Raucherlogen im 2. Rang zu überwachen. Die Plätze dort waren teurer, also galt es, Umzüge von den billigeren Rängen zu unterbinden. Manchmal half er, Filmrollen in den Vorführraum zu bringen – naja, so schlidderte er eben in diesen Job hinein. Das Roxy machte irgendwann dicht, wie fast alle Kinos, in denen Walter Filme eingelegt hat. Lichtspielhäuser sind empfindliche Gewächse. Nach dem Roxy kam das Apollo in der Bismarckstraße, das Kino Krone in der Rheinstraße oder das Bellevue am Hansaplatz. Alles passé. Manchmal hatte er Besseres zu tun, als zum zehnten Mal denselben Kassenschlager zu gucken. Viele alte Kinos waren vorher Tanzsäle, da gab es auch im Vorführraum viel Platz, mit Sofa und Abstellecke für den Bierkasten. Walter lud seine jeweilige Freundin ein und machte, was man halt so macht im Kino. Für Diskotheken oder Barbesuche hatte er ja keine Zeit. Das Filmgeschäft lief nur am Wochenende, als Nebenjob. „Das Kinogeld reichte fürs Leben. Die Kohle als Elektriker habe ich gespart.“

Mitte der 70er Jahre war Walter im MGM-Kino am Ku’damm. Dort gab es die Blockbuster auf 70 Millimeter-Extrabreite. Für den Katastrophenfilm „Erdbeben“ ließ der MGM-Boss Bassboxen in den Saal stellen. Der Streifen füllte das Kino drei Monate lang und war ein durchschlagender Erfolg. In den Wänden des Hauses hatte das Filmbeben lange Risse hinterlassen. In den 80er Jahren arbeitete Walter im alten Filmkunst 66. Danach im Graffiti, Ludwigkirchplatz, dann ging die Mauer auf und Walter machte rüber ins Tivoli, Pankow. Gibt es alle nicht mehr. Autokino hat er auch mal gemacht. Die Jobwechsel liefen immer über Beziehungen. Nur zuletzt, die Anstellung im Kino Brotfabrik, Prenzlauer Promenade, da hat ihm das Arbeitsamt geholfen. Dass man einen festen Job als Filmvorführer ergattert, hat Seltenheitswert in der Branche. Meistens werden Studenten angeheuert. Walter will weitermachen, solange das Filmezeigen noch Geld einbringt. Ist es doch mal vorbei damit, wird er noch länger am PC sitzen und Programme schreiben – seine zweite Leidenschaft. An der Schlange zur Kinokasse wird er nicht stehen.

„Das Netz“ und „Team America“ laufen derzeit im Kino in der Brotfabrik, Caligariplatz / Prenzlauer Promenade 3, Weißensee, Telefon 471 40 01/2

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