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Jeder zehnte Berliner Beschäftigte trinkt laut DAK "riskant" viel Alkohol.

© Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

„Jeder Zehnte ist ein Risikotrinker“: Forscher untersuchen Sucht bei Berlins Beschäftigten

Die Krankenkasse DAK beschäftigt sich in einer großen Studie mit dem Thema Sucht. Erstmals werden auch die Folgen von Online-Spielen aufgelistet.

Berliner Beschäftigte, die unter einer Sucht leiden, fehlen im Schnitt doppelt so oft wie Kollegen, die nicht süchtig sind. Das ergab eine repräsentative Studie der Krankenkasse DAK, die Folgen von Alkoholkonsum, Rauchen und Gaming – also intensivem Online-Spielen – untersucht hatte. Von Beschäftigten, die (auch) an einer Sucht leiden, fehlten demnach jeden Tag 7,2 Prozent am Arbeitsplatz. Unter Erwerbstätigen ohne (erkannte) Substanzstörung lag der Krankenstand bei 3,9 Prozent. Insgesamt fehlen in Berlin jeden Tag 4,5 Prozent der Beschäftigten wegen Krankheit, im Bundesmittel 4,2 Prozent.

"Manchmal spielt falsches Taktgefühl eine Rolle"

Dabei werden Süchte viel seltener als offizieller Abwesenheitsgrund angeben als sie es tatsächlich sind. „Einigen Patienten ist es peinlich, andere verweisen vielleicht auf massive Beschwerden anderer Art“, sagt Darius Chahmoradi Tabatabai, Entwöhnungsspezialist am Auguste-Viktoria-Vivantes-Klinikum. „So kommt es, dass nicht in jeder Krankenakte eine Sucht vermerkt ist, obwohl sie vermerkt gehörte. Manchmal spielt falsches Taktgefühl der Ärzte eine Rolle.“ So verzeichneten laut DAK 100 Versicherte vergangenes Jahr nur 7,6 Fehltage wegen Alkoholproblemen.

Vereinfacht gesagt bedeutet das: Einer von 100 Beschäftigten blieb 7,6 Tage im Jahr wegen Alkohols krank zu Hause. „Tatsächlich verbergen sich Suchtfolgen in anderen Krankschreibungen“, sagte Susanne Hildebrandt vom Iges-Institut, das mit der Analyse betraut war. „Hinter psychischen Leiden sowieso, aber auch Atemwegsstörungen und Muskel-Skelett-Erkrankungen.“

Wer süchtig ist, fehlt am Arbeitsplatz öfter wegen psychischer Leiden, aber auch wegen Muskel- und Atemwegserkrankungen.
Wer süchtig ist, fehlt am Arbeitsplatz öfter wegen psychischer Leiden, aber auch wegen Muskel- und Atemwegserkrankungen.

© Tsp

Die DAK habe sich deshalb nicht nur Krankenscheine angesehen, sondern auch Krankenakten der Betroffenen. Wenn ein Patient mit Beinbruch eingeliefert worden sei, sagte Hildebrandt, der Arzt aber gleichzeitig Alkoholismusanzeichen feststellte, habe man das in die Daten aufgenommen – selbst wenn Sucht auf dem gelben Krankenschein nicht als Diagnose angegeben war. Suchtmediziner Tabatabai und Mathematikerin Hildebrandt waren bei der Vorstellung der DAK-Studie dabei.

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Ausfalltage wegen sogenannter Substanzstörungen sind auf dem Bau, im Gesundheitswesen und in der Verwaltung besonders häufig. Missbrauch illegaler Drogen wurde selten registriert. „Nach wie vor ist Alkohol ein Problem, jeder Zehnte ist ein Risikotrinker“, sagte Berlins DAK-Chef Volker Röttsches. „Generell können Süchte jeden treffen.“

Internet Gaming Disorder ist nun anerkannte Diagnose

Erstmalig untersuchte die DAK die Folgen von Computerspielsucht auf die Arbeitswelt. Exzessive Nutzung von Videospielen hat demnach fast keine Auswirkungen auf die Arbeitswelt. Etwa ein Prozent der Berliner Beschäftigten leide dennoch unter Internet Gaming Disorder. Am Arbeitsplatz aber spielen Zehntausende am PC: Sieben Prozent der Beschäftigten gehen Onlinespielen während der Arbeitszeit nach. Ob die Sucht nach Computerspielen zunimmt, wird sich zeigen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO nahm die Diagnose erst vor einigen Wochen in den weltweit anerkannten Krankheitskatalog auf.

Die Sucht nach Online-Spielen ist in diesem Jahr von der WHO als Krankheit anerkannt worden.
Die Sucht nach Online-Spielen ist in diesem Jahr von der WHO als Krankheit anerkannt worden.

© Patrick Seeger/dpa

Zusammenfassend hat die DAK-Studie festgestellt, dass es unter den 1,8 Millionen Berliner Erwerbstätigen 447.000 abhängige Raucher gibt, circa 40.000 Männer und Frauen mit einer Internet Gaming Disorder, also der vergleichsweise neuen Computerspielsucht, dazu noch knapp 18.000 Alkoholabhängige. Fast 180.000 aber hätten einen „riskanten Alkoholkonsum“ – das ist circa jeder zehnte Beschäftigten in Berlin.

Die DAK ist eine der größeren Krankenkassen. Für die Studie wurden Daten von 106.000 erwerbstätigen DAK-Mitgliedern durch das Iges-Institut ausgewertet. Die Versicherten wurden laut DAK so gewichtet, dass sie dem Durchschnitt aller Berliner Beschäftigten entsprachen, ihre Daten also repräsentativ sind. Die größten Kassen in Berlin sind AOK, Barmer und Techniker-Krankenkasse.

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