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Berlin: „Jedes Lächeln gibt Halt“

Die Läufer hatten Familien mitgebracht und Freunde: 100000 Zuschauer standen an der Strecke der 25 Kilometer Berlin, jubelten und schossen Fotos von ihren Helden

Wo ist der beste Platz, wenn die Strecke „25 Kilometer von Berlin“ heißt und 8000 Läufer lautstark angefeuert werden müssen? Michael Burow, Klinikarzt in München, studierte morgens im Hotel den Streckenverlauf und wusste: „Natürlich am Potsdamer Platz.“ Burow ist mit Trillerpfeife und Fotoapparat angereist, um Schwager Christian beim Skaterlauf aufzumuntern. Nicht nur ihn. Der Arzt feuert und strahlt am Sonntagvormittag fast alle vorbeikommenden Läufer an: „Jedes Lächeln gibt Halt.“ Wie er säumten nach Schätzung des Berliner Leichtathletikverbandes rund 100000 Zuschauer die Strecke, etwas mehr als im letzten Jahr.

Zwischen Start und Ziel Olympiastadion bildet der Potsdamer Platz bei der großen Tour (der kleinere Nike-Lauf beginnt an der Tauentzienstraße) ziemlich die Mitte. Hier lässt sich für Außenstehende mit gewisser Treffsicherheit beurteilen, wie Bekannte oder Verwandte den Lauf verkraften. Gelassen heiter, gleichgültig oder angestrengt. Als Burows Schwager entspannt vorbeirollt, geht das so schnell, dass es zwar mit den Anfeuern klappt, fürs Foto aber nicht reicht.

Die letzen Skater des Vorlaufes sind noch unterwegs, da flitzt schon die Spitzengruppe der Läufer mit dem Kenianer Paul Kosgei vorbei. Der Beifall mischt sich mit besonders heftigem Schlagzeugwirbel. Die wilden Band-Rhythmen sind nicht zu stoppen. Immer wieder starrt das Publikum in Richtung Leipziger Straße. Von dort nähern sich die Läufer wie aus einem Nieselregenschleier, im Pulk, in kleinen Gruppen, oder ganz allein. Die Zuschauer haben meist das Gefühl, dass alle kommen, nur nicht die Erwarteten. „Es ist“, ruft eine Frau, „wie am Gepäckförderband im Flughafen. Das Gewünschte kommt stets zum Schluss – oder gar nicht.“

Birgit Heller und ihr sechsjähriger Sohn Anton warten auf Mann und Vater, dabei assistieren Birgits Freundin Melanie Nickel und ihrem Sohn Björn. Es wartet, eine Rassel schwingend, Heinz Wegener auf Sohn Christian. Der Zehlendorfer Jurist, 71 Jahre alt, hatte 1988 noch beim „Franzosenlauf“, wie das Rennen damals hieß, mitgemacht. „Von 11000 sind 9000 angekommen, ich war knapp über Platz 2000 – zwei Stunden, 28 Minuten. Entscheidend ist, dass man durchkommt.“ Seinem 42-jährigen Sohn riet er: „Versuche, in einer Gruppe zu laufen und einen zu finden, der vorwegzieht“.

Alle, die erwartet werden, kommen dann doch vorbei, allerdings fast immer etwas später als erhofft. Die Zuschauer müssen schon genau aufpassen, um den Passenden zu erkennen, das Feld ist oft sehr unübersichtlich und genaue „Treffpunkte“ konnten kaum vereinbart werden. Wegeners Sohn läuft tatsächlich in einer Gruppe, winkt und lacht. „Da kommt er“, rufen auch Birgit Heller und Anton. Es gibt kleine Erfrischungen mit auf den Weg, einige Zuschauer laufen auf dem Mittelstreifen ein Stück mit. Läufer schwenken stolz die Hertha-Fahne oder auch die Friedensfahne „Pace“, viele Aufmunterungsrufe werden höflich mit „Danke“ quittiert. Einige wechseln vom Lauf ins kurze Tänzeln, weil die Rhythmen der Band aus der Trommelschule Prenzlauer Berg so ins Blut gehen.

Die Musiker haben sich an der Straße unter dem Bahnhochhaus postiert, die Töne fangen sich zwischen den Glaswänden, schallen zurück, die Akustik ist konzertreif. Als der letzte Läufer unter Beifall vorbeikommt, eskortiert vom Polizeiauto mit der traurigen Aufschrift „Schlussläufer“ und einem Krankenwagen, hat Andreas Voutta fast zwei Stunden seine Conga-Trommel bearbeitet. „Man kann dabei wunderbar entspannen.“

Christian van Lessen

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