zum Hauptinhalt

Berlin: Jetzt beginnen die politischen Farbenspiele

In den Koalitionsgesprächen sind neue Konstellationen denkbar. Es geht um Rot-Rot gegen Rot-Grün. Eine große Koalition schließt die SPD aus Bei den Sondierungsgesprächen werden die Sozialdemokraten den Ton angeben. Das könnte die künftigen Partner zu schmerzhaften Kompromissen zwingen

Auf den Wahlsonntag folgen die Verhandlungen. Die unerwartet starken Gewinne der Grünen und die dramatischen Verluste der Linkspartei/PDS befeuerten am Sonntagabend eine Debatte über mögliche Regierungskonstellationen. Die einzige Klarheit sprach Wahlsieger Klaus Wowereit aus: „Ohne die SPD kommt keine Regierung zustande. Und das ist auch gut so.“ Alles andere wird sich in den nächsten Tagen und Wochen zeigen.

Der Parteienforscher Jürgen Falter vertrat am Sonntag die Ansicht, dass eine rot-rot-grüne Senatskoalition für Klaus Wowereit das sinnvollste Regierungsbündnis für die nächsten fünf Jahre sei. Von den drei dafür nötigen Partnern wollte diese Option jedoch bislang keiner favorisieren. Eine solche Dreierkonstellation „wäre zu stark mit sich selbst beschäftigt, anstatt sich um die Stadt zu kümmern“, sagte die Spitzenkandidatin der Berliner Grünen, Franziska Eichstädt-Bohlig, und sprach damit aus, was auch in SPD und PDS viele denken.

Das Grundprinzip, nach dem Wowereit und seine Partei verhandeln werden, ist einfach – und dürfte für den potenziellen Koalitionspartner nur schwer zu schlucken sein: „Wir wollen so viel Sozialdemokratie wie möglich durchsetzen.“

Die Linkspartei/PDS machte keinen Hehl daraus, dass sie sich nur bis zu einem bestimmten Punkt kompromissbereit zeigen wird. Eigentlich hatten die Sozialisten vorgehabt, bei einem guten Wahlsieg fordernder als noch vor viereinhalb Jahren an die SPD heranzutreten. Damit ist nun Schluss. PDS-Galionsfigur Gregor Gysi verpackte die Enttäuschung in Sarkasmus über die mögliche Konkurrenz: „Die Grünen sind hier so geil und scharf aufs Mitregieren, dass es mir schon ganz unheimlich ist.“

Die Grünen wollen unbedingt mitregieren: Sie sitzen in keinem Landesparlament mehr – und brauchen eine Machtoption auch für ihre Position auf Bundesebene. Vor fünf Jahren sagte Grünen-Politiker Wolfgang Wieland nach den Abgeordnetenhauswahlen zu Harald Wolf von der Linkspartei: „Wir gewinnen immer die Umfragen, und ihr die Wahlen.“ Der Wielandsche Spruch hat sich bei diesen Wahlen nicht bewahrheitet: Die Grünen sind Wahlgewinner. Sie haben einen klaren Wahlkampf für Rot-Grün geführt und wollten die Linkspartei als Koalitionspartner ablösen. Die Grünen setzten in ihrer Kampagne vor allem auf die Bildung und forderten mehr Geld und Qualität in Kitas und Schulen. Dabei legten sie sich nicht so pragmatisch wie die Linkspartei fest: Die von ihnen ursprünglich geforderte Gemeinschaftsschule rückte als mittel- und langfristige Perspektive in ihrem Forderungskatalog immer weiter nach hinten. Die Partei warb im bürgerlichen Lager vor allem bei der Unternehmenspolitik. Sie sind keine Verweigerer von Privatisierungen landeseigener Unternehmen, sondern fordern Teilprivatisierungen zum Beispiel bei der BVG, um kontrollierten Wettbewerb zu ermöglichen. Damit haben sie nicht ihre Stammklientel brüskiert, sondern sogar um bürgerliche Stimmen in der CDU geworben. Das Angebot an die desillusionierten CDU-Wähler: Wählt ihr uns, dann habt ihr die Chance, dass wir in einer Regierung tatsächlich mitgestalten – und die Inhalte verwirklichen.

Das hätte auch die FDP gern gesehen. Doch ihr harter Oppositionskurs mit Forderungen – Stellenstreichungen im öffentlichen Dienst und Privatisierung von landeseigenen Unternehmen wie zum Beispiel die Krankenhausgesellschaft Vivantes – hat Wähler brüskiert. Ihr wurde eine „Politik der sozialen Härte“ unterstellt, die sie im Wahlkampf trotz durchaus liberaler Elemente in der Innenpolitik wie zum Beispiel die Ablehnung von flächendeckender Videoüberwachung nicht mehr gerade rücken konnte. Eine Ampelkoalition hatte Klaus Wowereit bereits während des Wahlkampfes weitgehend ausgeschlossen. Nach diesem Wahlausgang ist sie allerdings auch rein rechnerisch nicht mehr realistisch.

Eine weitere Konstellation, die rechnerisch möglich ist, wurde am Sonntag so gut wie gar nicht erwähnt: Eine große Koalition von SPD und CDU will in Berlin kaum ein Sozialdemokrat, zu schwer wiegen die traumatischen Erfahrungen der 90er Jahre, als man der Juniorpartner unter der Führung von Eberhard Diepgen war. Da Wowereits Partei auch ohne die CDU gut regieren kann, blieb das CDU-SPD-Bündnis nur ein Gedankenspiel. Das sieht auch Michael Braun so, der stellvertretende Vorsitzende der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus: „Es ist nicht die Aufgabe der CDU, jetzt jemandem eine Koalition anzutragen.“ Allerdings habe sich die SPD während des Wahlkampfs in einigen Positionen – etwa beim Flughafen Tempelhof – denen der CDU angenähert, meint der Unionspolitiker. Darin erschöpften sich derzeit die Gemeinsamkeiten aber auch.

Die PDS, deren Wahlkämpfer am Abend keinen Hehl aus ihrer Trauer machten, werden sich in den nächsten Tagen nicht nur Gedanken machen, unter welchen Bedingungen sie sich eine Koalition mit der SPD vorstellen könnten. Sie werden sich auch wieder mit dem verhassten Thema WASG beschäftigen müssen. Denn die bittere Niederlage ist zu einem nicht unerheblichen Teil der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit zu verdanken, die mit Fundamentalopposition und inner-linken Flügelkämpfen der PDS das Leben schwer machte. Vor allem dank der umtriebigen WASG-Spitzenkandidatin und Gegnerin einer Fusion von Berliner PDS und WASG, Lucy Redler, dachten viele bei der Linkspartei vor allem an Streit. Dieses Bild kostet die Linkspartei offenbar entscheidende Prozente, wahrscheinlich weitaus mehr als die 3,6 Prozent, die die WASG auf sich vereinen konnte.

Gerade die Wähler im Osten sind sehr empfindlich, wenn eine Partei Streit signalisiert, konstatierten PDS-Wahlstrategen am Abend. Lucy Redler selbst gab sich zwar kampfeslustig. Die Linkspartei habe ihre „Quittung bekommen“. Ihr Absturz zeige, dass auch in Zukunft auf der Basis ihrer Politik keine Einigung mit der WASG stattfinden könne. Sollte es in beiden Bundesländern aber doch zu Neuauflagen von Rot-Rot kommen, könnte die Linkspartei mit einem blauen Auge davongekommen sein. Schließlich verfehlte die WASG selbst in Berlin deutlich den Sprung ins Abgeordnetenhaus.

Beobachter sagen Redlers Verband ohne politische Bühne bereits ein „Sektendasein“ voraus. Spätestens mit der Parteifusion müssten auch die letzten Widerständler verstummen – oder ihren Hut nehmen. Und dass die Parteifusion kommt, gilt als sicher. Linkspartei-Anhänger Peter Wirth nahm das Problem um die Berliner WASG auf der Wahlparty denn auch gelassen und sprach aus, was wohl auch die Parteispitze denkt: „Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende, in zwei Jahren gibt’s die nicht mehr.“ Tsp

-

Zur Startseite