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Berlin: Jetzt geht die Party richtig los

Diese Weltmeisterschaft wird immer schöner - und die Berliner feiern immer ausgelassener Überall in der Stadt hupten Autofahrer, jubelten Fans – und der Ku‘damm wurde zur Fußgängerzone

Den Rückzug ins ruhige Hotel hatten sich Klinsmanns Kicker wirklich verdient. Gegen 21.50 Uhr war der deutsche Mannschaftsbus vor dem Schlosshotel in der Grunewalder Brahmsstraße vorgerollt, empfangen von rund 1000 jubelnden Fans, die schon gut eine Stunde zuvor die Spielerfrauen mit viel Hallo begrüßt hatten. Wer das Glück hatte, gleich vorne an der Absperrung zu stehen wie die Lehrerin Dagmar Kastendieck von der Steglitzer Schmidt-Ott-Realschule, konnte sich sogar einen Fußball signieren lassen: Schweinsteiger, Podolski, Klose, wie auch die anderen Spieler kamen sie in ihren Nationaltrikots – die Ausbeute konnte sich sehen lassen.

Aber auch die 25-jährige Mutter Silvia, die mit ihrem sechs Monate alten Söhnchen Maddox zum Hotel gekommen war, konnte mit der Stippvisite zufrieden sein: Sebastian Deisler und Patrick Owomoyela hatten das schwarz-rot-goldene Basecap ihres Söhnchens bereitwillig signiert. Bei der Partie gegen Argentinien waren sie zwar nicht dabei, aber egal, Spieler ist Spieler.

Während sich die Kicker im Hotel von dem strapaziösen letzten Stunden erholten konnten oder vielleicht erst zu feiern begannen, war die Party der Stadt gerade richtig in Schwung gekommen. Und es zeigte sich, dass dies ohne weiteres auch ohne einen mit hupenden Autos völlig verstopften Kurfürstendamm geht. Wie angekündigt, hatte die Polizei den Boulevard und die Tauentzienstraße für Autos gesperrt, um die Fans zu Fuß nicht zu gefährden. Für die Autos aus Richtung Adenauerplatz war erst an der Knesebeckstraße, dann schon am Olivaer Platz gesperrt worden. Der traditionelle Autokorso rollte und stand daher diesmal auf der Lietzenburger und der Kantstraße. Am Kranzlereck hatten sich an drei Ecken TV-Übertragungswagen aufgestellt, um direkt auf der Fahrbahn Fans zu interviewen. Wenige Meter weiter beobachtete Polizeipräsident Dieter Glietsch zufrieden das Treiben. Auch bei diesem Spiel sei es völlig friedlich gewesen, sagte er.

Trotz der korsofreien Zone war die Westcity wie üblich wieder der Mittelpunkt der Siegesfeiern – aber auch rund um den Alex feierten Fans mit Feuerwerk und Sprechchören. Der Ku’damm war sogar noch voller als beim Achtelfinalspiel, während auf der Fanmeile nach Einschätzung der Polizei weniger Menschen als beim letzten Sieg der deutschen Elf waren: rund 750 000. Aber das ist natürlich alles relativ. „So sehen Verlierer aus", hatten hunderte von Fans vor der Videowand auf der Fanmeile skandiert, als vor Spielbeginn die argentinische Nationalhymne gespielt wurde. Ein anderer hielt ein selbst gemaltes Plakat in die Höhe, „Don’t cry for the Cup, Argentina.“ Beim Spiel dann war es weitaus ruhiger als bei den vorangegangenen Spielen der deutschen Mannschaft, das „Fiiiinaaale“-Gebrülle unterblieb fast völlig. Auch als Lehmann zwei Stunden später den zweiten Elfmeter hielt, brandete kein Orkan über die Straße des 17. Juni – die Fans mussten wohl erst verarbeiten, dass Deutschland tatsächlich im Halbfinale steht – und jetzt gegen Italien im Halbfinale auflaufen wird.

Wie musste sich der Kartenbesitzer da wohl ärgern, der sein Ticket am Stadion für 350 Euro angeboten hatte. So einen nervenzerreißenden Abend musste man doch einfach miterlebt haben, ein Wahnsinnsspiel, an das wohl kaum einer der 72 000 Zuschauer im Olympiastadion geglaubt hatte. Und dann das: Erst die Stille, die Beklommenheit, das Gegentor, der Ausgleich und am Ende der Sieg im Elfmeterschießen. Unten tanzten die Helden mit nacktem Oberkörper über den Rasen, grinsten und grölten. „Und dann die Hände zum Himmel!“, dröhnte es aus den Stadionboxen, und die Zuschauer machten mit, rissen die Arme hoch, sangen, umarmten sich und knutschen.

Pech, wer zu diesen dramatischen Minuten irgendwo über den Wolken im Sessel seines Linienflugzeugs saß. Immerhin hatten bei den meisten Fluggesellschaften die Piloten Mitleid und sagten über den Bordlautsprecher die Ergebnisse durch.

Auf Berlins Straßen waren 6000 Polizeibeamte unterwegs, das waren etwa 1000 mehr als beim Spiel Deutschland gegen Ekuador. Bis zum späten Nachmittag gab es nichts, was Einsatzleiter Jürgen Klug in Sorge versetzte – im Gegenteil, am Rand der Fanmeile fingen Fans beim Anblick eines Polizeiautos immer wieder zu singen an: „Grünweißer Partybus, sha-la-la-la-la.“ Und selbst die vielen gröhlenden Betrunkenen, die dann gegen 22 Uhr auf dem Bahnhof Alexanderplatz zu beobachten waren, stellten offenbar kein polizeiliches Problem dar. Alles ruhig – so auch die Auskunft der Polizei bei redaktionsschluss.

Schon mittags hatten Einsatzleiter Klug und Polizeipräsident Dieter Glietsch eine WM-Zwischenbilanz gezogen. Sie ist bemerkenswert positiv: Die Zahl der Straftaten sei im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um nur 7,6 Prozent gestiegen. Angesichts der vielen Touristen, die derzeit in der Stadt sind, sei das völlig normal, hieß es. Klug wiederholte die Einschätzung, dass „beim Münchener Oktoberfest jeden Abend mehr los ist.“ ling/Ha/AG/CD/lga/aha/clk/dma/kög

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