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Berlin: Joe Krings (Geb. 1950)

Es hieß immer: Vorwärts! Nur vorwärts geht’s in alle Himmelsrichtungen

Wer will schon in Dülmen sterben? Joe nicht. Joe wollte überhaupt nicht sterben. Joe hatte immer schon große Pläne. Schon in der Schule. Nur hatten die nie was mit den Lehrplänen zu tun. Er sorgte so lange für Unruhe, bis er ganz sicher sein konnte, dass es keine Gymnasialempfehlung gab. Tschüss, Schule. Er ging als Freiwilliger zur Bundeswehr und ließ sich zum Sanitäter ausbilden. Weil er gern den Retter für andere gab und weil er liebend gern dicke Autos fuhr. An die kam er immer irgendwie ran, überall.

Nach der Entlassung jobbte er eine Zeit lang in Berlin, in der Krankenpflege, ging dann nach Borken, auf die Fachoberschule, lernte Evelin kennen, hauste mit ihr in einem Wohnwagen bei Bauer Kolb. Sie schubste ihn durchs Studium der Sozialpädagogik und überredete ihn, nach Dülmen zu ziehen, zu ihren Eltern, was keine gute Idee war. Für die beiden Kinder vielleicht schon, die hatten nun die Großeltern um sich. Aber Joe war keiner, der sich was sagen ließ, schon gar nicht von seinem Schwiegervater. Und Evelin? Evelin wurde ihres Lebens nicht froh. Sie starb in einem Autounfall. Joe trug Nadelstreifen und Cowboystiefel bei der Beerdigung, als wollte er allen zeigen, dass sein Leben nicht aus dem Tritt geraten war.

Aber er brachte nicht viel zuwege in den nächsten Jahren. Klar, er war schon immer ganz groß im Geschäftemachen, nur, es kam nie viel rum dabei. Ob er jetzt Kondome in Afrika verkaufen wollte oder kanadische Holzhäuser in Dülmen, Schrottflugzeuge aus Russland importieren oder Traktoren in alle Welt ausführen, die Kunden zogen nie so richtig mit. Was ihm selten die Laune verdarb. Er war ein Menschenfischer, angstfrei, konnte gut mit allen, ließ nichts anbrennen, auch wenn der ganz große Wurf einfach nicht gelingen wollte. Bei ihm hieß es dennoch immer: Vorwärts! Nur vorwärts geht’s in alle Himmelsrichtungen. Seinem Sohn war das irgendwann zu viel, er verlor die Orientierung, und schließlich auch den Lebensmut. Die Tochter fand sich besser zurecht, sie bewunderte den Vater für seine Umtriebigkeit. Aber am tollsten fand Joe sich selbst. Auch in den Niederlagen. Eigentlich war er selbst sein bester Einzelfallhelfer. Er wusste genau, in Deutschland würde er keinen Fuß mehr auf den Boden kriegen. Alles zu spießig. Als ihn dann ein befreundeter Pfarrer ansprach, Lieferungen von Hilfsgütern nach Rumänien zu organisieren, war er dabei. Sein Ding: helfen, anpacken, es sich gutgehen lassen.

In Rumänien war er König. Diesmal klappte es auch mit seiner Geschäftsidee, die eigentlich mehr eine Überlebensidee für alle Beteiligten war. Er rettete gefährdete Jugendliche aus ihren miesen Lebensumständen in Deutschland, brachte sie in rumänischen Familien unter, gewöhnte sie an ein geregeltes Leben, und erzog sich dabei selbst zur Sesshaftigkeit. „Das klappt nie“, unkten einige, die ihn von früher kannten. „Das glaubst aber auch nur du“, retournierte Joe und behielt recht. Erfolg auf ganzer Linie, was sich immer auch am Fuhrpark zeigte, und natürlich war da auch stets eine schöne Frau an seiner Seite. Ein Boot auf der Donau hatte er sowieso und eine Garage irgendwo in Kanada. Und Krebs, unheilbar.

Was gar nicht möglich sein konnte, dachte er erst. „Schwere Zeiten“, klar, die hatte Udo, sein Singlehrer, auch gekannt, aber er war sich sicher, dass da auch „wieder geile Zeiten warten, dann kommt die Sonne durch, wir sind doch Lichtgestalten.“ Aber Allmachtsfantasien helfen nicht bei einem Weichteilsarkom. Er musste zurück nach Dülmen ziehen, probierte alle Heilmittel, mied jedoch die Chemotherapie gegen den Rat der Ärzte. Aber was soll der Streit, zum Schluss war es eh die Krankheit, die triumphierte.

Jeder ist seines Glückes Schmied. Dummer Spruch. Aber es ist was dran. Das wusste Joe am besten, Vielleicht wollte er deshalb in dieser alten Schmiede bei Dresden sterben, weit weg von Dülmen. Das hat er nicht mehr geschafft. Aber sein Freund, der Pfarrer, hat ihn dort aufbahren lassen. Ganz großer Auftritt. Darum war es ihm ja immer gegangen. Und um die Ansage an alle, knallhart: Dein Leben ist toll! Mach was draus!

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