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Berlin: Jörg Treptow (Geb. 1962)

Der Älteste in der jüngsten Popband Deutschlands.

Es ist das Jahr 1978, als die Jungenband „The Teens“ die Herzen der Mädchen und die Bühnen Deutschlands erobert. Am Anfang des Erfolgs steht der Auftritt beim „Großen Preis“ mit Wim Thoelke, Wum und Wendelin. Wenig später überzeugen sie die Bravo-Leser. Noch vor „Abba“ und „Kiss“ bekommen die „Teens“ den goldenen „Bravo-Otto“. Die Zwölfjährigen Uwe Schneider, Robby Bauer und Alex Möbius, der dreizehnjährige Micha Uhlich. Und Jörg Treptow, fünfzehn. Der Älteste der jüngsten deutschen Band. Jörg, der Rockmusiker. Lachend, mit zotteligem Haar, Jeans und dunkler Lederjacke. Stark. Wild. Cool.

Eigentlich wollte Jörg in einer Erwachsenenband spielen. Vielleicht hätte er sich nie bei den „Teens“ als Gitarrist vorgestellt, wenn er das durchschnittliche Alter der Schülerband gekannt hätte. Weil er der Älteste ist, wird Jörg Bandleader. Eine Rolle, auf die er sich nichts einbildet, die er vielleicht auch nicht besonders schätzt, weil sie Verantwortung bedeutet. Er ist der Kleinste. Auf Bandfotos steht er immer am Rand. Und manchmal will sein zurückhaltendes, beinahe schüchternes Lachen mit der Darstellung des jugendlichen Rebellen nicht so recht zusammenpassen.

Aber genau dieser Widerspruch ist es, der seine Persönlichkeit am besten beschreibt. „Moderzahn“ nennt er einmal den Manager der Band und vermeintlichen Freund. Jörg, Sohn einer Steuerfachgehilfin, hat bemerkt, dass der Mann Geld unterschlägt. Jörg verliert einen Vorderzahn, der Manager seinen Job.

Vor ihrer DDR-Tournee werden sie gewarnt: Das sei dort eine ganz andere Welt. Für die Teenager ein Abenteuer, eine Klassenfahrt, nur ohne Mitschüler. Sie werden ermahnt: Zeitschriften und Tonträger darf niemand über die Grenze nehmen. Im Juni 1980 überquert ein aufgemotzter amerikanischer Van die weiße Linie zwischen West und Ost. Voller Teenagermagazine, Musikkassetten und Coca-Cola. Die Grenzbeamten kapitulieren vor der jugendlichen Naivität.

Ein Stück seiner Naivität verliert Jörg auf der großen Fahrt. Als er nach dem Abschlusskonzert in Ost-Berlin auf die Bühne tritt, um nachzusehen, ob sie alles eingepackt haben, begegnet er einem völlig aufgelösten Mädchen, 15 vielleicht, höchstens 17. Sie möchte kein Autogramm. Sie möchte ihm ihre große Liebe anvertrauen, ihren Freund, für den sie in dem verplombten Transporter der Band die Hoffnung auf eine bessere Zukunft sieht. Die tränenreiche Verabschiedung des jungen Paares vermittelt dem Teenager mehr als ein Geschichtsbuch. Jetzt begreift er, was es heißt, dass eine Mauer Ost und West trennt. Und was es bedeutet, machtlos zu sein.

1982 löst sich die Band auf. „Wilde Jungs, die nicht erwachsen werden“, steht auf einer Fanseite. Sie werden eben doch erwachsen. Was bleibt, ist eine große Freundschaft zwischen den ehemaligen Bravo-Stars.

Jörg wird Karosseriebauer, wie er es sich gewünscht hat. Seinen verbeulten Jetta fährt er weiter, bis er an einem kalten Wintermorgen einfach nicht mehr anspringt. Äußerlich bleibt Jörg der lachende Jeanstyp. Nur seine Haare werden weniger und kürzer. Und seine Lederjacke tauscht er gegen eine Jeansjacke.

Zwei Mal in seinem Leben trägt er einen Anzug. Das erste Mal auf seiner Hochzeit. Das zweite Mal beim Fotoshooting auf Mallorca Ende der Neunziger nach dem Comeback der „Teens“. Es ist nicht seine Idee, sondern die der Bandkollegen. Er widerspricht nicht. Gemeinsam kaufen sie einen Anzug, schwarz. Der kaschiere seinen kleinen Bierbauch, sagt die Verkäuferin. Seine Turnschuhe behält er an.

Ruhm, egal, wie früh man ihn erlebt hat, bleibt an einem kleben, mögen viele denken. Nicht so an Jörg. „Ich könnte das nicht“, hat er einmal gesagt. Ohne Neid, voller Bewunderung, voller Ehrlichkeit. Zu einem Weggefährten und Bandkollegen, der den Ruhm nie aus den Augen gelassen hat, und damit erfolgreich geworden ist. Jörg brauchte nichts mehr als Sicherheit, die ihm das Leben nicht immer gab. Vielleicht, weil er sich zu wenig zutraute. Weil er sich manchmal selbst im Weg stand. Und weil es ihm schwerfiel, Verantwortung für sich und für andere zu tragen.

Hätte er die Schlagzeile „Jörg stürzte im Treppenhaus seiner Ex in den Tod“ in der Boulevardzeitung gelesen, hätte er sich fürchterlich aufgeregt. Er ist bei einem Sturz ums Leben gekommen, das stimmt. Der Rest nicht. Über den Satz auf seinem Grabstein „Ab jetzt rockst Du Backstage. Mach’s gut und nicht so laut“ hätte er sich gefreut. Gelächelt hätte er. Und verunsichert auf den Boden geschaut. Andrea Kambartel

Andrea Kambartel

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