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Berlin: Johanna Seefeldt, geb. 1903

Im Sommer trug sie knallbunte Leggins auf dem Eis, im Winter einen schwarzen Skianzug mit einem Drachen auf dem Rücken, silbern genietet. Auf dem Kopf die turmhohe blonde Lockenperücke, um den Hals die Kette mit einem Monokel.

Von David Ensikat

Im Sommer trug sie knallbunte Leggins auf dem Eis, im Winter einen schwarzen Skianzug mit einem Drachen auf dem Rücken, silbern genietet. Auf dem Kopf die turmhohe blonde Lockenperücke, um den Hals die Kette mit einem Monokel. Da war die Zierliche über achtzig und nahm jedes Mal, bevor sie ihre Eispartie beendete, noch einmal richtig Anlauf, glitt rückwärts, stellte die Kufen quer - und drehte ihre Pirouette so kreisrund, wie es nur wenige können. Klar guckten da die Leute, staunten die jungen Hühner: Unglaublich, was die Omi noch bringt.

Die Leute sollten das sehen, sollten staunen. Aber eigentlich war der perfekte Abschlussdreher mehr was fürs eigene Befinden. Eine Art Selbstvergewisserung: Ich kann es noch, eine Omi bin ich nicht. Recht hatte sie, eine Omi war sie nicht. Sie war ein Einzelkind.

Johanna Seefeldt wuchs in Berlin-Mitte auf, sah den Kaiser unter den Linden und lernte als Tochter aus gutem Hause die gute Gesellschaft kennen. Der Vater war das, was man heute einen Party-Manager nennen würde. Er mietete Säle an und veranstaltete dort Feste und Bälle. Das brachte so viel Geld ein, dass die Familie nach dem Krieg, als es keinen Kaiser mehr gab, hinaus zog, in eine große Villa am Woltersdorfer Flakensee.

Dort wurde Johanna Seefeld - langsam - erwachsen, lernte ihren Mann, einen Korbwarenhändler, kennen, zog mit ihm in ein Nachbarhaus am Flakensee - und führte ein Luxusleben. Fuhr im Sommer mit dem Motorboot über den See, durchschwamm ihn, schnallte sich im Winter Kufen unter die Schuhe und glitt übers Eis. Sie hatte viel Zeit für solche Sachen, aber das, was ihr eigentlich den meisten Spaß machte, konnte sie nicht mehr so oft machen: tanzen gehen. Die frühe Heirat und die Eifersucht des Mannes bremsten Johanna in ihrer Lebenslust.

Lauf und Tanz auf dem Eis waren unverfänglich, das konnte sie tun, so lange es nur kalt genug war (nach Johanna Seefeldts Erinnerung war es das in ihren jungen Jahren viel öfter als in ihren älteren, nach der Wetterstatistik waren nur in den Neunzigern die Seen seltener zugefroren als sonst).

Ihre zweite Passion war das Autofahren. Einen offenen, froschgrünen Opel, fuhr sie seit 1927, dann einen eleganteren weißen Mercedes. Dazu passend hatte Johanna Seefeldt ein weißes Hündchen, das setzte sie auf den Beifahrersitz und fuhr nach Berlin, um die Blicke der Passanten zu genießen. Es gab damals nicht so viele Autowerkstätten, und es gab auch nicht so viele Männer, die Ahnung vom Auto hatten. Dafür waren die Motoren nicht so stabil, und die Straßen stellten eine unglaubliche Herausforderung für die dünnen Reifen dar. Johanna Seefeldt musste immer wieder selbst die Pannen beheben. Wie die Leute da erst guckten!

Dass sie eine patente Frau und nicht das Luxusweiblein war, für das sie einige hielten, konnte sie nach dem Krieg beweisen. Da hatten die Russen ihren Mercedes beschlagnahmt, und sie fuhr mit dem Boot über den Flakensee, um von der Militärkommandantur, auch ein Seegrundstück, Kohlen fürs eigene Haus und für die Nachbarn zu klauen. Ganz dicht am Ufer fuhr sie entlang, die Weiden schützten sie vor den Blicken.

Anfang der Fünfziger zog sie mit ihrem Mann nach West-Berlin, da ließ sich der Korbwarenhandel besser betreiben. Als der Mann kurz darauf starb, übernahm sie, die nie was Richtiges gelernt hatte, das Geschäft. Sie muss es gut geführt haben, denn Mitte der Sechziger gab sie es auf und konnte wunderbar vom Angesparten leben. Und schicke Autos konnte sie sich leisten. Ihr letztes kaufte sie 1979, einen Opel Monza, Verbrauch 22 Liter. Ein Wagen, mit dem sie an der Ampel so schnell wegkam, wie es ihr gefiel.

Und dann das Schlittschuhlaufen. Johanna Seefeldt hatte es all die Jahre nicht aufgegeben, jetzt spielte es die zentrale Rolle in ihrem Leben. Sie lernte dadurch immer neue Leute kennen - nach dem Tod von Eltern und Ehemann hatte sie ja keine Familie mehr, Geschwister oder Kinder gab es nicht.

Der Sportclub Charlottenburg wurde ihr zur Ersatzfamilie. Da war sie "Tanzobmann der Eis- und Rollsportabteilung", brachte den Leuten den Kufenlauf bei, organisierte das Vereinsleben. Wenn im Sommer jemand in der Eishalle wegen der kalten 14 Grad stöhnte, sagte sie: "Das ist doch nichts" und erzählte, wie sie in den Fünfzigern mit Freunden in einem Schlachterkühlhaus am Gleisdreieck Eis auf den Boden gezaubert hat und drauf gelaufen ist. Bei 18 Grad minus.

"Das ist doch nichts!", sagte sie auch mit neunzig Jahren, wenn jemand ihr klar machte, wie doll es sei, dass sie sich noch auf dem Eis so bewegen konnte. Was sie früher alles drauf hatte, da würde man sich erst wundern! All die Sprünge, die Tänze! Foxtrott, Argentinischer Tango, Wiener Walzer.

Dann wurden die Augen schlecht. Widerwillig gab sie den Führerschein ab, verkaufte den Opel. Mit 94 stand sie zum letzten Mal auf dem Eis, da konnte sie die Bande schon nicht mehr genau ausmachen. Mit 96 sagte sie: "Wenn das mit den Augen nicht wäre, ich könnte noch wunderbar laufen."

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