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Berlin: Johannes Rau zu Besuch: "Der interessiert sich ja richtig für uns"

Kinder, so sagt man, sind die schärfsten Kritiker. Würde Bundespräsident Johannes Rau das auch denken, er hätte nervös sein müssen.

Kinder, so sagt man, sind die schärfsten Kritiker. Würde Bundespräsident Johannes Rau das auch denken, er hätte nervös sein müssen. Bei seinem Besuch der Moses-Mendelssohn-Oberschule (MMO) in der Moabiter Stephanstraße aber wirkt er ruhig und entspannt, beantwortet die Fragen der Schüler bedächtig, erzählend, so wie man es von ihm kennt. Harmlose Fragen sind es denn auch, und das liegt wohl vor allem daran, dass die Angriffsfläche, die Rau zur Zeit bieten mag, für Kinder zu abstrakt ist: Die Nationalstolz-Debatte ist eine künstliche - sie interessiert hier allenfalls die Lehrer und die Journalisten, die an diesem Dienstag in Scharen in die schöne Schullandschaft aus rotem Backstein gekommen sind.

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Die Schüler der integrierten Gesamtschule, in der deutsche und ausländische, behinderte und gesunde Kinder zwischen zwölf und siebzehn Jahren gemeinsam lernen, wollen ganz andere Dinge wissen: "Kommen Sie auch mal dazu, ein Buch zu lesen?" - "Ja, oft und gerne." "Wie regelmäßig sehen Sie Ihre Kinder?" - "Fast jeden Morgen." "Was haben Sie für Hobbys?" - "Skat spielen: Ich reize immer viel zu hoch". Herantasten an einen Mann, der in einem Tross schwarzglänzender Staatskarossen auf ihren Schulhof gefahren kam, begleitet von drei Bodyguards mit Knöpfen im Ohr. Einen Mann, dessen Amt - so haben die Lehrer es ihnen tagelang eingebläut - das höchste im Land ist.

Doch auch der 70-Jährige signalisiert Neugier. "Der interessiert sich ja richtig für uns", wispert eine Siebtklässlerin ihrer Tischnachbarin im Computerkursus verwundert zu. Gerade hat Rau einen Jungen, der sich besonders gut mit den Rechnern auskennt, gefragt, wie lange er schon damit arbeite. Mit roten Ohren und stockend, aber tapfer bringt das Kind die Antwort über die Lippen - "seit ein paar Jahren". Sein Lehrer, damit nicht ganz zufrieden, nutzt die Chance, um zu betonen, wie viel Wert die Schule auf die Arbeit mit Maus und Internet lege; bereits in der 7. Klasse könne jeder einen "Computerführerschein" erwerben.

Der fortschrittliche Einsatz von neuen Medien und moderner Technik an der MMO ist, neben dem Integrationsprinzip, Hauptgrund für Raus Besuch. Vor einem knappen Jahr hat seine Rede zu diesem Thema das Kollegium dazu veranlasst, ihn einzuladen. Dass es nun geklappt hat, sieht Peter Kaßner, stellvertretender Schulleiter, als "große Wertschätzung unserer Arbeit". Den Schülern erklärt der Bundespräsident den Wert, den er in dieser Arbeit sieht, mit einem einfachen Beispiel: "Wenn ich am Computer etwas anklicke und das dann nicht funktioniert, muss ich immer meine Kinder fragen. Ihr habt Glück, dass ihr das alles so früh lernt." Das leuchtet ein. "Ich finde es toll, dass er zugibt, nicht alles zu können", sagt ein Junge in Turnschuhen und extrem weiten Jeans hinterher. So einen Politiker, überlegt er, würde er wohl auch wählen, später.

Brigitte Böttcher

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