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John F. Kennedys Fahrt durch West-Berlin: Straße des 26. Juni

Wer heute auf der Kennedy-Route entlangfährt, stößt auf viele wache Erinnerungen – und sucht vergeblich nach Wegen, die verschwunden sind. Eine Rundfahrt.

Die dunkelgrünen Kerosinlaster für die „Air Force One“ stehen zum Abtransport bereit, zurück nach Ramstein, auf die US Air Base. Die Fahrer der Tieflader, die sie huckepack genommen haben, machen sich lustig über den Sicherheitswahn der Amerikaner. „Sie glauben doch nicht, dass die irgendetwas an die Präsidentenmaschine heranlassen, das nicht von ihnen ist.“ Die sechs Tankwagen haben keine Kennzeichen, sehen aus wie aus Pappmaschee für ein Filmset aus den 50er Jahren. Aber das hier ist echt, das hier ist heute.

Der Besuch von Barack Obama fand unter Sicherheitsvorkehrungen statt, die viele als absurd empfanden. Keine Chance, ihm die Hand zu schütteln, ihm Blumen zu schenken oder einfach nur ein „Good luck!“. Nicht mal von Ferne erblicken ließ er sich. War er überhaupt da?

Vor 50 Jahren kam John F. Kennedy nach Berlin, JFK, und das können heute noch hunderttausende Berliner bezeugen. Die säumten jubelnd die Straßen, als er vorbeifuhr, stehend im offenen Lincoln. Schon damals wurden Präsidentenkarossen extra eingeflogen, aber der Präsident verschwand nicht hinter getöntem Panzerglas.

JFKs Fahrt durch West-Berlin, vom Flughafen Tegel bis hinunter nach Dahlem, wurde zu einem Triumphzug. Was ist davon übrig? Was hat JFK gesehen? Gibt es diese Route überhaupt noch? Eine Testfahrt auf den Spuren Kennedys.

Die Kerosinlaster der US-Armee stehen unter Bäumen in der Vorortidylle der ehemals französischen Cité Guynemer. Hier müssen alle Staatsgäste durch, wenn sie in Tegel gelandet sind und nicht vom Hubschrauber abgeholt werden. Einfamilienhäuser, Gärten, ein paar Mietshäuser, 1963 war die Cité den französischen Militärangehörigen vorbehalten.

Der Triumphzug begann erst außerhalb der Cité, als die Wagenkolonne mit der großen Motorradstaffel vorneweg in die Seidelstraße einbog. Von den Schrebergärten rechts und links dürfte der Präsident vor lauter Menschen nichts gesehen haben. Die Berliner Traufhöhe beginnt erst in der Scharnweberstraße. Hier war 1963 vieles neu gebaut. Berlins Regierender Willy Brandt saß neben JFK und erklärte die Aussicht. Die Route sollte ja auch zeigen, wohin die Gelder aus der Marshall-Hilfe geflossen waren.

„Damals gab es hier noch zwei Kinos“, erinnert sich die 82-jährige Ingelore Lustig, „hübsche kleine Kneipen, einen Laden, wo man offene Milch kaufen konnte, und einen Bauernhof.“ Heute sind hier Video World, ein Textildiscounter und eine Spielhalle ansässig. Für Kennedy ist Ingelore Lustig damals nicht rausgegangen. „Wir sind immer zu Ernst Reuter gefahren, an den Reichstag.“ Der konnte auch gut reden.

Weiter südlich geht es durch die Müllerstraße nach Wedding. Der JFK-Tross aus 14 Wagen plus Polizeieskorte fuhr sehr langsam, damit jeder Fotos machen konnte. „Mein Mann hatte mir seine Kamera gegeben, eine Pilotenkamera, mit der man viele Fotos nacheinander schießen konnte“, erinnert sich Ursula Klintzsch, die gerade aus der Reha nach Hause kommt, Afrikanische Straße, Friedrich-Ebert-Siedlung. „Ich hatte eine kleine Leiter dabei.“ Wo die Fotos geblieben sind, weiß sie nicht, „wahrscheinlich verkauft“.

Gerda Wurl, gelernte Schneiderin, hat von ihrem „Logenplatz“ am Fenster die Kreuzung Müllerstraße, Ecke Afrikanische Straße im Blick. „Hier standen auch die deutschen Soldaten im Krieg und warteten auf die Russen.“ 1963 wartete sie mit ihrer Tante auf Kennedy, 2013 auf Obama, aber der „ist ja hintenrum gefahren, Tegeler Weg“. Schade. Sonst fahren alle Staatsgäste an ihrem Fenster vorbei, erzählt Frau Wurl mit zufriedenem Lächeln, „ist ja der kürzeste Weg“. So wie bei Kennedy, so „euphorisch“, alle wie aus dem Häuschen, sei es nie wieder gewesen.

An der Afrikanischen Straße hat Kennedy vor allem das grüne Berlin gesehen, den Volkspark Rehberge, dann ging es weiter in die Seestraße Richtung Stadtautobahn, aber die gab es damals noch nicht.

Weiter durch Moabit, Hansaviertel und vorbei am Checkpoint Charlie.

Weiter durch Moabit, Beusselstraße-Gotzkowskystraße-Levetzowstraße. Sehr unterschiedliche Szenerien heute, vom türkischen Obsthändler bis zum szenigen Suppenimbiss. 1963 war hier noch der unsanierte Arbeiter- und Angestelltenkiez, weitgehend deutsch geprägt. Damals zog man, wenn es ging, aus Moabit weg ins Märkische Viertel oder gleich ins sichere Westdeutschland.

Im Vereinslokal vom „SC Minerva 1893“, Levetzowstraße, fachsimpeln die Damen über den Charme von Obama im Vergleich zu Kennedy und Bush. Angelika Dimmel, die Tochter der Wirtin, würde Kennedy auf Eins setzen: „Toller Mann.“ 1963 ging sie mit einer Schulfreundin zum Rathaus Schöneberg, schon morgens um acht, dann wurde der Freundin wegen der vielen Menschen irgendwann schlecht, sie mussten aus der Menge raus zum Sanitäter, gerade da fing Kennedy an zu reden. „Haben gar nichts mitgekriegt.“

Weiter durchs neu erbaute Hansaviertel, in die Straße des 17. Juni, Richtung Ernst-Reuter-Platz, drumherum in die Hardenbergstraße. Endlich ist die moderne Großstadtkulisse Berlins zu sehen, darauf hatte Willy Brandt gedrungen beim politischen Feilschen um die Route. Ein kurzer Schlenker auf den Ku’damm, KaDeWe, Zoo, über die Budapester Straße zum Großen Stern und weiter zur Kongresshalle. Dort hielt Kennedy eine Rede vor dem Gewerkschaftskongress von Bau-Steine-Erden.

Zum Brandenburger Tor ist es nur noch ein Katzensprung. 1963 hatte die SED das Tor mit roten Tüchern verhängt, um dem US-Präsidenten die Durchsicht zu versperren – und wohl auch den Ost-Berlinern einen Blick auf Kennedy.

50 Jahre später ist der Platz von Westen aus versperrt. Kein Durchkommen für Autofahrer. Am Reichstag stehen die Reisebusse Stoßstange an Stoßstange, Touristen strömen aus allen Himmelsrichtungen. Ohnehin lässt sich Kennedys Route kaum mehr nachvollziehen. Die „Friedensallee“ kennt nicht mal das Straßenlexikon Kauperts, die Entlastungsstraße ist begrünt, Viktoriastraße und Margaretenstraße sind nicht auffindbar. Oder hat sich der damalige Routenchronist im Stadtplan vertan?

Egal, kürzen wir ab. Der heutige Checkpoint Charlie hat mit dem von 1963 nicht viel gemein. Kennedy verließ die Innenstadt über die Lindenstraße und den noch völlig brachliegenden Mehringplatz, am Platz der Luftbrücke vorbei ging es über Duden- und Kolonnenstraße zum Rathaus Schöneberg.

Um halb vier erreichte Kennedy die kleine Garystraße im Villenviertel Dahlem. Im Henry-Ford-Bau, der noch heute so hell und unbefleckt erscheint, als wäre er gerade neu errichtet, hielt er vor Studenten eine Rede. Das Gebäude ist verwaist. Nebenan, in der Bibliothek, streben zwei Jura-Examenskandidaten ihren Büchern entgegen. Mit dem Kennedy-Hype von 1963 können sie nicht viel anfangen, auch Obama beurteilen sie eher nüchtern und kritisch. „Ist doch paradox, dass sich einer, der das Land der Freiheit repräsentiert, selber so abschottet.“

Letzte Station war das US-Hauptquartier in der Clayallee, gleich um die Ecke. Hier wird jetzt eine Wohnsiedlung gebaut: the Metropolitan Gardens. Weiter nördlich, am Roseneck, sitzen die Zehlendorfer Honoratioren im „Wiener Caffeehaus“, mit Blick auf den Hohenzollerndamm. Manfred Philipp, ehemals Friseurmeister, trauert ums Flair des alten West-Berlin unter US-Aufsicht. 1963 übernahm er den Friseurladen um die Ecke, kümmerte sich um die Haare der US-Soldatenfrauen, ging zu Kennedy. „Ganz langsam“ fuhr er an ihm vorbei, stehend, trotz seines Rückenleidens, „Riesenjubel“ gab es. Irgendwo müssen noch die Dias liegen, die er damals gemacht hat.

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