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Berlin: Jonglieren statt Addieren

Von der Privatinitiative zu Europas größtem Kinderzirkus: „Cabuwazi“ feiert 10. Geburtstag und trainiert jährlich hunderte Schüler

Kati Oesterreich ist süchtig, vor Leuten aufzutreten. Sie kommt zum rot-gelb gestreiften Zelt von Cabuwazi in Kreuzberg, seit sie neun Jahre alt ist. Auf dem Einrad zu balancieren und mit Keulen zu jonglieren, ist eine der leichtesten Übungen für die 20-Jährige. Kati beherrscht so ziemlich alles, was Kinder und Jugendliche bei Cabuwazi lernen können: Stelzenlauf und Diabolo, Akrobatik und Clownerie.

Training in mehr als 30 artistischen Disziplinen bietet der Zirkusbetrieb an seinen vier Standorten an. 650 Kinder und Jugendliche kommen im Schnitt pro Woche zu den Trainingsstunden in Kreuzberg, Altglienicke, Marzahn und Treptow, wo 1994 das erste Zelt auf dem früheren Grenzstreifen errichtet wurde. Damit ist Cabuwazi heute, zu seinem zehnjährigen Bestehen, Europas größter Kinder- und Jugendzirkus – und eine schöne Erfolgsgeschichte, die gleich noch mit einem Rekord gekrönt wurde: Gestern Nachmittag fuhren 127 Kinder auf einer 500 Meter langen Strecke gemeinsam Einrad.

An ihrem Anfang stand ein Hinterhof in Kreuzberg. Ein Vater schenkte seinen Kindern Einräder zum Geburtstag, und schon bald wollte die halbe Nachbarschaft mitmachen. Das 12-köpfige „Kreuzberger Einradchaos“ trat auf Straßen- und Schulfesten auf, und die Truppe wuchs und wuchs. Schnell waren es 200 Kinder, die regelmäßig Zirkus veranstalten wollten, von Veranstaltung zu Veranstaltung zogen und sich deshalb den Namen „Chaotisch bunter Wanderzirkus“ (Ca-bu-wa-zi) gaben. Die Namensgeberin damals: Kati, die jetzt mit ihrer Freundin Marieke Ferger ihre eigene Trainingsgruppe bei Cabuwazi aufgemacht hat – und sich ein Leben ohne den Zirkus gar nicht mehr vorstellen kann. Auch ihren Berufswunsch als Bewegungstherapeutin hat der Zirkus geprägt, sagt sie.

Leute wie Kati erhalten bei Cabuwazi viel Unterstützung. Doch den Machern des Zirkus’ kommt es auf andere Dinge an. Sie wollen Kindern und Jugendlichen Teamfähigkeit, Toleranz und Verantwortungsbewusstsein vermitteln. Deshalb ist das Training kostenlos, und das soll auch in Zukunft so bleiben. Aus dem Hinterhofzirkus ist ein professionell arbeitendes Unternehmen geworden, das rund 60 Artisten, Sozialpädagogen, Handwerker und Techniker beschäftigt.

Den größten Teil finanziert das Land, doch nach Kürzungen in den letzten zwei Jahren ist der Zirkus immer mehr auf Sponsoren angewiesen. Ein zweites Standbein sind seit fünf Jahren Schulprojektwochen, Workshops und Ferienprogramme geworden. Über 100 Klassen kommen jedes Jahr für eine Woche in den Zirkus, tauschen Mathe und Englisch gegen Seillaufen und Jonglage und erleben das Kribbeln vor dem Auftritt. Aber auch bei denen, die lange dabei sind, stellt sich Routine wohl nie ein, glaubt Kati: „Ich habe immer noch wahnsinniges Lampenfieber.“

Thorsten Wiese

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