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Berlin: Jubel – und erschrockene Stille

Auf den Wahlpartys der Stadt wurden die Siege der Parteien groß- und die Niederlagen kleingeredet Mit der Tendenz hatten wohl viele gerechnet. Aber nicht mit diesen Abstürzen und Höhenflügen

Als er sich seinen Weg durch seine dicht gedrängten Anhänger auf dem Hof der Kulturbrauerei bahnt, tönen heroische Klänge aus den Lautsprechern. Die mehr als 1000 Gäste auf der SPD-Wahlparty fangen zu johlen an. Wie ein Box-Champ auf dem Weg zur Tribüne, zur Siegerehrung, tänzelt Klaus Wowereit am Wahlabend durch die jubelnde Menge. Auf der Bühne im Kesselhaus dankt er artig der Linken für die jahrelange Zusammenarbeit in der Koalition, die Gäste aber begeistert er, als er sich bei seinem Freund Jörn Kubicki, der neben ihm auf der Bühne steht, für die Unterstützung während des Wahlkampfes bedankt. Sozialdemokratische Prominenz ist da, Parteichef Sigmar Gabriel lässt sich über die FDP aus, Wowereit schmunzelt, gibt ein paar Interviews und zieht dann gelassen von dannen.hah

So einen Jubel die Berliner Union seit Jahren nicht gehört. Rund 300 Christdemokraten klatschen begeistert auf der Wahlparty der CDU in einem Sitzungssaal des Abgeordnetenhauses, als ihr Spitzenkandidat Frank Henkel die kleine Bühne betritt: „Das wichtigste Wahlziel ist erreicht. Rot-Rot hat keine Mehrheit mehr.“ Als „große Verlierer“ bezeichnet Henkel die Linkspartei und die Grüne Renate Künast. Jetzt sei Wowereit am Zuge. „Wir werden uns im Interesse der Stadt und ihrer Bürger vernünftigen Sondierungsgesprächen nicht verschließen“, betont Henkel. Ex-Bürgermeister und CDU-Ehrenvorsitzender Eberhard Diepgen zeigt sich „sehr zufrieden“. Die Union habe sich gut geschlagen, auch angesichts der schwierigen Situation im Bund: „Von da gab’s keinen Rückenwind.“ Und der Berlin-Chef der Jungen Union, Conrad Clemens, freute sich, dass es wieder nach oben geht. Das Ergebnis der Piraten aber müsse allen etablierten Parteien zu denken geben. Man habe viele junge Wähler nicht erreicht. sik

Der Festsaal Kreuzberg ist in grünes Licht getaucht. Die Menschen stehen dichtgedrängt, die Luft ist stickig. Angesichts der ersten Prognosen bricht Jubel aus: Bei der Zahl der SPD genauso wie beim eigenen Ergebnis: 18 Prozent. Noch viel lauter wird es, als klar ist, dass die FDP nicht ins Abgeordnetenhaus einzieht. Es folgt erschrockene Stille bei der Bekanntgabe des Ergebnisses der Piraten. Renate Künast sagt: „Wir haben mehr gewollt – aber wir bleiben dran!“ Volker Ratzmann, Steffi Lemke, Jürgen Trittin kommen auf die Bühne. Siegerposen gibt es keine. Eine 26-jährige Grüne aus Neukölln sagt: „Wir haben uns zu spät zu Rot-Grün bekannt und die Piraten haben uns den Rest gegeben.“ Als die Hochrechnungen bekannt sind, leert sich der Saal merklich. Für eine richtig wilde Party reichen die Zahlen wohl nicht. Kurz vor 20 Uhr ist auch im Abgeordnetenhaus die Grünen-Party gelaufen. Es gab ohnehin nur Salzgebäck und Orangensaft. Durchweg nüchtern die Stimmung auch dort. msb/loy

Viele wollen gar nicht erst hinsehen. Als die erste Prognose durchs Thomas-Dehler-Haus in der Reinhardtstraße flimmert, schlagen sie die Hände vors Gesicht. Im Niederlagen-Wegstecken ist man der FDP ja inzwischen geübt, mit einer derartigen Pleite hat aber niemand gerechnet. Bei Brezeln, Bier und Wein haben die Anwesenden sichtlich Probleme, das desolate Ergebnis zu verdauen. Eine sonderbare Mischung aus bleichen Gesichtern, trotzigen Mutmachersprüchen und deftig-lauten Unmutsäußerungen macht sich breit. „Von dem Schlag müssen wir uns erst einmal erholen“, sagt Parteimitglied Nils Hempel. „Man muss nun auch über neue Köpfe nachdenken.“ Irgendwo findet sich bei all er der Enttäuschung aber doch noch ein feierndes Grüppchen. Um Punkt 18 Uhr jubeln ein paar Leute mit Schreien und Konfettiregen – ein Flashmob von „Die Partei“-Anhängern und ihrem Chef Martin Sonneborn. Sie haben sich auf die Wahlparty der FDP geschlichen, die am Abend mehr und mehr zu einem Trauerspiel mutiert. ks

Um 17.56 Uhr ist die Welt noch in Ordnung im Kosmos an der Karl-Marx-Allee. „What a wonderful World“ raunt der Sänger des Jazz-Quartetts ins Mikrofon auf der Wahlparty der Linken. Dann die erste Hochrechnung: 11,5 Prozent, Wahlziel nicht erreicht, wird Harald Wolf später konstatieren. Nach verhaltenem Klatschen brandet Jubel auf, als für die FDP zwei Prozent bekannt gegeben werden. Auch Musiker und Parteimitglied Andrej Hermlin ist nicht traurig: „Das Ergebnis war zu erwarten.“ Und die Linke sei doch traditionell eher eine Oppositionspartei. Bei anderen Gästen hört man, das sei sogar besser für die Partei. Dann sagt Landesvorsitzender Klaus Lederer: „Das ist verdammte Scheiße auch kein Drama.“ Gregor Gysi fügt hinzu: „Wer mit so einer kleinen Niederlage nicht feiern kann, taugt nichts.“ Und dann feiern die Linken, wenn auch etwas verhalten. dma

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