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Ein Polizist mit Maschinenpistole vor dem Jüdischen Museum.

© dpa

Juden in der Hauptstadt: Wann werden sich Berlins Juden nicht mehr verstecken?

Jüdisches Leben findet in Berlin weitestgehend in Hinterzimmern statt, hat unser Autor Titus Chalk festgestellt. Für ihn ist die Polizeibewachung von jüdischen Einrichtungen zu einer politischen Hirnlosigkeit geworden.

Die Zeiten haben sich geändert, seit ich diesen Artikel zu schreiben begann, und mit ihnen auch sein Inhalt. Was im Spätsommer 2012 als Antwort auf die antisemitische Attacke auf einen 53 Jahre alten Rabbi und seine sechs Jahre alte Tochter gedacht war, ist zu etwas Anderem geworden – zum Teil aufgrund der Dinge, die ich in der Zwischenzeit gelernt habe, zum Teil auch aufgrund derer, die zu lernen mir ein unwilliges Berlin unmöglich gemacht hat.

Direkt im Nachgang der Attacke zeigte sich Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden, in einem Artikel für den Tagesspiegel unerbittlich: Man dürfe es der Furcht nicht erlauben, ein langsam wiederauflebendes jüdisches Leben in Deutschland zu vernichten. „Ich lasse nicht zu, dass mir No-go-Areas auferlegt werden.“, schrieb er. „Ich lasse nicht zu, dass wir unser Judentum nur im Hinterzimmer ausleben dürfen.“ Das Gefühl, dass seine Worte vermittelten, erschien mir absolut korrekt – nur war ich nicht in der Lage, sie mit der Situation in Einklang zu bringen, die ich täglich in dieser Stadt erlebte; eine, die mich als Ex-Londoner immer wieder zutiefst verblüffte.

Zwischen Juden und Nichtjuden wacht die Polizei

Aus dem Blickwinkel von jemandem, der in einer multikulturellen Gesellschaft aufgewachsen ist, sind es exakt die Hinterzimmer, wo das jüdische Leben hier meistenteils stattfindet. Das wird einem am deutlichsten durch die Polizei und Sicherheitsdienste vor Augen geführt, die zwischen Juden und Nichtjuden überall in der Stadt vor jüdischen Einrichtungen auf den Bürgersteigen stehen. Vor Synagogen, vor jüdischen Schulen, vor kulturellen Sehenswürdigkeiten wie dem Jüdischen Museum: Im Ganzen wird so an 64 jüdischen Orten in Berlin eine Grenzlinie zwischen diesen Gemeinschaften gezogen und von einem Kontingent von 350 Polizisten verstärkt. Als Angela Merkel sagte, die Versuche eine multikulturelle Gesellschaft in Deutschland zu bilden, seien gescheitert, lag sie nicht falsch. Hier war der Beweis: eine eingezäunte Gemeinschaft, mit sehr eingeschränkten Möglichkeiten, sich mit der Außenwelt auszutauschen. Als ich vor rund zwei Jahren in Berlin ankam, machte mich dieser Zustand bereits neugierig.

Was bewirken die Sicherheitsmaßnahmen?

Könnte es nicht sein, dass derartige im besten Fall ineffektive, im schlimmsten Fall das Gegenteil ihrer Absicht herausfordernde Vorkehrungen weit davon entfernt sind, Antisemiten von Attacken auf Juden abzubringen? Als der Herbst ins Land zog, machte ich mich daran, das herauszufinden. Mein erster Anruf ging an den scheidenden Chef des Berliner Büros des „Economist“, Brooke Unger. Unger, aus den USA stammender Jude, hat auf vier verschiedenen Kontinenten gelebt und gearbeitet. Ihm erschienen derartige Sicherheitsmaßnahmen nicht ungewöhnlich, eher pragmatisch, sogar willkommen: „Die Abwesenheit davon erschiene mir bemerkenswerter als seine Präsenz“, erzählte er mir. Seiner Erfahrung nach waren jüdische Orte tatsächlich nur in den USA und im Vereinigten Königreich weniger geschützt. Die Maßnahmen nahm er eher als Anerkenntnis gegenwärtiger Spannungen im Nahen Osten wahr denn als Bezugnahme auf speziell die deutsche Geschichte. Das Risiko, dass dieser Ansatz just zu jener Ghettoisierung der jüdischen Gemeinschaft führen würde, die Graumann vermeiden wollte, schien ihm minimal: „Ich habe nicht den Eindruck, dass Menschen sich von den Sicherheitsmaßnahmen abschrecken lassen oder sie gar übel nehmen“, sagte er.

 "Wann werden Juden hier endlich aufhören, sich hinter verschlossenen Türen zu verstecken?"

Ich beschloss daraufhin, mich nach Mitte ins koschere Beth Café zu begeben, um zu sehen, ob sich das in der Praxis bewahrheiten würde. Um zu sehen, ob ein Café mit Polizeiwachen an der Tür einen willkommen heißen könnte. Ob die Geschäfte gut liefen. Ob die Betreiber sich von den sehr sichtbaren Sicherheitsmaßnahmen eher beschützt als bedroht fühlten. Doch das Beth Café ist ein seltsamer Ort – einer, der so wirkt, als sei er immer geschlossen – und ich brauchte einen Moment, um die Tür zu finden. Als ich sie fand und zu öffnen versuchte, musste ich feststellen, dass die einzigen Menschen im Innenraum direkt vor der Tür saßen, um sie zuzuhalten. Ich fühlte mich an eine kritische Kundenrezension auf der Website Qype erinnert, in der ein Nutzer beschrieb, wie er davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass er eine Gefährdung für seine Mitjuden sei, indem er sein Fahrrad draußen parke. „Wann werden Juden hier endlich aufhören, sich hinter verschlossenen Türen zu verstecken?“ schrieb er. „Wann werden wir aufhören, derart paranoid zu sein?“

Nachdem der Angestellte, der die Tür blockiert hatte, mich hereingelassen hatte, fragte ich ihn, ob ich ihn über die Sicherheitsmaßnahmen interviewen dürfe, doch er lehnte höflich ab. Und während er die Gruppe abschirmte, die im Café saß, erklärte er, dass grad auch keine Betreiber zum Interview zur Verfügung stünden. Wie von ihm vorgeschlagen mailte ich daraufhin den Inhabern des Cafés, der Adass Jisroel congregation, und lief ins Leere. Es war, wie sich später herausstellte, der Beginn einer Reihe von Zurückweisungen, die mich diesen Artikel zu Beginn des Winters vorerst auf Eis legen ließen.

Nur ein Nachtclubpromoter wollte über das Thema reden

Ein Polizist mit Maschinenpistole vor dem Jüdischen Museum.
Ein Polizist mit Maschinenpistole vor dem Jüdischen Museum.

© dpa

Normalerweise redselige Kommentatoren wie Lea Rosh und Michel Friedman lehnten es ab, zu diesem Thema interviewt zu werden. Es war mir nicht möglich, mit Uwe Neumärker, dem Vorsitzenden der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas zu sprechen, von dessen Architekten Peter Eisenman, mit dem ich mich gern über die Effektivität eines Mahnmals unterhalten hätte, das regelmäßige Patrouillen zum Schutz vor antisemitischen Vandalen nötig macht, ganz zu schweigen. Auf ähnliche Weise scheiterte der Versuch, die Leiterin eines jüdischen Kindergartens zu erreichen: Ich hätte sie gern gefragt, inwiefern Polizei am Schultor ihren Schutzbefohlenen das Gefühl von Schutz, Geborgenheit und Heimat in Deutschland vermittelt. Auch Versuche und Anfragen, um mit Polizistinnen und Polizisten über ihren Einsatz vor jüdischen Einrichtungen zu sprechen, scheiterten. Um es kurz zu machen: Fast niemand hatte Lust, über ein Thema zu reden, das ich tatsächlich sehr wichtig finde. Bezeichnenderweise war die einzige Person, die während meiner Recherchen etwas zu sagen hatte, ein israelischer Nachtclubpromoter, dessen Veranstaltungen keinen speziellen Schutz erhalten und wo alle Glaubensrichtungen zusammen feiern können. Eine Serie sogenannter „Peace Parties“ brachten da sogar jüdische Nachtschwärmer mit jungen Arabern zusammen – in Abwesenheit polizeilicher Sicherheitsmaßnahmen.

Vielleicht finden viele, wie Unger, die Maßnahmen nicht der Rede wert. Vielleicht hat die jüdische Community in Berlin wichtigere Probleme (zum Beispiel die Integration von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion), vielleicht sind deutsche Juden auch dazu bestimmt, abgegrenzt zu bleiben, nachdem ihnen in der Vergangenheit Hingabe, Kampf und Tod fürs Vaterland allein mit Mord vergolten wurde. Aber angesichts der Abwesenheit von Austausch und Dialog kann man sich nie sicher sein. Es bleibt das nagende Gefühl, dass etwas an diesem Thema durchaus bemerkenswert ist. Dass vielleicht diese Nicht-Reaktion über spezifisch deutsche Verhältnisse hinwegtäuscht; Verhältnisse, die stark an eine Geschichte gebunden sind, die heutige Diskurse immer noch stark beeinflusst; Geschichte, die Grund dafür ist, dass die Entscheidung eines Kölner Gerichts, rituelle Beschneidungen zu verbieten, nicht in erster Linie als Affront gegen die 4,3 Millionen Muslime des Landes wahrgenommen wurde, sondern gegen dessen 103000 Juden.

Vielleicht, nur vielleicht, möchte ja einfach niemand dabei ertappt werden, einen so hochgradig sichtbaren Versöhnungsakt in Zweifel zu ziehen – einen, der so hübsch das Narrativ von Deutschlands kollektiver Verantwortung bedient, ungeachtet seiner Kosten, seiner Effektivität und seiner größeren sozialen Implikationen. Die standardmäßige Polizeibewachung der jüdischen Einrichtungen des Landes ist im Wortsinn zu einer politischen Hirnlosigkeit geworden – gutgemeint, auf eine Art zweckdienlich, aber weit außerhalb einer rationalen Beurteilung.

Es ist zu einfach, auf der einen Seite zu sagen, dass Multikulturalismus in Deutschland gescheitert ist, während man auf der anderen Seite Umstände herbeiführt, die damit nicht vereinbar sind. Für sein Fehlgehen bietet Multikulturalismus immer noch die Möglichkeit des Dialogs. Das hat mich unglücklicherweise zu diesem Thema geführt; eines, das für die meisten hier keins zu sein scheint. Was mir wiederum nahe legt, dass da – all meinem Outsidertum, meinen Vorurteilen und meinem möglichen Falsch-im-Kopf-sein zum Trotz -  doch etwas drinsteckt. Etwas, das zu hinterfragen und zu diskutieren sich lohnt. Etwas, über das man vielleicht sogar einen Artikel schreiben kann.

Lesen Sie hier das englische Original dieses Textes.

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