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Ein Schild am Bayerischen Platz erinnert an die Judenverfolgung.

© Robert Klages

Judenverfolgung in Deutschland: Die Orte des Erinnerns sind nun digitalisiert

Im Bayerischen Viertel erinnern 80 doppelseitige Schilder an antijüdische Gesetze. Die "Orte des Erinnerns" wurden nun digitalisiert - und internationalisiert.

„Warum gibt es rund um den Bayerischen Platz keine gelben Sitzbänke?“, fragt der Künstler Frieder Schnock, so, als würde er gleich einen Witz erzählen. Aber der Hintergrund dieser Frage ist nicht lustig. Auf einem Schild an einem Laternenmast steht: „Juden dürfen am Bayerischen Platz nur die gelb markierten Sitzbänke benutzten.“ Auf der anderen Seite des Schildes ist das Piktogramm einer Sitzbank zu sehen.

Der Platz im Bezirk Tempelhof-Schöneberg ist Teil eines dezentralen Gedenkorts: 80 doppelseitige Schilder mahnen im gesamten Bayerischen Viertel an die Judenverfolgung in Deutschland. Auf der einen Seite sind alltägliche bunte Bilder zu sehen: Ein Laib Brot zum Beispiel. Auf der anderen antijüdische Gesetze und Verordnungen aus den Jahren 1933 bis 1945. „Lebensmittel dürfen Juden in Berlin nur nachmittags zwischen 4-5 Uhr einkaufen“ zum Beispiel.

Texte und Bilder sollen Betrachterinnen und Betrachter mit der Geschichte des Bayerischen Viertels konfrontieren, wo einst Albert Einstein, Gisèle Freund und Gertrud Kolmar lebten. Das Flächendenkmal wurde nun durch eine App erweitert, die jetzt im Literaturhaus Berlin vorgestellt wurde.

Die multilinguale App „Orte des Erinnerns“ zeigt auf einem Plan sämtliche Motive und erklärt beim Anklicken die Hintergründe. Sie soll den Wirkungskreis des Denkmals international erweitern und das Thema an jüngere Generationen herangetragen. Denn, so erzählt Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler, es kommen viele internationale Touristen, darunter Menschen, die sich vor Ort mit ihrer eigenen Geschichte auseinandersetzen.

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Die Schilder wurden 1993 von den Künstlern Renata Stih und Frieder Schnock eingeweiht. Damals, berichtet Schnock, brauchten sie 80 Genehmigungen für 80 Lampenmasten. Beim Aufhängen der ersten Schilder habe ein Anwohner „Ihr Judenschweine haut ab“ aus dem Fenster gerufen.

„Schaut hin. Schaut jeden Tag hin“

Daraufhin wurden die Schilder wieder abgenommen und erstmal in Papier verhüllt wieder angebracht, dann am Tag der Eröffnung enthüllt. „Das zeigte uns damals, dass so ein Denkmal notwendig ist“, sagt Schnock und schaut hoch zum Piktogramm einer Katze. „Juden dürfen keine Haustiere mehr halten“, steht dahinter.

Ein Schild am Bayerischen Platz erinnert an die Judenverfolgung.
Juden dürfen nicht mehr in Gesangsvereine, steht auf der Rückseite dieses Mahnmals an die antijüdischen Gesetze.

© Robert Klages

Auch heute noch wird das Denkmal regelmäßig beschädigt. Bezirksbürgermeisterin Schöttler plädiert an die Gesellschaft, sich stärker gegen antisemitische und rassistische Tendenzen zu äußern. So auch am Stammtisch oder im familiären Kreis: „Schaut hin. Schaut jeden Tag hin. Und schaut auch auf die kleinen Dinge“, sagt sie. Es müsse nicht immer lange diskutiert werden oder ein Geburtstag aufgrund einer bestimmten Aussage einer Person aufgelöst werden. „Aber man sollte einschreiten, zumindest mitteilen, dass man etwas nicht richtig findet.“

Künstlerin Stih hält die Erinnerungskultur in Deutschland trotzdem für vorbildhaft im Vergleich zu anderen Ländern. Schnock ergänzt: „Es geht nie um Schuld. Es geht um Verantwortung und Wissen.“ Die beiden würden das Denkmal am Bayerischen Platz gerne unter Denkmalschutz stellen. „Wir hoffen, dass das bald klappt.“

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