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Berlin: Jüdische Gemeinde entscheidet sich für liberalen Kurs

Rechtsanwalt Albert Meyer gewinnt mit seiner Liste „Kadima“ die Wahl – Alexander Brenner bleibt als Unabhängiger im Parlament

Die Jüdische Gemeinde wird vermutlich bald einen neuen Vorsitzenden haben: den Rechtsanwalt Albert Meyer. Seine Liste „Kadima“ hat bei der Wahl am Sonntag 20 der 21 Sitze des Gemeindeparlamentes gewonnen – drei mehr als beim ersten Wahlgang Mitte September. Seine Liste vertritt den liberalen Flügel. Außer den Kadima-Vertretern wird nur der amtierende Gemeindevorsitzende Alexander Brenner dem Parlament angehören, als Unabhängiger.

Bei der Wahl im September, die aus formalen Gründen annulliert worden war, hatte Brenner die meisten Stimmen gewonnen. Dieses Mal hat ihn Albert Meyer übertroffen. Dessen Wahl zum Gemeindevorsitzenden steht deshalb nichts mehr im Wege. Die Wahl findet im Januar statt. Die Wahlbeteiligung war am Sonntag mit 35 Prozent geringer als im September. Auffällig war, dass nur halb so viele Wähler ihre Stimme per Brief abgegeben haben. „Ich freue mich über das Ergebnis und bin überrascht über die Deutlichkeit“, sagte Meyer am Montag. Die Opposition habe den Fehler begangen, ihn und den Historiker Julius Schoeps, der ebenfalls für „Kadima“ kandidierte, mit einer „Schlammschlacht“ zu überziehen. Die Wähler hätten dieser Kampagne einen Denkzettel verpasst.

Das „Bündnis der Anständigen“ hatte Meyer und Schoeps vorgeworfen, die Wahl im September manipuliert zu haben und die osteuropäischen Juden zu diffamieren. Lala Süsskind und Ariel Abaew vom „Bündnis der Anständigen“ sagten am Montag, dass man mit dem Wahlergebnis leben müsse. Diesmal gebe es keinen Grund zur Anfechtung. Süsskind hatte im September einen Sitz im Parlament errungen, diesmal nicht. Ihrer Meinung nach habe Meyer mit seiner Liste gewonnen, weil er es verstanden habe, die russischen Medien für sich zu gewinnen. 80 Prozent der russischsprachigen Juden hätten „Kadima“ gewählt. Abaew fürchtet, dass niemand die Geschäfte des Gemeindeparlaments kontrollieren kann, wenn fast alle Mitglieder der gleichen Fraktion angehörten.

Albert Meyer will als erstes mit seiner Fraktion einen Wirtschaftsplan für 2004 erstellen. „Wir sind eine wirtschaftlich gesunde Gemeinde“, sagte Meyer am Montag. Man habe genügend Einnahmen und Vermögensteile, um aus eigener Kraft aus der Finanzkrise herauszukommen. Man müsse dazu auch keine Immobilien verkaufen. Die Jüdische Gemeinde Berlin habe noch viele Ansprüche bei der Jewish Claims Conference laufen, die mobile Vermögenswerte betreffen wie Bilder, Kunst- und Einrichtungsgegenstände. „Diese Vermögenswerte reichen aus, um den Haushalt für die nächsten Jahre zu konsolidieren.“ Deshalb will Meyer so schnell wie möglich die Verhandlungen mit dem Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen und der Oberfinanzdirektion aufnehmen. Außerdem müsse schnell geklärt werden, ob das Pflegeheim in der Charlottenburger Dernburgstraße einen Neubau erhalten soll.

„Ich kann mit dem Wahlergebnis leben“, sagte Alexander Brenner. Seinem Ego habe gut getan, dass er auch künftig im Parlament vertreten sei. Meyer habe mit den neuen Mehrheitsverhältnissen die Chance, Reformen in der Gemeinde anzugehen und auch unangenehme Sparmaßnahmen durchzusetzen. Er habe diese Chance nicht gehabt, sagte Brenner. „Besonders in letzter Zeit war es keine Idylle für mich.“

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