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Berlin: Jüdische Kulturtage: Jüdisch-italienische Kultur im Kochtopf

"G-Nieß" steht auf seinem Namensschildchen. Und ein Genießer ist er wahrlich, unser Koch vom Oberstufenzentrum Gastronomie Brillat-Savarin in Weißensee.

"G-Nieß" steht auf seinem Namensschildchen. Und ein Genießer ist er wahrlich, unser Koch vom Oberstufenzentrum Gastronomie Brillat-Savarin in Weißensee. Auch für ihn ist das, was seine Kollegin Joan Rundo aus Mailand mitgebracht hat, kulinarisches Neuland: ein Shabbatmenü der jüdisch-italienischen Küche. "Ruota del Faraone", Pfauenrad, heißt die süßsalzige Pasta-Vorspeise aus selbstgemachten Tagliatelle, Olivenöl, Rosmarin, Salbei, Rosinen und Pinienkernen. Alles handgemacht, einschließlich der Pasta. "Nicht dicker werden", mahnt Gerd Nieß mit einem Blick auf den Hobbykoch, der das Ausrollen des aus Hartweizengrieß gekneteten Teiges übernommen hat.

Die Mischung aus Selbermachen und kulinarischer Entdeckungsreise macht den Reiz dieser neuartigen Veranstaltung der Jüdischen Kulturtage aus. Ein Selbstläufer, denn kochen und das diesjährige Motto Italien passen einfach zusammen. Mehrere Hundert hätten gerne mitgemacht, 50 passten nur in die fünf Versuchsküchen. Dabei ist die jüdisch-italienische Küche genauso regional orientiert wie die klassisch-italienische: Einige versuchen sich am Livorneser Menü mit Zander in pikanter Tomatensoße, andere schmoren römischen Lattuga-Salat. Nur die berühmten "Carciofi all giudea", die dem sechsstündigen Kochnachmittag seinen Namen gaben, fallen leider aus: Die typischen kleinen Artischocken, die im römischen Ghetto in Olivenöl ausgebacken wurden und zum bekanntesten jüdisch-italienischen Gericht avancierten, waren in Berlin nicht zu kriegen.

Dass sich jüdische Identität auf so markante Weise in der Kochkunst niederschlug, hatte auch seine negativen Seiten. Als die Marranen, die zwangskonvertierten spanischen Juden, nach Italien flohen, kam ihnen die katholische Inquisition oft durch Topfgucken auf die Schliche: Wer am Shabbat kalte Pasta aß oder Gerichte auf kleinem Feuer von Freitag auf Sonnabend köcheln ließ, der war im Verborgenen zum Judentum zurückgekehrt und musste im schlimmsten Falle damit rechnen, wegen Abfall vom Glauben auf einem christlichen Scheiterhaufen zu enden.

Solch gruselige kulturgeschichtliche Vorbemerkungen von Joan Rundo hielten aber niemanden davon ab, mit Hingabe italienisches Haroset, eine süße Pessach-Spezalität, oder Reiskuchen mit Ricotta, Safran und Mozarella zuzubereiten. Seinen Namen "Reisbombe" trägt er durchaus zu Recht. Je näher die 18-Uhr-Marke rückte, zu der sich alle Teilnehmer zum gemeinsamen Mahl treffen wollten, desto häufiger erschienen die neugierigen Besucher in den einzelnen Küchen. Schließlich wollte man wissen, warum die Backzwiebeln mit Schale in die Röhre kommen oder was das Geheimnis der Marinade ist, die die leicht angebratenen Zucchini zu einer leckeren Vorspeise machen. Schon diskutierten zwei jüdische Damen, ob man überhaupt solch einen Aufwand für Shabbat treiben könne: "Da braucht man ja einen Tag zum Einkaufen, einen zum Vorbereiten und einen zum Kochen", klagten sie. Andere hatten im berühmten "Piperno" im römischen Ghetto Bekanntschaft mit der jüdischen Küche geschlossen. Ob nun im Restaurant oder in der Kochschule: Der Höhepunkt war das Gelage nach getaner Arbeit, wo man all die Köstlichkeiten mit koscherem Wein aus der Toskana genießen konnte.

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