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Berlin: Jürgen Gustav Haase (Geb. 1947)

Er ging in die Werkstatt, das Wort Atelier kam ihm nicht über die Lippen

Was für große Hände! Stahlschiffbauer hatte er gelernt, in Eisenhüttenstadt. Aber er wollte Maler werden. Schon als kleiner Junge hatte er immer gezeichnet, wenn er allein war. Und er war viel allein. Nach der Lehre durfte er in Leipzig an der Hochschule für Grafik und Buchkunst endlich Malerei studieren.

Der Staat ließ ihn fortan in Ruhe, aber ihn ließ die Allmacht des Staates nicht in Ruhe, er wollte weg. Zwei Jahre vor dem Mauerfall kam er in den Westen. Er hatte lange keine Krankenversicherung, seine Werkstatt ließ sich nicht heizen, seine Bilder verkauften sich selten so gut, dass er die Winter im Süden hätte verbringen können, aber er malte weiter.

Morgens ging er ins Atelier, nein in die Werkstatt, das Wort Atelier kam ihm nicht über die Lippen, abends ging er zurück, noch immer in Gedanken. Nachts träumte er von seinen Bildern. Die Winter waren nur ein langer Traum. Er hatte die Farben im Kopf, er hätte auch im Dunkeln malen können.

Was auf den Bildern zu sehen war? Er besaß einen kleinen Bauwagen, der stand in der Uckermark. Er malte häufig die Landschaft drumherum. Nur ein wenig anders, als wir sie auf den ersten Blick sehen würden.

Er zupfte mit seinen großen Händen jede Blume, ließ jeden Käfer über seinen Handrücken laufen, gab noch dem krummsten Wurm einen Strich und eine Richtung, erkundete die Wege der Schmetterlinge, die Flugrouten der schwersten Hummel und die Grabungen des blindesten Maulwurfs, fasste das alles in der Schönschrift dessen zusammen, der die Welt geschaffen hat, an diesem Sommermorgen, unweit eines kleinen Bauwagens, der wie die Arche Noah in diese Landschaft gekommen war, um alle mit an Bord des Bildes zu nehmen.

Als es zur Ausstellung kam, stand ein Bauer aus dem Dorf lange vor einem dieser Bilder. Schließlich zupfte er einen Freund Haases am Ärmel und sagte: „Wollen Sie mal sehen, wo ich wohne? Hier ist mein Haus.“ Er zeigte auf ein hüpfendes Dreieck in gelben Strukturen. „So sieht es bei uns aus, jedes Jahr im Sommer. Und diesen Weg“, er zeigte auf eine braune zitternde Linie, „gehe ich immer lang. Bin ich schon als Kind langgegangen.“

Was suchen wir in den Bildern der Maler? Irgendetwas, an das wir unser Herz hängen können. Mag sein, was es will, nur schön muss es sein. Wenn wir uns allerdings fragen, was schön ist, wissen wir meist keine Antwort. Was nicht schön ist, können wir hingegen schnell entscheiden. Kitsch ist augenfällig. Die Verachtung der Gartenzwerge allgemein. Zu Unrecht. Manchmal sind sie Zeugen einer Sehnsucht, die nur noch keinen Ausdruck gefunden hat, weil wenige die Träume der vielen malen können.

Van Gogh, Paul Klee, Wols waren seine Vorbilder. Wols? Alfred Otto Wolfgang Schulze, der sich den Künstlernamen Wols gegeben hatte und mit 38 Jahren in Paris gestorben war, der die Öffentlichkeit, den Ruhm und das Geld verabscheute, der eine Termite auf Wanderschaft durch den Kosmos schickte, der sich die Himmelskarte an die Decke seiner Schlafkammer heftete, der sich große Worte stets verbat, auch von seinem Freund Sartre: „Schwierigkeiten meine Zeichnungen zu verstehen? Fühle sie ... Weder Analysen noch Erklärungen bitte!“

Aber wie soll man erkennen, wer ein großer Künstler ist, wenn nicht an den vielen Worten, die über sie gemacht werden. Friedrich Nietzsche hatte eine ganz einfache Probe parat: „Wer Attitüden nötig hat, ist falsch.“ Wer sich einen Hut aufsetzen muss, um als Künstler größer zu wirken, ist falsch. Wer mit dem Hakenkreuz signiert, um seinen Verkaufswert zu steigern, ist falsch. Der Kunstmarkt ist falsch, weil längst Finanzmarkt: Bilder in Tresoren als Kapitalanlage zu horten, ist falsch.

Das Glück, das ein Bild bringt, ist nicht in Zinsen zu verrechnen. Nicht mit Worten auszudrücken. Kunst lehrt Verzicht auf große Worte. Kunst lehrt Sehnsucht.

Das Elend, immer hin und her gerissen zu sein zwischen der totalen Leere und der Fülle dessen, was sich gestalten ließe. Eine Blume, unmöglich sie zu malen ohne Sentimentalität, wie schwer ist dann erst eine Blumenwiese, wie unmöglich ein Sommermorgen, was für ein Wunder, wenn es gelingt. Jürgen Gustav Haase wird noch einmal eine Ausstellung bekommen, im Herbst, und seine Bilder werden zum Verkauf stehen, obwohl er sie am liebsten alle behalten hätte. Wer reißt sich schon gern das Herz aus dem Leib? Gregor Eisenhauer

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