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Jugendkriminalität: Türkischer Psychologe setzt auf Erziehung

Härtere Strafen oder Abschiebung für kriminelle junge Migranten - von den Vorschlägen des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) hält der Neuköllner Psychologe Kazim Erdogan nicht viel. Er hält Erziehung in der Familie für den Schlüssel - nicht Erziehungscamps.

"Was wir mit der Jugendgewalt erleben, ist das Ergebnis der Kommunikations- und Sprachlosigkeit in unserer Gesellschaft. Wenn wir die Eltern nicht mit den Jugendlichen zusammenbringen und Nähe schaffen können, dann haben wir den Kampf schon verloren", sagt der türkische Psychologe Kazim Erdogan. Er selbst kämpft Woche für Woche: Jeden Montagabend trifft er sich mit einer Runde von türkischen Vätern, um mit ihnen über Kinder, Familie und Erziehungsmethoden zu sprechen.

Kleine Diebstähle und Drogen

Der Name Roland Koch ist zwischen den türkischen Wortfetzen immer wieder herauszuhören. Hirnrissig seien dessen Vorschläge, sagt Mustafa und schimpft über die Pläne des CDU-Politikers, kriminelle junge Migranten schneller abzuschieben. "Das wäre genauso, als würde man ein deutsches Kind in die Türkei schicken und sagen, es soll dort klarkommen", sagt er. Mustafa hat selbst einen 14-jährigen Sohn. Mit acht anderen türkischen Vätern sitzt er bei Tee in Erdogans Dienstzimmer in Neukölln und macht sich Gedanken über Jugendgewalt.

Den Kreis hat Erdogan Anfang 2007 gegründet. Zuerst kamen zwei Väter, jede Woche wurden es dann mehr. Heute sind es mal zehn, mal zwanzig Männer. Die meisten leben von "Hartz IV", haben eine Trennung oder große Familienzerwürfnisse hinter sich. Einige haben selbst Kinder oder Enkel, die straffällig geworden sind - mit kleinen Diebstählen oder Drogen.

Arbeitslos und ohne Chancen

"Die Strafe sollte hier abgesessen werden", meint Ruhi, ein hagerer Mann mit langem Wollschal. Bislang sollten alle die gleichen Rechte haben, warum sollte es nun anders laufen, fragt er. Als die Männer auf die Gründe für die Jugendgewalt zu sprechen kommen, sind sich alle einig: Arbeitslosigkeit, fehlende Chancen und Perspektiven seien schuld, sagen sie.

"Machen wir nicht manchmal auch, was Koch macht - die Schuld auf andere schieben?", fragt Erdogan daraufhin in die Runde. "Was wäre denn, wenn all das in der Türkei passieren würde?" Wie würden die Türken reagieren, wenn eine Minderheit von Deutschen dort viele Straftaten begehen würde, will er wissen. Die Männer stocken kurz. "Wahrscheinlich würden wir sie lynchen", sagt einer plötzlich und kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. "Aufhängen", wirft ein anderer ein. Dann brechen alle in Gelächter aus. Erdogan ist zufrieden - die Selbstkritik funktioniert.

Nicht immer auf das System schimpfen

Irgendwann holt Erdogan aus und spricht über die Rolle der Eltern: wie wichtig es ist, mit den Kindern zu reden, sie zu verstehen, sich Zeit zu nehmen, ihnen Lust aufs Lernen zu machen und nicht ständig über Lehrer, Richter oder das System zu schimpfen. Die Männer sind still, hören zu. Eine solche Gesprächsrunde hätte er sich schon früher gewünscht - für die Erziehung seiner Kinder, sagt Süleyman später. Mit 62 Jahren ist er einer der Ältesten in der Runde und hat schon Enkel. Der Austausch mit Erdogan und den anderen Männern habe ihm gezeigt, dass er vieles anders hätte machen können.

"Die Vater-Sohn-Beziehung ist in türkischen Familien sehr viel inniger", sagt Erdogan. Gleichzeitig würden daraus bestimmte Rechte abgeleitet. Oft werde der Respekt vor dem Vater als Drohbild missbraucht. Auch Gewalt in der Familie gelte mitunter als Fürsorge - als Beweis dafür, dass sich der eine Gedanken um den anderen mache und ihm dessen Handeln nicht gleichgültig sei. "Außerdem habe ich das Gefühl, dass viele Menschen - obwohl sie arbeitslos sind und viel Muße haben - noch weniger Zeit mit ihren Kindern verbringen als früher", sagt der Psychologe. Das sei allerdings nicht nur in türkischen Familien ein Problem.

Probleme in der Familie lösen

Bei der Montagsrunde der Männer ist jedes Mal auch die Familienberaterin Leyla Karadeniz dabei - als einzige Frau. "Ich habe bei meiner normalen Arbeit gemerkt, dass ich an die Väter alleine nicht herankomme", sagt sie. "Man kriegt sie nicht in Beratungsstellen." Probleme würden gerade türkische Männer nicht nach außen tragen, sondern in der Familie lösen wollen. "Ich war überrascht, wie offen die Männer hier zum Teil über Intimes reden - auch obwohl ich als Frau dabei bin", erzählt die 44-Jährige.

"Wenn man auf gleicher Augenhöhe mit den Vätern spricht, funktioniert es", sagt Erdogan. Anklagend oder vorwurfsvoll ist er bei seinen Gesprächen nie. "Fehler sind auf beiden Seiten gemacht worden - nicht nur bei den Deutschen", sagt er. "Wir müssen auch etwas tun."

Christiane Jacke[ddp]

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