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Die Stars der You: ApeCrime und Simon Dessue (r.) verdienen ihr Geld mit Youtube.

© promo

Jugendmesse "You" in Berlin: Youtuber und ein bisschen Zukunft

Heute ist Youtuber-Tag auf der Jugendmesse "You". Unsere Jugendblog-Reporter berichten von dramatischen Szenen, besorgten Müttern und irgendwas mit Bildung.

„Ich will unbedingt ein Selfie mit Dagi... ich hoffe man muss da nicht so lange anstehen!“ Bereits in der S-Bahn umzingeln mich quietschende Mädchen, die ihre großen Beauty- und LetsPlay-Idole treffen wollen. Die meisten kommen, um sich ihre Longboards und PlayStation-Controller von "Dner" und Co. signieren zu lassen oder sich Autogrammkarten von "DagiBee" und ihrem Freund "LiontTV" zu holen und diesen Moment dann noch per Handykamera festzuhalten. Weil alle sofort zu Halle 18 rennen, um dort ihre Youtubestars zu treffen, sind die anderen Stände vergleichsweise leer. Um Lasertag zu spielen oder Go-Kart zu fahren, muss man nur wenige Minuten anstehen. Aber es wird immer voller. Nachdem ich erfahre, dass der einzige Youtuber, den ich selbst gerne mal getroffen hätte, heute doch nicht vor Ort ist, habe ich gar keine Lust, mich ins Getümmel zu stürzen. Als ich vor der Halle stehe, sehe ich schon eine große Menschentraube. Die Türen sind verschlossen und werden von Fans belagert. „Meine Kinder sind da drin!“ ruft eine besorgte Mutter dem Sicherheitspersonal zu. Aber sie hat keine Chance, niemand wird durchgelassen, es gibt keine Ausnahmen, es ist voll.

Darüber sind die Fans natürlich nicht gerade erfreut. Kurz nach 13 Uhr wagen die Veranstalter den ersten Versuch, den Vorraum zu räumen. Die vertriebenen Jugendlichen hinterlassen vor den Türen so viele zertretene Pappbecher und Flyer, dass der Boden einer Müllhalde ähnelt. Der Versuch scheitert jedoch kläglich, bald sammelt sich wieder eine große Gruppe vor den Türen.

Von denen, die aus der Halle herauskommen, hat auch nur ein Teil Autogramme ergattern können. Viele erzählen, dass sie nach langer Wartezeit aufgegeben haben oder dass diejenigen, für die sie anstanden, gehen mussten bevor sie das Ende der Schlange erreichten. Ein Sanitäter erzählte, dass sogar einige Fans aufgrund der Hitze und der Aufregung kollabieren. Die Angestellten wissen selber nicht recht, ob jetzt alles komplett abgebrochen wird, sind sich aber recht einig, dass es zu viele Leute sind. Darum wird später auch der Vorraum abgeriegelt und mit Absperrband gesichert, die frustrierten Fans begeben sich nun auch in die anderen Räume der Messe.

Ich spreche mit einem Jungen, der seine Stars tatsächlich getroffen hat: Zwei Stunden stand er an und jetzt hat er Autogramme von AviveHD, Marcelscorpion und Paluten auf seinem GamePad. Ich habe keine Ahnung wer das ist, aber er freut sich offenbar. Für ihn hat es sich gelohnt. Die Popularität der Youtuber ähnelt der von Boygroups. Und das, obwohl sie in ihren Videos nicht viel mehr tun, als von ihrem Tag zu erzählen, sich zu schminken oder Computerspiele zu spielen. Aber vielleicht gehöre ich auch einfach nicht zur Zielgruppe der Messe. Vielleicht muss ich mir einfach eingestehen, dass ich wohl kein Jugendlicher mehr bin, zumindest nicht im Sinne der YOU.

Wie schon Roger Murtaugh oft erkannte: Ich bin zu alt für diesen Sch... äh Kram.

Da war doch auch noch was mit Bildung

Bereits zum 16. Mal findet die Jugendmesse "You" in Berlin statt.
Bereits zum 16. Mal findet die Jugendmesse "You" in Berlin statt.

© dpa

Habt ihr bemerkt, wie leer die Berliner Seen und Freibäder, Parks und Grillwiesen heute und gestern waren? Das liegt daran, dass in diesen Tagen das mysteriöse Verschwinden einer speziellen Bevölkerungsgruppe von öffentlichen Plätzen zu beobachten war. Und der Grund dafür ist die seit 16 Jahren alljährlich stattfindende Messe für Jugendkultur in Berlin, kurz "You", die Kinder und Jugendliche mit den beliebtesten Youtubestars, einer Streetdance-Meisterschaft, aber auch mit Ausstellern zu den verschiedensten Ausbildungsberufen anlockt. Diese werden unter dem Titel „Bildung.Karriere.Zukunft“ zusammengefasst und nehmen mit Halle 20 rund ein Viertel des Indoor-Veranstaltungsgeländes ein.

Ein Kind hinter Plexiglas, noch dazu mit verbundenen Augen – klingt wie eine Foltermethode, ist aber eine der größeren Attraktionen in dieser Halle. Viele stehen aufgeregt und laut redend an, um einmal in die Box zu kommen, in der Süßigkeiten durch die Luft gejagt werden. Abgesehen von dem konstanten Hintergrundgekreische aus dem angrenzenden Youtuber-Areal, geht es hier ruhiger und entspannter zu. Von der Bundeswehr über Deichmann bis hin zur Zahnärztekammer Berlin gibt es hier alle möglichen Vertreter unterschiedlicher Berufsgruppen.

Um sich hier zurechtzufinden braucht es schon professionelle Hilfe – und die kommt in Form eines Stärke-Checks. Das Ergebnis hilft bei der Orientierung in der Halle, da die unterschiedlichen Stärken als Sticker an den unterschiedlichen Ausstellern angebracht sind. So eröffnen sich viele neue Perspektiven in Form von vorher unbekannten Berufen, abgestimmt auf die eigenen Stärken.

Manche bleiben stehen, viele rauschen leider nur durch, mit dem einzigen Wunsch, ein Selfie mit ihrem Youtube-Idol zu knipsen. Die Azubis, die hier die unterschiedlichen Stände betreuen, bleiben in jedem Fall cool: Sie wissen, dass viele hier nur fürs Entertainment da sind, lächeln, und warten mit Flyern und Kugelschreibern.

„Hallo, mein Name ist xy und ich habe folgendes Problem.“

Franziska von der Selbsthilfekontaktstelle Berlin-Mitte.
Franziska von der Selbsthilfekontaktstelle Berlin-Mitte.

© Emilia Gössler

Inmitten der Berufsfindungstests, des „Bibelmobils“ und der Schülerkalender und Semesterplaner vom letzten Jahr versteckt sich, viel zu leicht übersehbar, ein kleiner Stand, der den Arbeitskreis „Junge Selbsthilfe“ vertritt. Den Begriff „Selbsthilfe“ habe ich bisher hauptsächlich mit Szenen aus „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ assoziiert: Eine Gruppe Menschen mit derselben Sorge, die, unter der Leitung eines Erfahrenerden ihre größten Ängste beschreiben, häufig angefangen mit der Phrase „Hallo, mein Name ist xy und ich habe folgendes Problem.“
Auf der „You“ werde ich jedoch eines besseren belehrt. Franziska ist eine von mehreren Beraterinnen der Selbsthilfekontaktstelle Berlin-Mitte, wo sie seit drei Jahren mit ihren Kolleginnen jungen Menschen hilft, die richtige Selbsthilfegruppe zu finden. Oder wie man selber eine gründet. Auf der "You" leistet Franziska einer jungen Selbsthilfegruppe als Moderatorin anfangs noch Gesellschaft, allerdings, wie sie betont, „nur um die Gruppe in Schwung zu bringen.“ Inhaltlich hält sie sich zurück.
Welche Leute kommen zu dir? „Leute mit Depressionen oder sozialen Ängsten, aber auch mit Essstörungen, Einsamkeit oder Behinderungen, Stottern, Prüfungsangst... Das alles sind Themen, die junge Menschen häufig beschäftigen.“

Die Selbsthilfegruppen beschränken sich nicht auf eine Vorstellungsrunde im Stuhlkreis, sondern legen auch großen Wert auf Abwechslung: In Gruppen für Menschen mit sozialen Ängsten werden beispielsweise Rollenspiele erarbeitet oder sogar ganze Theaterstücke aufgeführt, um die Nervosität und die Hemmungen zu überwinden. Außerdem drücken sich die Mitglieder mancher Hilfegruppen in selbst geschriebenen Gedichten, Raps und Liedern aus, lesen einander vor oder machen gemeinsame Übungen, die ihnen helfen, mit ihrem Problem umzugehen. Ist es für die jungen Menschen nicht ausgesprochen schwierig, sich zu überwinden, einer Beraterin wie Franziska von seinem Problem zu erzählen? „Klar, es gibt diese Hürde, um da erst einmal hinzukommen, aber wenn sie dann da sind, sind sie meistens ziemlich erleichtert, weil es jemanden gibt, der ihnen zuhört, und wir schauen einfach, was für die Person dann am besten ist.“

Schon während des Gesprächs mit Franziska ändert sich meine Einstellung gegenüber Selbsthilfegruppen. Ihre Antwort auf die Frage was ihr am besten gefalle an dem Beruf ist „Empowerment.“ Das bedeute, sich selbst zu ermächtigen, sich mit dem Leben zu konfrontieren. „Das zu unterstützen, finde ich großartig. Das macht ganz viel Spaß.“ Selbsthilfekontaktstellen lassen sich im Internet schnell finden, die, in der Franziska selbst arbeitet auf www.stadtrand-berlin.de, ansonsten gibt es auf www.schon-mal-an-selbsthilfegruppen-gedacht.de eine bundesweite Datenbank, wo sich verschiedenste Gruppen für zahlreiche Probleme und weitere Informationen zum Thema finden lassen.

Einen Moment Zeit braucht man auch beim Verlassen des Messegebäudes, um sich wieder an die entgegenschlagende Hitze zu gewöhnen. Und dann kann man sich darauf freuen, den restlichen Nachmittag an einem wenn auch nur um ein bisschen weniger überfüllten See zu verbringen.

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Maurice Beringuier, 15, Anja Nolte, 15, Emilia Gössler, 15

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