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Berlin: Jugendrichterin Kirsten Heisig ist tot

Nach tagelanger Suche fand die Polizei eine Frauenleiche im Tegeler Forst. Es gibt keine Hinweise auf ein Fremdverschulden

Die Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig ist tot. Bei der Suche nach der am vergangenen Dienstag verschwundenen 48-Jährigen fand die Polizei am Samstagnachmittag eine weibliche Leiche. Zwar wollte die Polizei zunächst noch keine Angaben zur Identität der Toten machen, sie wurde allerdings in der Nähe von Heisigs Auto in einem Waldstück am Elchdamm im Tegeler Forst gefunden.

Bis zuletzt hatte die Polizei, die seit Mittwoch mit einem Großaufgebot die Umgebung um den Fundort des Autos von Heisig durchsuchte, gehofft, die Richterin lebend zu finden. Nach Informationen des Tagesspiegels kannte der Staatsanwalt, der zum Fundort gerufen wurde, Kirsten Heisig persönlich und bestätigte, dass es sich um die prominente Jugendrichterin handelte,

„Wir müssen mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass die Tote Frau Heisig ist“, sagte auch der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Martin Steltner, dem Tagesspiegel. Er bestätigte, dass es nach ersten Erkenntnissen „keinerlei Anzeichen für ein Fremdverschulden“ gibt. Hundertprozentige Aufklärung über die Identität der Toten und die Todesursache sollte eine Obduktion ergeben, die gestern Abend vorgenommen wurde und deren Ergebnis bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht vorlag.

Justizsenatorin Gisela von der Aue hatte trotzdem bereits am späten Nachmittag Journalisten in die Justizverwaltung geladen, um Kirsten Heisig zu würdigen und, wie sie sagte, „den Spekulationen ein Ende zu bereiten.“ Dies sei man auch der Familie der Toten schuldig.

Nach den Worten von der Aues, die in der Vergangenheit nicht immer mit Kirsten Heisig einer Meinung war, hat sich die verstorbene Richterin vor allem durch ihren engagierten Kampf gegen die Jugendkriminalität und Jugendgewalt über die Grenzen Berlins hinaus einen Namen gemacht.

„Es wird uns ein Auftrag sein, auf diesem Wege weiterzuarbeiten“, fügte die Senatorin, die zeitweilig nur schwer ihre Tränen zurückhalten konnte, hinzu. Nach bisherigen Erkenntnissen müsse man wohl von einem Suizid ausgehen, sagte von der Aue. Polizei und Staatsanwaltschaft wollten dies aber noch nicht bestätigen. Man werde in jedem Fall die Obduktion und das toxikologische Gutachten abwarten, hieß es.

Für Weggefährten von Kirsten Heisig, die zwei halbwüchsige Kinder hinterlässt, ist es unvorstellbar, dass die kämpferische und energievolle Richterin freiwillig aus dem Leben geschieden sein soll. „Diese Frau war die Lebenslust pur“, sagte Neuköllns Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky gestern dem Tagesspiegel: „Für alle, die sich hier in Berlin um eine realistische Auseinandersetzung mit Jugendgewalt und -kriminalität sowie mit Problemen und Chancen von Integration bemühen, war und ist sie unersetzlich.“

Kirsten Heisig sei zum einen sehr populär gewesen, habe aber auch Neider gehabt, sagte eine Bekannte: „Richter scheuen ja oft die Öffentlichkeit, da war sie eine Ausnahme.“ Was aber in erster Linie daran lag, dass Heisig auch eine Botschaft hatte, die sie in ihrem Buch „Das Ende der Geduld – konsequent gegen jugendliche Gewalttäter“, das demnächst erscheinen soll, verkündete.

Wie berichtet war Heisig eine der Initiatorinnen des sogenannten Neuköllner Modells, das im Januar 2008 gestartet wurde und dessen Ziel es ist, jugendliche Straftäter innerhalb von fünf Wochen nach der Tat zu verurteilen, um eben jene erzieherische Wirkung zu erzielen, auf die es bei jungen Menschen ankommt.

Deshalb gab sich die Jugendrichterin bei ihren Verhandlungen auch nicht mit einem Schuldgeständnis zufrieden, sondern fragte konsequent nach den Motiven der Täter und nach den Ursachen ihrer Gewaltbereitschaft. Deshalb ging sie in ihrer Freizeit auch an Berliner Schulen, um den Jugendlichen klarzumachen, wie schnell man in ein kriminelles Milieu abrutschen kann.

Möglicherweise wurde das alles für die 48-Jährige in den vergangenen Monaten zu viel. Vielleicht fühlte sie sich als getrennt von ihrem Mann lebende Mutter mit zwei Kindern überfordert. Nicht nur ihre Familie, auch viele Freunde, die in den vergangenen Tagen immer noch auf ein glückliches Ende gehofft hatten, waren gestern erschüttert.

„Diese Frau war ja unter anderem auch total fußballverrückt“, sagte Heinz Buschkowsky: „Fast ihre gesamte Jugend verbrachte sie auf dem Bökelberg bei Borussia Mönchengladbach“. Dass die Nachricht vom Tod der engagierten Richterin ausgerechnet mit dem Jubel über das Argentinien-Spiel zusammenfiel, fand Heinz Buschkowsky makaber: „Kirsten Heisig hätte sich so über diesen Sieg gefreut.“ Sandra Dassler/Kerstin Gehrke

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